Steigende Lieferzeiten und Frachtraten

Wie die Elektronikbranche auf die Krise im Roten Meer reagiert

5. Februar 2024, 14:00 Uhr | Engelbert Hopf
Zuspitzung statt Entspannung: Auch Militärschläge der USA und Großbritanniens halten die Huthi-Milizen bislang nicht davon ab, weiter zivile Handelsschiffe und Tanker im Golf von Aden zu attackieren. In der Folge hat sich das über den Suezkanal abgewickelte Handelsvolumen in den letzten zwei Monaten fast halbiert.
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Unter dem Eindruck der fortlaufenden Raketen- und Drohnenattacken der Huthi-Milizen im Golf von Aden, laufen erste Lager leer, und die Produktionsbeeinträchtigung deutscher Unternehmen werden sichtbar. Ein schnelles Ende des Konflikts scheint ausgeschlossen, Lieferzeiten und Frachtraten steigen.

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Von Beruhigung kann keine Rede sein: Erst vor wenigen Tagen attackierten die Huthi-Milizen wieder Containerschiffe im Golf von Aden, genauer in der Straße von Bab el-Mandeb. Mehrere Militärschläge US-amerikanischer und britischer Kriegsschiffe gegen Radarstellungen und Raketenabschussbasen der Huthi haben bislang keine Wirkung gezeigt - die Fähigkeit der Huthi-Milizen zu weiteren Angriffen scheint ungebrochen. Vielmehr scheinen die Militärschläge der Verteidigungskoalition die Huthis motiviert zu haben, seit Mitte Januar neben Schiffen, die für sie in einem Zusammenhang mit Israel stehen, nun auch Containerschiffe und Tanker, die mit den USA und Großbritannien assoziiert werden anzugreifen.

»Durch das Rote Meer und den Suezkanal gehen große Teile des europäisch-asiatischen Handels, sodass wichtige Vorprodukte für die deutsche Industrie aktuell nicht rechtzeitig ankommen«, stellt Volker Treier, DIHK-Außenwirtschaftschef, fest. Längere Lieferzeiten und steigende Transportkosten in Form höherer Frachtraten sowie zunehmender Versicherungskosten hätten bereits Folgen: »Erste Lager laufen leer, Produktionsbeeinträchtigungen deutscher Unternehmen werden sichtbar.« Jan Hoffmann von der UNO-Welthandels- und Entwicklungskonferenz wird konkret: »Das über den Suezkanal abgewickelte Handelsvolumen hat sich in den letzten zwei Monaten um 42 Prozent reduziert, die Zahl der durch den Suezkanal fahrenden Schiffe hat sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 67 Prozent reduziert.«

Wie groß sind Auswirkungen auf die deutsche Elektronikbranche?

Welche Auswirkungen haben diese Beeinträchtigungen auf die deutsche Elektronikbranche? Durchaus unterschiedliche, wie eine aktuelle Marktumfrage der Markt&Technik zeigt. Bei den Halbleiterunternehmen wie Infineon Technologies oder STMicroelectronics sieht man sich bisher nicht betroffen, »aber man beobachte die Situation«. Eine Einschätzung, die Thomas Grasshoff, Strategiechef bei Semikron Danfoss, im Grunde auch teilt, »aber die Forwarder haben schon Auswirkungen angekündigt, je nachdem, wie lange der Konflikt anhält«. Der Transportweg verlängere sich um zwei bis drei Wochen, »und dann ist ein Abriss möglich«. Aktuell seien die Frachtraten ein Spotgeschäft, »da will sich keiner langfristig festlegen, im Kurzfristbereich sind die Containerraten um etwa 20 Prozent gestiegen«.

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Aktuell – Stand: Ende Januar 2024 – dürfte sich die Zahl der Raketenangriffe auf den Schifffahrtsverkehr im Golf von Aden durch die Huthi-Milizen auf etwa 10 erhöht haben. Da die Militärschläge der USA und Großbritanniens bislang keine Wirkung zeigen, ist wohl davon auszugehen, dass der Schifffahrtsverkehr durch das Rote Meer und den Suezkanal weiter zurückgeht.
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Werden die zu transportierenden Produkte größer und ist Luftfracht nicht die erste Wahl, scheint man sich schon intensiver mit der Situation auseinanderzusetzen. »Wir kalkulieren die verlängerte Seefracht bei Produktions- und Lieferzeitangaben ein. Wo Ware bereits bestellt ist, kommunizieren wir umgehend an unsere Kunden, wo Verzögerungen drohen«, erläutert Alexander Gerfer, CTO von Würth Elektronik eiSos, »und es ist wichtig in diesem Zusammenhang, partnerschaftlich mit unseren Kunden zusammenzuarbeiten und plausibel Auskunft zu geben, damit auf der Kundenseite geplant werden kann«. Aus seiner Sicht ist die Lage derzeit volatil, die Dauer der Einschränkungen nicht abschätzbar.

