Markt&Technik-Umfrage: Elektronikbranche

»Seit dem Sommer herrscht eine Art Eiszeit«

16. Dezember 2024, 16:00 Uhr | Engelbert Hopf
© sevector/stock.adobe.com

Wie schätzen Strategische Einkäufer und Geschäftsführer aus der Elektronikbranche die aktuelle Marktsituation ein? Die Mehrheit der Befragten hat mit Umsatzrückgängen zu kämpfen, doch es gibt auch erfreuliche Ausnahmen.

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Die deutsche Elektro- und Digitalindustrie hat nach Angaben des ZVEI in den ersten drei Quartalen 2024 ein Zehntel weniger Neubestellungen eingesammelt als 2023. Die Kapazitätsauslastung der Branche lag nach Angaben des Verbands zuletzt sogar unter 75 Prozent. Eigentlich sollte ja alles anders laufen, bestätigt Dr. Andreas Gontermann, ZVEI-Chefvolkswirt: »Die Konjunktur sollte eigentlich spätestens ab dem zweiten Halbjahr wieder anziehen, stattdessen müssen wir feststellen, dass die Erholung bis heute auf sich warten lässt«. Zwar seien die Auftragsrückgänge zuletzt kleiner geworden, »eine wirkliche Trendwende ist aber noch nicht in Sicht«.

Bei den Zahlen des ZVEI handelt es sich um Durchschnittswerte der von den Mitgliedern gemeldeten Daten, es dürfte also Unternehmen mit deutlich größeren Einschnitten geben, wie es auch einige wenige Unternehmen gibt, die fast die Frage stellen könnten: Krise – welche Krise? Wie eine aktuelle Umfrage der Markt&Technik zeigt, ist das aber die absolute Ausnahme. »Der Auftragseingang ist signifikant niedriger als noch vor 18 Monaten«, so Helge Puhlmann, European President von Yamaichi Electronics, »die Situation hat sich bereits Ende des letzten Jahres abgekühlt und seit Sommer herrscht jetzt eine Art Eiszeit – eine sehr schwierige Lage«.

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Puhlmann Helge
Helge Puhlmann, Yamaichi Electronics: »Wir spüren in Deutschland die Versäumnisse der Investitionen in elementare Schlüsselbereiche wie Bildung und Infrastruktur. Dazu kommt, ein Industrieland wie Deutschland kann nicht dauerhaft die höchsten Energiepreise der Welt zahlen.«
© Yamaichi Electronics

Kein Wunder also, dass Wirtschaftsforschungsinstitute in ihren jüngsten Markterhebungen zu dem Schluss kommen, »dass sich die Wettbewerbssituation der deutschen Industrie in den vergangenen zwei Jahren so stark verschlechtert hat, wie nie zuvor seit Beginn unserer Erhebung im Jahr 1994«, so der Stefan Sauer Experte beim ifo Institut. So falle die Bewertung der eigenen Wettbewerbssituation in allen Industriebranchen sehr negativ aus, insbesondere, wenn es um Auslandsmärkte gehe. Sein Chef, Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts, kommt angesichts des weiter rückläufigen ifo-Geschäftsklimaindex zu dem Fazit, »der deutschen Wirtschaft fehlt es an Kraft«.

Wie sich die aktuelle Situation etwa für ein Unternehmen wie Phoenix Contact darstellt, hatte bereits Mitte November auf der SPS Ulrich Leidecker, COO des Unternehmens, erläutert: »Die Unternehmensgruppe wird 2024 mit einem Umsatzrückgang auf etwa 3 Milliarden Euro abschließen«. Aktuell würde das Unternehmen nur in bestimmten Nischenmärkten wie etwa im Bereich Smart Grids oder Ortsnetzstationen, Data Center und auch der Logistik Wachstum erzielen. »Unsere klassischen Hauptmärkte, wie der Maschinenbau und auch die Automobilindustrie, kämpfen mit starken Rückgängen. Die Nischenmärkte können die Verluste in den Kernbereichen nicht vollständig kompensieren«.

Aus Sicht von Marc Schwehm, Mitglied der Geschäftsleitung der BMK-Group und verantwortlich für Supply Chain Management und kaufmännische Zentralfunktionen, verzeichnete die deutsche Wirtschaft speziell im zweiten Halbjahr 2024 einen starken Rückgang, »ungewöhnlich ist, dass sich der Nachfrageeinbruch speziell in Europa und Deutschland branchenübergreifend zeigt. Ausgenommen sind nur die Bereiche Wehr- und Medizintechnik sowie Nischenmärkte mit Hidden Champions«. Für 2025 rechnet er Stand heute mit einer Stabilisierung des Geschäfts, erstes Marktwachstum erwartet er aber erst im 3. Quartal nächsten Jahres.

