Rund 170.000 Besucher aus 133 bescherten der diesjährigen InnoTrans als Weltleitmesse für Verkehrstechnik und Mobilität einen neuen Besucherrekord, der sogar die Zahlen aus der Vor-Corona-Zeit übertraf. Der Schwerpunkt der knapp 300 Aussteller ruhte auf den Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit.
Auch wenn weltweit der Anteil des elektrifizierten Schienennetzes wächst, muss vielerorts noch auf Diesel als Energieträger zurückgegriffen werden. Wasserstoff könnte sich hier in Zukunft zur entscheidenden Alternative entwickeln. Einmal mehr diente die InnoTrans in Berlin als Bühne für das, was in diesem Bereich möglich ist. Präsentierte dort 2016 Alstom mit dem Coradia iLint den ersten Wasserstoffzug für den Personentransport, zeigte in diesem Jahr die China Railway Rolling Stock Corporation, kurz: CRRC, der größte Schienenfahrzeughersteller der Welt, was in diesem Bereich heute möglich ist.
Der CO2-freie Intercity-Personenzug Cinova H2 erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h, ist in der Lage, als Viererformation über 1000 Fahrgäste zu befördern, und hat bei 160 km/h eine Reichweite von 1200 km. Das wäre mehr als die Strecke von Berlin nach London und pro Passagier und Kilometer würden weniger als 0,3 g Wasserstoff verbraucht. Bei einer geschätzten jährlichen Fahrleistung von rund 300.000 km würde jeder dieser Züge gegenüber einem mit Diesel betriebenen Zug den Kohlendioxidausstoß um etwa 730 Tonnen pro Jahr reduzieren.
Während die Schienenfahrzeughersteller, wie auf der Messe an verschiedenen Ständen deutlich wurde, bereit sind, das Thema Wasserstoffzug aufzugreifen und zu unterstützen und sich somit weltweit ein Weg in einen zunehmend emissionsfreien Personen- und Güterverkehr eröffnet, schreitet in Europa und hier speziell auch bei der Deutschen Bahn eine andere Entwicklung voran, die durchaus revolutionär zu nennen ist. Das jahrzehntelang für eine breite Palette von Sprach- und Datendiensten genutzte Funkkommunikationssystem GSM-R wird ab 2027 durch das Future Railway Mobile Communication System, kurz: FRMCS, abgelöst.
Bisher auf dem 2G-Mobilfunkstandard basierend, gelingt mit dieser Umstellung der Sprung in die 5G-Welt. Kein Wunder also, dass für Daniel Leimbach, Head of Customer Unit Western Europe und Vorsitzender der Geschäftsführung der Ericsson GmbH, Lösungen für dieses zukunftsweisende Mobilfunksystem für den Bahnbetrieb im Mittelpunkt der diesjährigen Messeaktivitäten von Ericsson stehen. Er verweist auf ein Schlüsselprojekt, das zu diesem Zweck in Deutschland derzeit durchgeführt wird, den Gigabit Innovation Track, GINT. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame Initiative von Ericsson, O2 Telefónica und Vantage Towers, die darauf abzielt, Hochgeschwindigkeits-Internetverbindungen in Zügen zu ermöglichen. »Solche 5G-Mobilfunkkorridore«, so Leimbach, »sollen zukünftig zum einen eine nahtlose Konnektivität für Fahrgäste gewährleisten und gleichzeitig die Digitalisierung des Schienenverkehrs weiter vorantreiben«. Zukunftsprojekte wie autonom fahrende Züge sind ohne Echtzeit-Datenübertragung vom Zug zur Signaltechnik und umgekehrt gar nicht denkbar. Zu den Voraussetzungen für das Ausrollen von FRMCS zählen allein in Deutschland rund 20.000 neue Funkmasten entlang des Schienennetzes.