»Unsere Transferzeit per Schiff von Asien nach Rotterdam hat sich von 42 bis 45 Tagen auf etwa 60 erhöht«, berichtet Oliver Sonnemann, Head of Division Battery Sales bei der Energy Device Division von Panasonic. Zwar wurden die systemseitig hinterlegten Transferzeiten angepasst, »das funktioniert aber nicht bei Schiffen, die bereits unterwegs waren; somit müssen wir alle Lieferbestätigungen manuell anpassen und die Kunden informieren«. Um Bandstillstände bei Kunden zu vermeiden, wird im Einzelfall auf Luftfracht umgestellt. »Da es sich meist um Gefahrgut handelt, müssen die Kunden die nicht unerheblichen Kosten für Luftfracht tragen.«

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Alexander Gerfer, Würth Elektronik eiSos: »Die Lage ist volatil und schwer vorhersehbar, auch die Dauer ist derzeit nicht abschätzbar. Wir tun, was wir können, um die Situation für unsere Kunden und uns bestmöglich zu lösen.«
© Würth Elektronik

Nach Angaben von Sonnemann haben sich die Frachtraten in kurzer Zeit wieder verdoppelt. Schifffahrtsunternehmen würden bei Jahresraten einen Zuschlag verhandeln. Ein weiteres Problem: Die Schiffe aus Asien mit Leercontainern werden nach einer bestimmten Zeit zurückerwartet; treffen sie nicht ein, werden die Container knapp. Sollten zudem das Rote Meer und der Suezkanal wieder befahrbar sein, werden diese Schiffe zusammen mit denen, die um das Horn von Afrika fahren, in den deutschen und europäischen Häfen ankommen. »Dadurch werden sich dort Staus bilden«, warnt Sonnemann.

»Natürlich sind wir von der Situation betroffen«, versichert auch Raphael Eckert, General Manager Sales & Marketing Components bei GS Yuasa Battery Germany. »Der Effekt wird unterschiedlich ausfallen, es wird zu Lieferengpässen und Preiserhöhungen kommen.« So habe der Frachtdienstleister bereits verlängerte Lieferzeiten und Kostenerhöhungen angekündigt. »Wie sich eine weitere Verschärfung auswirken würde, lässt sich heute noch nicht sagen.«

»Der Effekt der Verzögerungen ist, abgesehen von den erhöhten Preisen – da sprechen wir derzeit von rund 30 Prozent –, noch überschaubar«, so Thilo Hack, Vorstand von Ansmann. »Das hat damit zu tun, dass wir bereits Mitte November, als die Angriffe der Huthi begannen, gehandelt haben und die Erhöhung der Wiederbeschaffungszeiten in SAP angepasst haben.« In speziellen Fällen habe man bei OEM-Projekten die Kunden rechtzeitig informiert und die Möglichkeiten von Zwischenlieferungen »by Air« unter Berücksichtigung der Mehrkosten mit Kunden abgestimmt.

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Kai Heinemann, Block Transformatoren-Elektronik: »Mittel- und langfristig wird die Situation vermutlich Auswirkungen auf die strategische Ausrichtung des Unternehmens haben, weil wieder einmal deutlich wird, wie anfällig die interkontinentale Lieferkette ist.«
© Componeers GmbH

So steht es um die Stromversorgungs-Branche

Bei den Stromversorgungsspezialisten, die zum Teil bei Transport ihrer größeren Produkte ausschließlich auf Seefracht angewiesen sind, fallen die Einschätzungen unterschiedlich aus. »Aufgrund der Turbulenzen der letzten Jahre haben wir die Transportzeiten großzügig kalkuliert«, so Gerhard Reifner, Head of Corporate Supply Chain Management & IMS bei Recom Power; »eine Verlagerung auf andere Verkehrsträger ist bei uns aktuell nicht vorgesehen«.