Leidecker Ulrich
Ulrich Leidecker, Phoenix Contact: »Wir müssen damit aufhören, einen Sonderwirtschaftsraum mit Regularien aufzubauen, den sonst niemand auf der Welt hat. Damit nehmen wir uns aus der Wettbewerbsperspektive heraus und bürden uns Wettbewerbsnachteile auf.«
© Phoenix Contact

Als herausfordernd, aber immerhin stabil, bezeichnet Uwe Strom, Leiter des strategischen Einkaufs bei ebm-papst den Verlauf des aktuellen Geschäftsjahres. »Wir hatten gehofft, dass sich die wirtschaftliche Lage im Laufe des Jahres deutlich verbessern würde, aber die anhaltenden globalen Unsicherheiten und die schwache Nachfrage haben unsere Erwartungen gedämpft«. Bei ebm-papst rechnet man erst im nächsten Jahr mit einer Erholung, »in Nordamerika und Asien-Pazifik, sind wir bereits auf einem guten Weg«.

Im Hinblick auf die Gründe für die verhaltene Situation auf dem deutschen Markt, hat Jean von Redwitz, Director Sales und Member of Board bei CEMS zumindest für die Segmente der weißen und braunen Ware eine Erklärung: »Speziell die unsichere und teils orientierungslose politische Situation zeigt sich stark in einer Kaufzurückhaltung, das betrifft nicht nur den Bereich der weißen und braunen Ware, sondern auch TV, Automotive sowie den Haus- und Wohnungsbau«. Eine Kerbe, in die auch Benjamin Thomson, Einkaufsleiter bei inpotron Schaltnetzteile schlägt: »Es ist aktuell noch sehr viel Liquidität in Lagern gebunden, was die Handlungsfähigkeit beeinträchtigt, dazu kommt die schleppende Umsetzung von Maßnahmen zur Marktstimulation, wie etwa die Förderung von Schlüsseltechnologien, was den Aufschwung bremst«.

Dr. Andreas Gontermann, ZVEI: »Übernahmen stellen damit nicht per se eine Gefahr dar, sondern nur dann, wenn sie mit Wettbewerbsverzerrungen einhergehen.«
Dr. Andreas Gontermann, ZVEI: »Bei einem zunehmenden Protektionismus kann es zu Umlenkungseffekten kommen. Doch Einschränkungen von Freihandel und offenen Märkten bringen unter dem Strich Wohlstandsverluste für alle Volkswirtschaften.«
© ZVEI

Eine Möglichkeit, sich der eingetrübten Marktsituation in Teilen zu entziehen, sieht Ulrich Ermel, COO und Vorstandsmitglied der Fortec Gruppe, darin, »auf langfristigere und resilientere Marktbereiche zu setzen«. Ein besonders herausforderndes Problem der aktuellen Situation sieht er auch im »Elektronik-Paradoxon«, der Tatsache, dass bei niedrigerer Auslastung sich die Qualitätsfehler häufen. »In solchen Zeiten zeigt sich, wer die Qualität seitens der Zulieferer auch wirklich im Griff hat«. Für ihn ein Argument, »im Einkauf weiter zu konsolidieren sowie das Preis-Qualitätsniveau auf der Zuliefererseite zu verbessern«.

Es gibt aber auch in der aktuellen Situation Unternehmen der Elektronikbranche, die offenbar sehr gut mit den wirtschaftlichen Herausforderungen zurechtkommen. »Wir haben für 2024 eine schlechtere Situation erwartet, aber tatsächlich zeichnet sich für uns sogar ein leichtes Wachstum im einstelligen Bereich ab«, berichtet etwa Oliver Walter, CEO der Camtec Power Supplies, »und unsere Lieferzeiten ziehen schon wieder ordentlich an«. Ganz ähnlich das Statement von Werner Suter, Managing Director der Schweizer Tefag Elektronik: »Wir haben 2024 zu Jahresbeginn wesentlich negativer eingeschätzt, als es jetzt enden wird«. Eine kurz- oder mittelfristige Einschätzung für die Zukunft will er aber nicht abgeben: »Das wäre reine Spekulation, die Lage ist dafür einfach zu unsicher«.

von Redwitz Jean
Jean von Redwitz, CEMS: »Die Wahl von Trump wird kurzfristig zu einem Anstieg von Aufträgen führen, da viele amerikanische Unternehmen Produkte aus Europa benötigen, und diese vor der Einführung der Zölle noch importieren werden.«
© Componeers GmbH

Christian Blersch, Geschäftsführer der E.E.P.D., freut sich darüber, »dass der Auftragsbestand zum Jahresende erfreulich gestiegen ist, und die Auslandsmärkte wieder verstärkt nachfragen«. Vor diesem Hintergrund geht er von einer deutlichen Erholung für das Jahr 2025 aus. Ähnlich optimistisch ist man beim österreichischen Stromversorgungsspezialisten Recom Power. »Die Lage hat sich etwas stabilisiert, wir rechnen für 2025 mit einem zweistelligen Wachstum und sind zuversichtlich, unsere zahlreichen neuen Produkte erfolgreich am Markt platzieren zu können«, so Gerhard Reifner, Head of Corporate Supply Chain Management & IMS.