Während Kontron Transportation auf der Messe unter anderem über ihre Aktivitäten in Sachen FRMCS informiert, beschäftigt die Kommunikationstechnik-Spezialisten noch ein anderes Thema auf der Messe, nämlich die Herausforderungen durch die Vorgaben des anstehenden European Cybersecurity Act. Im Kern geht es für die Firmen dabei um die Interpretation der IEC 62443. »Im Gegensatz zum Automobil- und Medizintechnikbereich hat es die Bahntechnik bislang versäumt, sich hier auf einen einheitlichen Branchenstandard zu verständigen«, beschreibt Alexander von Allmen, Senior Manager Product Management & Business Development bei duagon, das Problem. »Aus diesem Grund besteht bislang eine gewisse Interpretationsfreiheit bei der Erfüllung der IEC 62443.«
Im Kern geht es dabei darum, welche bekannt gewordenen Schwachstellen der Software gemeldet werden müssen, in welchem Zeitraum das jeweilige Problem zu fixen ist, und andere klassische Herausforderungen, die mit dem Thema Cybersecurity verbunden sind. Auch Matthias Fricker, Product Manager Transportation bei NetModule, bestätigt, dass in der Branche intensiv daran gearbeitet werde; »der Treiber dieser Entwicklung ist die Norm und ihre entsprechende Umsetzung bis zum April 2027«. Er macht aber auch darauf aufmerksam, dass die Frage, wie viel mehr an Daten und Transfervolumen benötigt wird, sehr von den unterschiedlichen Anforderungen in den Regionen abhängt: »Da gibt es die, die alles vernetzten, was nur irgendwie geht, und dann gibt es strukturschwache Regionen, in denen nur so etwas wie eine Basislösung nachgefragt wird.«
Fast jedes neue Zusatz-Device, das etwa den Komfort und die Sicherheit im Fahrgastbereich erhöht oder die Kommunikation vom Zug zur Signaltechnik verbessert, benötigt zusätzlichen Strom. Und so steigt der Strombedarf im und am Zug kontinuierlich – sehr zur Freude der im Bahnbereich tätigen Stromversorgungsspezialisten. »Ein Box-PC hat früher vielleicht 70, 80 W benötigt«, so Giovanni Rodio, Vertriebsleiter der zur Fortec-Gruppe gehörenden Autronic Steuer- und Regeltechnik, »heute bewegt sich der Leistungsbedarf bei 250 W«.
Ähnlich verhalte es sich mit all den 5G-Modulen in den Zügen, »da sind wir inzwischen auch beim Wunsch nach 120-W-Lösungen angekommen«. Ein anderes Thema, das zunehmend an Bedeutung gewinnt, sind Gewichteinsparungen, wie Michael Peters, Business & Product Manager bei Recom, bestätigt. Eine Forderung, der die Power-Spezialisten in Summe dank gestiegener Leistungsdichten ihrer Produkte relativ problemlos nachkommen können. »Mit neuen Konzepten wie etwa den Wasserstoffzügen eröffnen sich für uns dann auch wieder neue Einsatzmöglichkeiten wie etwa DC/DC-Wandler mit Eingangsspannungen von 200 bis 800 V.«
Doch auch bei kleineren Spannungen und Ausgangsleistungen gibt es einen wachsenden Bedarf. »Ein wirklicher Megatrend in den Zügen ist Power over Ethernet«, berichtet Martin Tenhumberg, Geschäftsführer Traco Power Deutschland. »Das ist die einfachste Methode, um die ganzen Überwachungskameras und Router im Zug zu versorgen.«
Und wie steht es um die Bahntechnik im Allgemeinen, weist sie ähnliche konjunkturelle Bremsspuren wie andere Marktsegmente auf? »Der Bahnbereich entwickelt sich weiterhin sehr, sehr gut«, versichert Steffen Heinrich, Segment Manager Railway bei MTM Power. »Es ist nur so, dass in naher Zukunft diverse Projekte wie etwa FRMCS, die digitale Kupplung, die allgemeine Digitalisierung der Bahntechnik oder als Zukunftsziel das autonome Fahren anstehen und sich die Frage stellt, woher das Geld kommen soll, um all diese Projekte gleichzeitig voranzutreiben, und deshalb wird die Frage sein, welche Projekte in Zukunft priorisiert werden.«
»Im Vergleich zum Maschinenbau, der Einbrüche von bis zu 30 Prozent verkraften muss, geht es der Bahntechnik weiterhin sehr gut«, stellt Dimitrios Koutrouvis , Managing Director der Lütze Transportation, fest. »Da kommt nach der Phase der Pandemie zwar wieder der Preisdruck auf uns zu, aber letztlich bewegen wir uns in einer Welt der langfristigen Planungen und der steigenden Volumen.« Zwar werde in China, dem größten Bahnmarkt der Welt, »der Spalt in der Tür immer kleiner und kleiner«, dafür eröffnet sich »zugängliches Wachstum« in anderen Regionen der Welt, etwa in Indien.