Ähnlich sieht das Hermann Püthe, geschäftsführender Gesellschafter von inpotron Schaltnetzteile: »Noch halten sich die Verzögerungen in Grenzen, und aus der Erfahrung der letzten drei Jahre planen wir aktuell mit Puffern, die das Ganze weitestgehend kompensieren.« Er macht aber auch darauf aufmerksam, dass beim Transport im Rahmen von »Contingency Adjustment Surcharge« im Moment Zusatzgebühren anfallen, »sodass wir uns kostenmäßig wieder auf dem Niveau wie im November 2022 befinden«.

Thomas Widdel, Geschäftsführer der zur Cosel-Gruppe gehörenden Eplax, ist sich sicher, »dass es mittelfristig sicherlich beim Nachschub einiger Bauteilkomponenten Engpässe geben wird – wir werden sehen, ob die gebildeten Verteidigungsallianzen wirksam die Situation befrieden können«. Er sieht im Ausfall der Passage durch den Suezkanal vor allem eine Verschlechterung der Liefersituation bei Neubeauftragungen.

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Oliver Walter, Camtec Power Supplies: »Irgendwann tritt der Kipppunkt ein, an dem die Preisvorteile durch harte und weiche Faktoren egalisiert werden, sodass es immer weniger Gründe gibt, sich dem Risiko eines Lieferausfalls aus Asien auszusetzen.«
© Componeers GmbH

»Aktuell sind wir noch nicht wissentlich betroffen«, erläutert Kai Heinemann, Geschäftsleiter Entwicklung und Produktmanagement bei Block Transformatoren-Elektronik, »allerdings machen die Logistiker erste Andeutungen, dass sich die Lieferzeiten verlängern und die Kosten erhöhen werden«. Mittel- und langfristig wird die Situation seiner Einschätzung nach Auswirkungen auf die strategische Ausrichtung des Unternehmens haben, »weil sich wieder einmal zeigt, wie anfällig interkontinentale Lieferketten sind«.

Eine Einschätzung, die auch Oliver Walter, CEO der Camtec Power Supplies, teilt: »Wir haben bereits vor einem Jahr eine Risikoanalyse für den möglichen Ausfall unserer weltweiten Supply-Chain durchgeführt – mit teils ernüchterndem Ergebnis für asiatische Hersteller. Als Konsequenz haben wir bereits im letzten Jahr damit begonnen, spezifisch für uns hergestellte Teile von Produzenten in Asien nach Europa zu verlagern.« Aktuell müsse man die Verzögerungen auf dem Weg um Cap Horn hinnehmen; »in dringenden Fällen weichen wir auf Luftfracht um, wenn das möglich ist«.

»Bisher haben wir noch keine konkreten Störungen der Logistik- und Lieferkette erfahren«, berichtet Jörg Traum, Geschäftsführer der Emtron. »Sollten sich Veränderungen ergeben, werden wir umgehend reagieren. Eine weitere Verschärfung des Konflikts und ein Ausfall der Passage durch den Suezkanal wird deutliche Auswirkungen auf die Logistik- und Lieferkette haben.«

»Unmittelbar mit dem Aussetzen der Fahrten großer Reedereien durch das Rote Meer und den Suezkanal waren wir von längeren Frachtzeiten und steigenden Frachtkosten betroffen«, berichtet Frank Stocker, Field Application Engineer Power Supplies bei Schukat electronic. »Bisher sehen wir eine Verlängerung der Frachtzeiten von 10 bis 14 Tagen, die wir durch unser gut gefülltes Lager in Monheim abfedern.« Er weist auch darauf hin, dass einige Reedereien seit Januar einen Notfallzuschlag, die »Emergency Disruption Surcharge«, erheben. »Je nach Containergröße und Verschiffungshafen führt das zu einem Aufschlag von 470 Prozent im Vergleich zum November 2023.«

Fertigungsdienstleister noch nicht betroffen

Und wie sehen das Fertigungsdienstleister? »Aktuell fangen das unsere Sicherheitsmechanismen und einberechneten Puffer noch weitestgehend ab«, versichert Michael Geirhos, Leiter Materialgruppen-Einkauf bei BMK professional electronics. »Inwieweit sich die Angriffe auf die Lieferfähigkeit unserer Distributoren und Hersteller auswirken, wird sich in den nächsten Wochen herauskristallisieren. Aufgrund des chinesischen Neujahrsfestes haben wir aber bereits längerfristig vordisponiert«.


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