Anders als im Automotive-Bereich herrscht in der Industrieelektronik nach dem Abriss der Nexperia-Versorgungskette noch kein Notstand mit Bandstillständen. Zum einen sind die Bedarfe bedeutend geringer als im Automotive-Bereich, und die Industrieelektronik setzt offenbar stärker auf Second-Sourcing.
Während die aktuelle Situation bei Nexperia für die Automobilbranche weltweit weiterhin eine Herausforderung darstellt, ist die Situation im Bereich der Industrieelektronik deutlich entspannter, wie eine aktuelle Marktumfrage der Markt&Technik zeigt. Ein wesentlicher Grund dafür dürften die unterschiedlichen Dimensionen des Bedarfs sein. Während Automotive-Kunden nach Angaben aus Nexperia-Kreisen schon mal Wochenbedarfe von 500.000 Stück und mehr abrufen, liegt der Bedarf der Industrieelektronik-Kunden oft im 10.000er-Bereich pro Monat. Dazu kommt, »dass die Lieferketten im Maschinenbau flexibler und nicht so straff organisiert und eng getaktet sind, wie in der Automobilindustrie«, wie Thilo Brückner, Geschäftsführer VDMA Electronics, Solar and Battery Production, erläutert. »Vielfach ist aber auch nicht bekannt, von welchen Lieferanten die Chips in den Vorlieferstufen stecken.«
Stellvertretend für die Industrieelektronik hier die Sichtweise der Stromversorgungshersteller auf das Nexperia-Problem: Alle Befragten verweisen darauf, dass sie sehr schnell von ihren Distributoren über das Problem informiert wurden. In den Antworten der Branche zeigt sich auch eine sehr breite Streuung des Einsatzes von Nexperia-Bauteilen. Während zum Beispiel bei Puls nach Angaben von Gründer und CEO Bernhard Erdl »praktisch 100 Prozent unserer Produkte betroffen sind, da Nexperia eben stark im Bereich der diskreten Bauteile, gerade im Kleinsignalbereich ist«, sind in anderen Fällen wie bei Hocherl&Hackl nach Angaben von Markus Wintermeier, Head of Sales Department, »etwa 60 Prozent unserer Produkte betroffen«. Auch Autronic zählt nach Angaben von Giovanni Rodio, Head of Business Unit Autronic bei der Fortec Group, zu denjenigen, bei denen sich Nexperia-Bauteile in nahezu allen Geräten finden, »da es sich ja teilweise um billigste Massenprodukte handelt. Wir haben uns jetzt erst einmal mit Reserven eingedeckt«.
Und dann gibt es noch diejenigen, die fast gar nicht vom Fall Nexperia betroffen sind, darunter Recom und Camtec Power Supplies. »Nexperia wird bei uns nur in sehr wenigen Designs eingesetzt und meistens als Alternative zu einem anderen Hersteller, der in den Designs freigegeben ist«, sagt Peter Haas, Head of Global Purchasing bei Recom. Oliver Walter, CEO der Camtec Power Supplies, spricht von einem »sehr geringen Impact« und erklärt sich das mit der stringenten Second-Source-Strategie: »Die Allerweltsteile, wie Klein-Dioden und SMD-Transistoren, die wir von Nexperia beziehen, können auch von diversen anderen Herstellern geliefert werden, deshalb betrifft uns das kaum.«
Ganz ähnlich lautet die Einschätzung von Nico Kagel, Regional Sales Director Central Europe bei XP Power: »Wir haben derzeit keine Probleme bei der Versorgung mit Nexperia-Produkten und erwarten Stand heute auch in Zukunft keinerlei Probleme.« Bei Eplax halten sich die Probleme ebenfalls im Rahmen: »Wir verbauen Nexperia-Produkte genau in zwei Projekten«, sagt Thomas Widdel, Geschäftsführer der Eplax. »Dafür haben wir noch ausreichend Lagerbestand und wir werden für Folgeaufträge Alternativen präferieren.«
Wie das im Fall eines internationalen Global-Players aussieht, zeigt das Beispiel TDK-Lambda. »Wir nutzen Nexperia in einem niedrigen einstelligen Prozentsatz aller eingesetzten Bauelemente, selten als Single-Source«, so Christopher Haas, Managing Director TDK-Lambda Europe, »wir halten viele der betroffenen Bauteile als Kanban-Bestände bei unseren Distributoren vor und haben daher alle Kanban-Bestellungen ausgelöst, zusätzlich haben wir Lieferungen weiterer Nexperia Artikel vorgezogen«.
