Smart Village und Knowledge-City

Ägypten als neuer Hightech-Hotspot

14. Oktober 2025, 8:30 Uhr | Heinz Arnold
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Hightech statt Hieroglyphen: Ägypten entwickelt sich zum Hotspot für IT und Elektronik – und begeistert mit moderner Infrastruktur, klugen Köpfen und einem starken Gründergeist. Internationale Konzerne und Start-ups entdecken das Land neu – als Standort für Innovation.

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Wer an Ägypten denkt, wird nicht auf Anhieb eine florierende IT und Elektronikindustrie vor Augen haben. Doch Insider wissen, dass große internationale Unternehmen, unter anderem aus Europa und Deutschland, schon vor vielen Jahren Niederlassungen in Ägypten eröffnet haben. Viele davon sind in Kairo angesiedelt. Dort sind zwei beeindruckende Technologieparks entstanden: Smart Village bei Gizeh westlich von Kairo und Knowledge City in der New Administration Capital, die gerade mit Hochdruck gebaut wird. Sie liegt am östlichen Rand von Kairo, ihre Gesamtfläche beträgt 700 km². Der Campus mit der Egypt University of Informatics sowie moderne Gebäude für Unternehmen sind dort bereits fertiggestellt. Dort befinden sich Labors und Zentren für Forschung und Innovation im Elektronikumfeld.

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Ägypten als neuer Hightech-Hotspot

Der Sitz der ägyptischen Information Technology Development Agency (ITIDA) im Smart Village (ITIDA)
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Blick ins Smart Village, das westlich von Kairo in der Nähe von Gizeh liegt.
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Der Firmensitz von Brightskies in Smart Village
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Wer durch die Smart Village bei Gizeh fährt, traut seinen Augen nicht: Eben noch hatte sich der Fahrer über eine Stunde durch den chaotischen Verkehr Kairos gekämpft, und plötzlich rollt das Auto über breite, gut geteerte Straßen durch ein Stadtviertel mit großen modernen Gebäuden im typischen Stil, in dem High-Tech-Unternehmen heute gern bauen.

Si-Vision_Hauptsitz in Kairo_Stadtteil Sheraton Heliopolis
Das Firmengebäude von Si-Vision im Kairoer Stadtteil Sheraton Heliopolis.
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Eines der ersten ausländischen Unternehmen, die in Ägypten ein gutes Geschäft gewittert hatten, ist Valeo. Es ist seit 2005 in Kairo aktiv und sitzt heute in hochmodernen Gebäuden in Smart Village. Dort betreibt Valeo sein größtes Entwicklungszentrum mit über 3000 Mitarbeitenden und ist damit zugleich der größte Arbeitgeber am Ort. Zu den weiteren bekannten Unternehmen in Smart Village zählen neben Bosch und Siemens sowie ZTE, Microsoft und Dell viele kleinere und mittelständische Unternehmen, unter anderem aus der Embedded-Systeme-Branche.

Der Sektor entwickelt sich rasant: »Der ägyptische ICT- und Elektroniksektor wächst mit 17 Prozent pro Jahr«, sagt Ahmed Mohamed Alaa von der ägyptischen Information Technology Development Agency, kurz ITIDA. Er rechnet damit, dass schon im kommenden Jahr hundert nationale und internationale High-Tech-Elektronik- und Embedded-Design-Häuser in Ägypten aktiv sein werden.

Ägyptens größte Halbleiterfirma

Die größte Halbleiterfirma in Kairo ist Si-Vision, die 2007 gegründet wurde. Sie hat sich auf die Entwicklung von Wireless-, Power-Managemet- und High-Speed-Interface-IP fokussiert und beschäftigt rund 900 Ingenieure. Der Hauptsitz des Unternehmens, dessen Wurzeln noch auf Anacad und Mentor Grafics zurückgehen, befindet sich im Stadtteil Sheraton Heliopolis. Seit 2015 arbeitet Si-Vision exklusiv für Synopsys. »Seitdem sind wir schnell gewachsen. Haben wir damals noch für drei Kunden gearbeitet, so sind es heute 15, darunter ST, Analog Devices und Valeo«, sagt Ahmed Salah, Executive VP von Si-Vision. »Eine Win-win-Konstellation!« Besonders freut ihn, dass die Erfolge der Halbleiterindustrie in Ägypten nun auch international gesehen werden. So hat die Global Semiconductor Alliance (GSA) 2022 ein ägyptisches Chapter gegründet.

Zusammen mit der ITIDA wollen Si-Vision und Synopsys das Design von ICs und Systemen in Ägypten weiter ausbauen. 2018 hat die Si-Vision Academy ihre Arbeit aufgenommen. »Hier bilden wir Studenten auf höchstem Niveau aus – und zwar kostenlos«, sagt Ahmed Salah. Dennoch werden sie sich nach der Ausbildung nicht automatisch von Si-Vision übernommen, sondern dürfen sich nach Belieben entscheiden, für welches Unternehmen sie arbeiten wollen. »Damit wollen wir dafür sorgen, dass dem Markt genügend Ingenieure zur Verfügung stehen und die Halbleiterindustrie in Ägypten weiter wachsen kann«, erklärt Salah.

