Logistikkosten und Lieferzeiten sinken

Wie der 3D-Druck die Supply Chain revolutioniert

3. Juni 2025, 7:52 Uhr | Heinz Arnold
Expertenrunde auf der Hannover Messe im Rahmen der Podiumsdiskussion »Nachhaltige Ersatzteillogistik durch 3D-Druck vor Ort«: Ghebredekus Ashera (VDMA, 2.v.l.), Dr. Max Siebert (Replique, Mitte), Stefan Bamberg (WIBU-Systems, 2.v.r.) und Oliver Winzenried (WIBU-Systems, rechts)
© Componeers GmbH

Der 3D-Druck verändert die Supply Chain nachhaltig, denn über ihn lassen sich Ressourcen, Transport, Bürokratie und viel Geld sparen. Der Umgang mit Ersatzteilen und abgekündigten Produkten vereinfacht sich deutlich, wie eine Expertendiskussion auf der Hannover Messe zeigte.

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Produkte von dort, wo sie fabriziert werden, um die ganze Welt zu versenden, ist zeitaufwändig, erzeugt viel CO2, ist teuer – und anfällig für Störungen, die – das wissen wir spätestens seit Corona – zu erheblich Verzögerungen führen können. Oft reicht es schon, wenn ein wenig spektakuläres Teil in einer Fertigungsstraße ausfällt, die daraufhin stillsteht. Doch jede Stunde eines Produktionsausfalls kann Verluste in der Höhe von Millionen Euro bedeuten.

Grund genug, dass sich eine Expertenrunde auf der Hannover Messe im Rahmen der Podiumsdiskussion »Nachhaltige Ersatzteillogistik durch 3D-Druck vor Ort« näher mit den Chancen und den Risken des 3D-Drucks für die Supply Chain beschäftigte.

Das ist die Herausforderung, vor der die Lieferkette heute steht: Ein Ersatzteil möglichst schnell dorthin zu liefern, wo es gerade dringend benötigt wird, wenn es sein muss, rund um die Welt.

Das bedeutet auch: Die Ersatzteile müssen langfristig vorgehalten werden, binden Kapital und weil sie im Lager altern, müssen sie nach einer gewissen Anzahl von Jahren entsorgt werden. Wie schön wäre es also, wenn die Ersatzteile direkt vor Ort hergestellt werden könnten – und zwar in den Stückzahlen, die gerade benötigt werden.

Bamberg Stefan
Stefan Bamberg, Director Sales & Key Account Management von Wibu-Systems: »Wenn Ersatzteile über 3D-Druck vor Ort bei den Kunden über Auftragsfertigung hergestellt werden, reduzieren sich die Lieferzeiten um bis zu 80 Prozent.«
© Wibu-Systems

3D-Druck macht die Supply Chain digital

Das ist schon längst kein Traum mehr: »Der 3D-Druck macht die Supply Chain digital, dezentral und flexibel – so wie es heute sein soll«, sagte Ghebrekedus Ashera, Referent Service und Projektmanagement beim VDMA, auf der Podiumsdiskussion in Hannover. »Wir betrachten den 3D-Druck als ein wesentliches Element der digitalen Transformation.«

Zumal das Thema Produktlebenszyklus immer mehr in den Fokus der Unternehmen rücke, so Ashera. Schon weil sich das Geschäft mit neuen Maschinen derzeit oft rückläufig entwickle, werde das Ersatzteilgeschäft immer wichtiger. Volatile Märkte, Fachkräftemangel und die Möglichkeit, über den 3D-Druck die Fertigungstiefe zu erhöhen, sorgten ebenfalls dafür, dass die Zulieferer und deren Kunden sich jetzt verstärkt dem 3D-Druck zuwenden würden.