»Wir haben schon vor Corona angefangen, systematisch unsere Einkaufsartikel zu klassifizieren«, erläutert Kai Heinemann, General Manager Development and Product Management bei Block Transformatoren-Elektronik. »Im Fall Nexperia hatten wir jetzt mal Glück, da setzen wir keine High-End-Bauteile ein, sondern eher Feld-, Wald- und Wiesen-Bauteile mit entsprechenden Alternativen.«
Markus Bicker, CEO der Bicker Elektronik, verweist auf die nach wie vor bestehende Nähe zwischen NXP und Nexperia, und erklärt, dass man bei Bicker Elektronik momentan die Beschaffungs-Strategie im Einkauf überarbeitet: »Wenn sich die Situation nicht ändert und nicht nur Nexperia-Produkte betroffen sind, könnten auch Redesigns notwendig sein.« Bei inpotron Schaltnetzteile hat man nach Auskunft des Geschäftsführenden Gesellschafters Hermann Püthe eine Projektgruppe gebildet, die sich mit den Themen Alternativen, Reichweiten und Bedarfe beschäftigt. Vorläufiges Fazit: »Bis etwa ins 3. Quartal 2026 sind die Lieferungen an unsere Kunden sichergestellt.« Das wäre wohl ein sicherer Puffer für den Fall, dass sich Nexperia in zwei Unternehmen aufspaltet und jeder Unternehmensteil seine eigene Produktions-, Logistik- und Versorgungsketten aufbaut.
Denn in einem Brief vom 29. Oktober teilte Nexperia-Interimschef Stefan Tilger den Nexperia-Unternehmensteilen in China mit, dass die seit dem 26. Oktober geltende Lieferunterbrechung für das Werk in Dongguan im Süden Chinas »eine Reaktion darauf sei, dass das örtliche Management sich nicht an seine Zahlungsverpflichtungen gehalten hat«. Natürlich sieht das chinesische Management das ganz anders. Wie öffentlich einsehbare WeeChat-Nachrichten zeigen, fordert das chinesische Nexperia-Management vom europäischen Unternehmensteil mehr als 1 Milliarde Renminbi an ausstehenden Zahlungen. Angesichts der Tatsache, dass über 1,3 Milliarden Menschen in China WeeChat aktiv nutzen und die App in China 79 Prozent der Internetnutzer erreicht, dürfte klar sein, wer die Deutungshoheit über Nexperia in China hat.
Das Thema Nexperia stand offenbar auch auf der Themenliste von Donald Trump und Xi Jinping während ihrer Gespräche am Rande des APEC-Gipfels im südkoreanischen Gyeongju Ende letzter Woche. Im Anschluss daran erklärte ein Sprecher des chinesischen Handelsministeriums am Samstag letzter Woche: »Wir werden die tatsächliche Situation der Unternehmen umfassend berücksichtigen und Ausnahmen für Exporte gewähren, die die Kriterien erfüllen.« Damit deutet sich an, dass China die am 4. Oktober verhängten Exportkontrollen für Nexperia-Produkte aus China aufheben könnte. Branchengerüchte deuten auch darauf hin, dass die USA Nexperia in dieser Woche von ihrer Entity-Liste streichen könnten.
Auch wenn sich damit auf politischer Ebene eine gewisse Entspannung andeutet, scheint der durch die Ereignisse der letzten Wochen und Monate entstandene interne Schaden und Vertrauensverlust im Unternehmen so groß zu sein, dass inzwischen nur noch ausgesprochene Optimisten von einer gemeinsamen Zukunft der Nexperia-Unternehmensteile in China und Europa ausgehen.