 

Es gibt viele Gründe, die zusammen den Ausschlag dafür geben, dass schon so viele Unternehmen vor Ort sind, auch aus Europa und Deutschland. Ganz wichtig ist die große Zahl der auf höchstem Niveau ausgebildeten Ingenieure, die keinen Vergleich mit ihren Kollegen aus Europa, den USA oder Asien scheuen müssen. Beispielsweise die Elektronik-Ingenieure aus den Sektoren Halbleiter-Design, EDA, Test bis hin zur Entwicklung von Embedded-Systemen.

In den Technologiezentren wie Smart Village und Knowledge City – die auf Initiative der ITIDA auch an weiteren Standorten wie Alexandria und Assud entstehen – sind nationale und internationale Firmen vertreten, aber auch Universitäten und Labors. Der Austausch zwischen dem akademischen Sektor und der Industrie ist intensiv. In den Technologieparks gibt es nicht nur attraktive Gebäude mit Büroräumen und die zugehörige Infrastruktur, dort kann auch produziert werden: Von der Leiterplattenbestückung bis zum 3D-Druck ist alles vorhanden, was erforderlich ist, um Prototypen zu entwickeln, zu testen und zur Produktionsreife zu bringen. Von IoT über Industrie 4.0, bis zur Robotik und AR/VR reicht das Spektrum. Wer hier investiert, kann bis zu 50 Prozent Zuschuss auf die Kosten für Designbüros und Produktionsflächen erhalten.

Hicham Arfam COO von Brightskies
Hicham Arafa, COO von Brightskies: »Mit unserem Reservoir an exzellent ausgebildeten Ingenieuren in Ägypten und unserem Know-how in der Entwicklung und in der Fertigung wollen wir der europäischen Automotive-Industrie helfen, agiler und schneller zu werden.«
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Das zieht mehr und mehr Unternehmen aus dem Ausland an, aber auch die ägyptische Elektronikindustrie profitiert davon und entwickelt sich prächtig. Weil nichts erfolgreicher ist als der Erfolg, zieht es viele gut ausgebildete Ingenieure wieder zurück nach Ägypten, die früher ins Ausland gegangen sind, um dort Karriere zu machen.

»Nicht zuletzt die Aktivtäten der ITIDA haben dafür gesorgt, dass sich die Situation jetzt vollkommen geändert hat. Immer mehr Top-Ingenieure kehren in ihre Heimat zurück, weil sie sehen, dass sich hier viele Chancen bieten. Sie wollen beim Aufbau der ägyptischen Elektronikindustrie dabei sein, arbeiten als Professoren, als Manager und als Gründer von Start-ups«, berichtet Alaa.

Ahmed Mohamed Alaa von der ITIDA und Heinz Arnold von Componeers GmbH
Im Gebäude der der ägyptischen Information Technology Development Agency (ITIDA) in Smart Village: Ahmed Mohamed Alaa von der ITIDA im Gespräch mit Heinz Arnold. Die ITIDA ist dafür zuständig, die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie in Ägypten zu fördern und zu entwickeln.
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Diesen Weg ging auch Hicham Arafa, heute COO der ägyptischen Brightskies. Er schloss 1994 sein Studium der Elektrotechnik in Kairo ab und arbeitete unter anderem bei Intel. 2003 kehrte er nach Ägypten zurück, wo er zunächst am Aufbau der ägyptischen High-Tech-Industrie mitwirkte. 2011 zog es ihn wieder in Forschung und Entwicklung zurück, er stieg bei Valeo in Ägypten ein. 2017 stieß er zu Brightskies, dessen Gründer er noch aus seiner Zeit bei Intel kannte. Inzwischen beschäftigt Brightskies 450 Mitarbeitende an Standorten in Ägypten sowie in Dubai, Saudi-Arabien und Nürnberg. »Mit unserem Reservoir an exzellent ausgebildeten Ingenieuren in Ägypten und unserem Know-how in Entwicklung und Fertigung wollen wir der europäischen Automotive-Industrie helfen, agiler und schneller zu werden. Wir können uns gut ergänzen, denn schnell sind wir hier bereits – und das auf einem sehr hohen Qualitätsniveau. Das ergänzt sich gut!«

Ganz ähnlich sieht das Saffeyeldin Khalil, CEO des ägyptischen Embedded-Systeme-Spezialisten Seitech: »Ich habe die Vorzüge des Standorts Ägypten gekannt, vor allem, dass es hier zahlreiche gut ausgebildeten Ingenieure gibt. Ägypten ist ein Ingenieurland, auch wenn es sich in Deutschland noch nicht so stark herumgesprochen hat.«

Deshalb hatte er im Jahr 1919 in Kairo Seitech gegründet, das ebenfalls in Smart Village residiert. Dort entwickelt Seitech Embedded-Systeme für die Automobilindustrie und führt Tests durch. Das sei nach den Worten von Khalil kein Problem: »Prototypen nach Kairo zu schicken, dauert zwei bis drei Wochen und funktioniert völlig problemlos.« Sogar Radartests hat Seitech für einen deutschen Automotive-Kunden durchgeführt. »Wenn Radar geht, geht alles!«, meint Khalil.