In Lichtgeschwindigkeit vor Ort

Denn wer die Teile vor Ort herstellen kann, spart sich die oben genannten Probleme. Statt das physische Bauteil auf die Reise zu schicken, muss nur das Rezept für seine Herstellung an einen 3D-Druck-Dienstleister in der Nähe des Werks gesendet werden, in dem das Ersatzteil gerade benötigt wird – in Lichtgeschwindigkeit. Dort produziert es ein 3D-Drucker und liefert das Ergebnis über kurze Distanzen an das jeweilige Werk.

Einer der Pioniere: Daimler Buses

Genau das hatten sich die Verantwortlichen bei Daimler Buses überlegt: Hier lassen sich Geld und Ressourcen in erheblichem Umfang sparen. Deshalb beschäftigt sich Daimler Buses schon seit 2016 damit, den 3D-Druck zu einem Bestandteil der Lieferkette zu machen – als eines der ersten Unternehmen weltweit, das den 3D-Druck für ihr Ersatzteilmanagement nutzt. »Wenn Daimler Buses die Ersatzteile über 3D-Druck vor Ort bei den Kunden über Auftragsfertigung herstellen lässt, reduzieren sich die Lieferzeiten um bis zu 80 Prozent«, sagt Stefan Bamberg, Director Sales & Key Account Management von Wibu-Systems, auf der Podiumsdiskussion »Nachhaltige Ersatzteillogistik durch 3D-Druck vor Ort« in Hannover. Bamberg muss es wissen, denn er hat eng mit Daimler Buses zusammengearbeitet, um das 3D-Druck-Liefersystem aufzubauen.

Ashera Ghebredkedus
Ghebrekedus Ashera, Referent Service und Projektmanagement beim VDMA: »Der 3D-Druck macht die Supply Chain digital, dezentral und flexibel – so wie es heute sein soll. Wir betrachten den 3D-Druck als ein wesentliches Element der digitalen Transformation.«
© VDMA

Doch auch wenn es auf den ersten Blick sehr einfach aussieht, schnell mal Ersatzteile vor Ort zu drucken, so tun sich auf den zweiten Blick vielfältige Schwierigkeiten auf. Eine große Hürde ist die Datensicherheit. Die Daten für die Fertigung der jeweiligen Teile dürfen während des Datentransfers und beim 3D-Druck-Dienstleister nicht korrumpiert werden. Dort muss sichergestellt sein, dass nur auf Basis der authentischen Daten gefertigt wird und dass der Dienstleister nur genau so viel Teile drucken kann, wie der Auftraggeber vorsieht – und nicht etwa viel mehr, die er dann auf eigene Rechnung weiterverkaufen könnte.

So kommt Sicherheit in den 3D-Druck

Das ist der Grund, warum Daimler Buses sich an Wibu-Systems wandte, die sich genau darauf spezialisiert haben: Softwareschutz und Lizenzmanagement. Die Anforderungen, die der 3D-Druck an das Sicherheitskonzept stellt, sind ganz ähnlich. Auch hier müssen Daten so geschützt werden, dass der Eigentümer sich sicher sein kann, dass kein Unbefugter Zugriff auf das IP des Zulieferers hat und dass der Auftragsfertiger die Daten weder ändern noch mehr von den Ersatzteilen drucken kann, als der Originalhersteller erlaubt. Es müssen die reinen Bauteiledaten genauso verschlüsselt werden wie weitere für den 3D-Druck erforderliche Daten, die nicht verändert werden dürfen.