Ein Beispiel dafür, wie man als Spezialist in einem Nischenmarkt durch diese Zeit kommt, ist die Metrona Union, die als Systemhaus der zentrale Partner der Unternehmensgruppe Brunata-Metrona ist, die auf die Konzeption, Entwicklung und Fertigung von Sensorsystemen für Wohn- und Gewerbegebäude in einer digital vernetzen Welt spezialisiert ist. »Unsere Auftragslage ist sehr gut und seit rund einem Jahr ungewöhnlich hoch«, so Geschäftsführer Dieter Kocevar, »vor diesem Hintergrund rechnen wir auch für 2025 mit einem sehr guten Jahr«!

So unterschiedlich sich offenbar das laufende Geschäftsjahr für verschiedene Unternehmen der deutschsprachigen Elektronikbranche darstellt, so unterschiedlich sind auch ihre Einschätzungen hinsichtlich der Auswirkungen der Präsidentschaftswahlen in den USA und der anstehenden Bundestagswahl in Deutschland. So geht etwa von Redwitz davon aus, »dass die Wahl von Trump kurzfristig zu einem Anstieg der Aufträge führen wird, da viele amerikanische Unternehmen Produkte aus Europa benötigen und diese wohl noch vor der Einführung möglicher Zölle importieren werden«.

Walter Oliver
Oliver Walter, Camtec Power Supplies: »Wer bisher beim Derisking geschlafen hat, und seine Produktion nicht rechtzeitig aus China in andere asiatische oder afrikanische Länder verlagert hat, könnte in den Fokus von Schutzzöllen geraten, die wohl schrittweise über 2025 bis 2026 eingeführt werden.«
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Inpotron-Manager Thomsen meint, dass die Wiederwahl von Trump global zu einer Neuorientierung der Handelsströme führen könnte: »Besser eine klare Linie als weiterhin Ungewissheit«. Darüber hinaus drückt er die Hoffnung auf eine höhere Stabilität der deutschen Außenpolitik aus, »was dem Ansehen in den Ländern mit hohen Importvolumen aus Deutschland zugutekommen würde, was ja zuletzt sehr gelitten hatte«. Auch wenn Donald Trump bekanntermaßen durchaus zu sehr radikalen Richtungsänderungen bereit sei, so Kai Heinemann, General Manager Development and Product Management bei der Block Transformatoren-Elektronik, »kann auch er globale Megatrends nicht komplett rückgängig machen, auch wenn er das vielleicht gerne möchte«. Eine kurzfristige Förderung von klimaschädlichen Technologien wird darum nach seiner Einschätzung nur bedingt zu einem langfristig erfolgreichen Geschäftsfeld in den USA führen.

Wie die M&T-Umfrage zeigt, beurteilt die Mehrheit der Befragten in der deutschsprachigen Elektronikbranche den Führungswechsel in den USA positiv. »Die Wirtschaft in den USA ist nach der Wahl generell wieder positiv gestimmt«, so etwa der Eindruck von Blersch, »man kann sagen, dass es wieder eine Richtung gibt, auf die man sich einstellen kann, wir gehen deshalb aktuell eher von einer positiven Auswirkung der Handelspolitik der USA auf unser Geschäft aus«.

Zu möglichen stimulierenden Auswirkungen der anstehenden Bundestagswahl Ende Februar 2025, zeigen sich die Befragten in der aktuellen Befragung deutlich zurückhaltender. Warum das so ist, und wo die Industrie die größten Probleme sieht, machte Phoenix Contact COO Leidecker bereits auf der SPS deutlich: »Wir belasten uns mit einer wachsenden Überregulierung und Überbürokratisierung unseres Wirtschaftsraums in Deutschland und Europa. Wir müssen damit aufhören, einen Sonderwirtschaftsraum mit Regularien aufzubauen, die sonst niemand in der Welt hat. Gegenüber Asien und Amerika nehmen wir uns so aus der Wettbewerbsperspektive heraus und bürden uns Wettbewerbsnachteile auf«. Eigentlich eine klare Handlungsanweisung für eine neue Bundesregierung.


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