Besonders interessant findet er es, mit der deutschen Automobilindustrie zusammenzuarbeiten. »Die chinesischen Hersteller setzen die Automobilindustrie in Deutschland unter Druck, sie müssen schneller werden, aber die chinesischen Unternehmen auch nicht kopieren, sondern ihre eigene Art und Weise entwickeln, die Technologie neu zu betrachten. Ziel ist es, agiler und effektiver zu werden«, erklärt Arafa.

Deshalb hatte Seitech schon 2021 in Ludwigsburg eine Niederlassung gegründet. »So können wir das Beste aus beiden Welten bieten.« Bei den Anwendern stößt das Konzept von Seitech offenbar auf Zuspruch: Das Unternehmen ist seit der Gründung schnell gewachsen und hat derzeit 250 Mitarbeitende.

Im Büro von Fortec in Kairo in Knowledge Village
Im Büro von Fortec in Knowledge City
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Umgekehrt hat Fortec vor eineinhalb Jahren den Sprung von Deutschland nach Ägypten gewagt und ein Büro in Smart Village eröffnet. Vor Kurzem ist Fortec nach Knowledge City umgezogen und beschäftigt dort bereits zwölf Mitarbeitende. »Hier arbeiten wir in enger Nachbarschaft zu großzügig eingerichteten Laboren, zu denen wir und die Universität Zugang haben. Es besteht ein enger Austausch zwischen unseren Mitarbeitern sowie den Studenten, den Dozenten und Professoren«, sagt Ulrich Ermel, Geschäftsführer von Fortec. »Die Unterstützung durch die ITIDA ist sehr gut, sie räumt vor allem viele bürokratische Hürden aus dem Weg.«

Besonders engagiert ist die ITIDA in der weiteren Ausbildung der Ingenieure, beispielsweise, um sie zu Embedded-Systeme-Experten zu machen, sodass sie sofort bei den entsprechenden Unternehmen einsteigen können. Eine Firma, die ihre Mitarbeiter in solche Kurse schickt und sie anschließend übernimmt, der muss für die Ausbildung nichts bezahlen. Davon profitieren alle Unternehmen, die in den Technologie-Hubs angesiedelt sind – die großen wie Valeo oder STMicroelectronics ebenso wie Mittelständler wie der Embedded-Systeme-Spezialist Fortec.

Inzwischen hat sich eine quirlige Start-up-Szene in den Technologiezentren gebildet. Das Gebäude, in dem Fortec seine Büros und Labors eingerichtet hat, haben mehrere davon als Domizil gewählt. Darunter die 2024 gegründete ATOMS, die mit ihrer KI-basierten Plattform »TestFlow« für die Hardware-Validierung die Validierungszeit um bis zu 85 Prozent reduziert. »Das ist keine schrittweise Verbesserung, das ist eine Revolution!«, erklärt Mitgründer und CEO Ali Kamali selbstbewusst. Ein paar Räume weiter residieren PhotonSmart Ecosystem, das auf Basis von Edge-Computing und drahtlosen Technologien wie Wi-Fi, Thread and Bluetooth dafür sorgt, dass Produkte unterschiedlicher Hersteller in Smart-Home-Umgebungen interoperabel funktionieren, und nrftiX, das sich auf die Entwicklung von Sensorsystemen spezialisiert hat.

Saffeyeldin Khalil CEO von Seitech
Saffeyeldin Khalil, CEO von Seitech: »Prototypen nach Kairo zum Test zu schicken, dauert zwei bis drei Wochen und funktioniert völlig problemlos. Wir haben sogar schon Radar-Tests für einen deutschen Automotive-Kunden durchgeführt.«
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Was Ägypten zudem für nationale und internationale High-Tech-Unternehmen gleichermaßen so interessant macht, ist außer den guten Verbindungen zu Europa, dass sich der arabische Markt vielversprechend entwickelt. »Wir verspüren eine starke Nachfrage nach IoT-Produkten wie Asset-Management, Tracking und Fleet-Management, besonders aus Saudi Arabien«, freut sich Khalil, dessen Unternehmen nicht nur Engineering-Services im Embedded-Sektor anbietet, sondern auch eigene IoT-Produkte entwickelt und vermarktet.

Diesen Aspekt nennt auch Ulrich Ermel von Fortec als einen der ausschlaggebenden Gründe dafür, dass sich Fortec in Ägypten engagiert: Der Standort Kairo öffnet der FORTEC Group die Tür zur gesamten arabischen Welt und der MENA-Region. „Wir sehen Ägypten nicht nur als Produktions- und Entwicklungsstandort. Das Land bietet uns strategischen Zugang zum arabischen Markt, der stark wächst und zunehmend technologische Lösungen nachfragt.«


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