»Genau das können wir sicherstellen«, sagt Oliver Winzenried, CEO von Wibu-Systems. »Denn wir sind Experten auf dem Gebiet des Softwareschutzes, der Software-Security und des Lizenzmanagements. Deshalb sind wir schon seit über fünf Jahren im 3D-Druck aktiv und sehen uns als Pioniere auf diesem Gebiet.« Nicht ohne Erfolg, wie Bamberg erklärt: »Daimler Buses kann sich jetzt fast die gesamte Logistik der Lieferkette sparen.«

Softwareschutz und Lizenzmanagement auf 3D-Druck angewendet

So seht das System in der Realität aus: Die Daten für die Additive Fertigung stehen verschlüsselt im »Omniplus3D-Druck«-Lizenzshop von Daimler Buses im »Digitalen Lager« zur Verfügung, von der Arbeitsvorbereitung bis zum Druck. Grundlage ist die Lizenzierungs- und Verschlüsselungslösung »CodeMeter« von Wibu-Systems. Die Produktion erfolgt über von Daimler Buses zertifizierte 3D-Druck-Anlagen oder über ein anderes zertifiziertes 3D-Druck-Center.

»Auch wir bieten eine 3D-Druck-Plattform«, sagt Dr. Max Siebert, CEO und Mitgründer von Replique. »Das bietet viele Vorteile – bei weitem nicht nur im Notfall, wenn ein Bauteil ausfällt und dringend benötigt wird, um weiter fertigen und größere Schäden vermeiden zu können. Ob Luft oder Seefracht, ob Zollprobleme und zeitfressender Papierkrieg – alles entfällt.«

Siebert Max
Dr. Max Siebert, CEO und Mitgründer von Replique: »Die Kosten für den 3D-Druck gehen über die Zeit deutlich zurück. Wir rechnen mit einer Halbierung der Kosten alle zwei Jahre.«
© Replique

60 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet 3D-Druck-Plattformanbieter Replique mit Bauteilen der Losgröße 1. Häufig handele es sich laut Dr. Max Siebert um abgekündigte Bauteile. »Es kommt auf die ganzheitliche Betrachtungsweise an. Es sollte nicht erst angefangen werden, über 3D-Druck nachzudenken, wenn plötzlich ein Ersatzteil fehlt.«

Stefan Bamberg macht auf einen weiteren Aspekt bei den Bussen von Daimler aufmerksam: Sie werden oft viele Jahre gefahren, und über diese Zeit müssen die Teile lieferbar sein. Bei der Typenvielfalt der Busse kommen riesige Zahlen an Ersatzteilen zusammen, die im Lager vorgehalten werden müssen – sie einfach bei Bedarf zu drucken, kommt viel günstiger.

Gerade jetzt spürt er aber auch Bedarf von anderer Seite: »Viele Hersteller schauen intensiv danach, wie sie ihre Effizienz erhöhen und nachhaltiger werden können. Es wird viel mehr repariert als früher, das ist gut für den 3D-Druck.« Und es sei auch gut für den Auftraggeber: »Er muss erst dann Geld ausgeben, wenn ein Auftrag aktuell hereinkommt – gleichzeitig kann er davon profitieren, dass er das Ersatzteil früher als bisher liefern kann.«

»Besonderer Bedarf besteht selbstverständlich, wenn Fertigungsstraßen oder teure Maschinen, Mähdrescher oder Züge wegen eines Teiles ausfallen«, sagt Dr. Siebert.

Aber es gibt auch weitere Gründe, die für den 3D-Druck sprechen. Wenn beispielsweise Formen nicht vorhanden sind, wenn sehr komplexe Bauformen hergestellt werden müssen, bei denen die konventionellen Fertigungsverfahren an ihre Grenzen stoßen, oder auch bei einfachen Bauteilen, deren Fertigung nicht mehr wirtschaftlich ist.

Das sind die Hürden

Doch es gibt auch noch Hürden zu nehmen, die sich dem 3D-Druck für die Herstellung von Ersatzteilen entgegenstellen. Vor allem die Kosten, darüber sind sich die Teilnehmer der Diskussionsrunde auf der Hannover Messe einig. »Doch im 3D-Druck gibt es so etwas wie Moore´s Law auf dem Gebiet der ICs: Die Kosten gehen über die Zeit deutlich zurück. Heute sind nur noch 20 Prozent von dem zu bezahlen, was der 3D-Druck noch vor vier Jahren gekostet hat«, sagt Dr. Siebert. »Das wird sich so fortsetzen: Wir rechnen mit einer Halbierung der Kosten alle zwei Jahre.«

Winzenried Oliver
Oliver Winzenried, CEO von Wibu-Systems: »Wir sind Experten auf dem Gebiet des Softwareschutzes, der Software-Security und des Lizenzmanagements und sehen uns als Pioniere im 3D-Druck. Jetzt nimmt das Thema deutlich an Fahrt auf.«
© Wibu-Systems

Eine weitere Hürde sind fehlende Standards: »Damit das Geschäftsmodell funktionieren kann, müssen Standard-Schutzverfahren etabliert und die Drucker kompatibel werden. Da sind wir noch nicht so weit«, erklärt Oliver Winzenried. Denn die Voraussetzung ist, dass die Technologie von Wibu-Systems in die 3D-Drucker integriert wird. Ein Hersteller von 3D-Druckern muss sich also dafür entscheiden, solche Drucker anzubieten. Diesen Schritt hat der chinesische Hersteller Farsoon bereits getan. »Daimler Buses hat in Kooperation mit Wibu-Systems und Farsoon den Ersatzteileverkauf grundlegend revolutioniert«, freut sich Winzenried. »Der IP-Schutz in Kombination mit der Monetarisierung auf Basis von „CodeMeter“ bereitet den Weg für neue Business-Modelle. Jetzt zeigen viele potenzielle Anwender ernsthaftes Interesse, sie kommen jetzt aktiv auf uns zu«, so Winzenried.

3D-Druck macht Logistik zukunftsfähig

Dr. Max Siebert sieht es ähnlich: »Viele erkennen jetzt, dass die 3D-Infrastruktur vorhanden ist, die sie benötigen. Nun entstehen neue Geschäftsmodelle, das Interesse nimmt exponentiell zu.«

Für Stefan Bamberg ist schon jetzt klar: Die geschätzten Einsparungen in den nächsten Jahren in Millionenhöhe sind nicht nur für Daimler Buses interessant. Das hätten sehr viele Unternehmen inzwischen bemerkt und wären ernsthaft daran interessiert, den 3D-Druck für die Beschaffung von Ersatzteilen und für abgekündigte Teile zu nutzen, um von den Vorteilen profitieren zu können. Und für Ghebrekedus Ashera ist es keine Frage: »Der 3D-Druck in der Supply Chain ist die Zukunft – technologieoffene Unternehmen setzen darauf. Wer zukunftsfähig bleiben will, muss sich einfach damit beschäftigen!«

OMNIplus: So funktioniert der 3D-Druck-Lizenzshop

Viele Ersatzteile liegen in dem 3D-Druck-Lizenzshop von OMNIplus in digitaler Form für den 3D-Druck geeignet vor und können von Busunternehmen und Servicepartnern weltweit erworben und direkt vor Ort gedruckt werden. Die Ersatzteile werden initial verschlüsselt in einem Shop zum Download zur Verfügung gestellt. Der Kunde füllt seinen Warenkorb mit den gewünschten Ersatzteilen. Er erhält einerseits jeweils eine Vorbereiterlizenz zur Druckvorbereitung der verschlüsselten Objekte für die Software Buildstar von Farsoon Technologies und andererseits eine Drucklizenz für die Anzahl der gekauften Objekte, die über die Software Makestar des Unternehmens an dem zertifizierten Farsoon 3D-Drucker angefertigt werden dürfen. Es ist dabei möglich, sowohl verschlüsselte als auch unverschlüsselte Objekte in einem Bauraum zu positionieren, um die Druckkosten pro Job zu minimieren. Die komplette auftragstechnische Abwicklung erfolgt über die Anbindung der «CodeMeter License Central« in das SAP-System von Daimler Buses. Damit ist neben dem Schutz der Objektdaten auch die vollständige Automatisierbarkeit der Auftragsabwicklung realisiert worden.

 


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