Sehr zur Freude der strategischen Einkäufer ist der Markt nach den Pandemiejahren zurückgekehrt - man kann wieder verhandeln, und ist nicht mehr nur davon abhängig, irgendwie beliefert zu werden. Volle Lager führen bisher jedoch zu Bestellzurückhaltung. Für die Zukunft könnte das zum Problem werden.
Bestandsreichweite und Bestellpunkt, das sind die beiden kritischen Parameter für Strategische Einkäufer. Noch herrscht Unklarheit darüber, wann der Bestellpunkt erreicht ist. Aktuell, das zeigt eine Umfrage der Markt&Technik unter strategischen Einkäufern führender Elektronikunternehmen in Deutschland, liegt das Bestellvolumen noch deutlich hinter 2023. Es wächst aber die Erwartung, »dass zumindest die Phase der Lagerkorrekturen bald überwunden ist«, wie etwa Manfred Sperlich, Senior Director Lead Purchase Electronics im Bereich Corporate Purchase bei Phoenix Contact Electronics, feststellt.
Wobei sich bei der Frage, wie weit die eigenen Lager eigentlich in die Zukunft reichen, durchaus unterschiedliche Dimensionen eröffnen. Das reicht von 50 Tagen (in China 60 Tagen) bei Metz Consumer Electronics, wie Harald Fischerauer, Head of Supply Chain Management des Unternehmens zu Protokoll gibt, über »bis einschließlich des 2. Quartals«, wie Christian Blersch, CEO von E.E.P.D., antwortet, oder »drei bis vier Monate«, wie Kai Heinemann, General Manager Development and Product Management bei der Block Transformatoren-Elektronik, angibt. Und dann gibt es noch Unternehmen, die offensichtlich deutlich länger disponieren. »Je nach Komplexität der von uns gefertigten Produkte reichen unsere Läger bis ins 3. und 4. Quartal dieses Jahres«, erläutert Sandra Maile, Vorstandsvorsitzende und CEO der Fortec-Gruppe. Und bei der Metrona Union berichtet Geschäftsführer Dieter Kocevar von einer Lagerreichweite, »die bei SMD-Material bis etwa zum 1. Quartal 2025 reicht«.
Welche Konsequenzen hat das für die Nachbestellung, besonders für laufende Projekte? »Wir arbeiten bei den Kernkomponenten vorwiegend mit Rahmenverträgen«, erläutert Andreas Hübner, Abteilungsleiter Technischer Einkauf bei GS Elektromedizinische Geräte; »diese Folgeaufträge werden während des ganzen Jahres abgeschlossen und gehen schon bis 2025«. Etwas anders sieht es beispielsweise bei AEconversion aus, wie Managing Director Dr. Stefan Grösbrink erläutert: »Wir haben im März mit dem Nachbestellen begonnen, allerdings auf geringem Niveau. Das liegt am Nachfragerückgang, aber auch an der fortwährenden Liquiditätsbelastung durch die vollen Lager.« – »Ja, wir haben inzwischen wieder Neuaufträge für das Bestandsgeschäft veranlasst«, beschreibt Marco Wiegand, Teamleitung Einkauf Elektronik bei Jumo, die aktuelle Situation, »aber diese fallen geringer aus als zu stabilen Zeiten. Geschuldet ist das vor allem den Lagerbeständen, die sich durch die Halbleiterkrise 2021/22 gebildet haben«.
Michael Geirhos, Leiter Materialgruppen-Einkauf bei BMK professional electronics, verweist in diesem Zusammenhang auf die NCNR-Regelungen mancher Hersteller aktiver Bauelemente, »die uns noch weit bis ins Jahr 2023 mit Ware beliefert haben, obwohl dies längst nicht mehr im entsprechenden Volumen benötigt wurde. Diese Positionen haben wir für das laufende Jahr und zum Teil darüber hinaus zur Genüge auf Lager«. Nach seinen Worten weisen »Hersteller aktiver Bauelemente derzeit eine Book-to-Bill unter 0,3 auf; bei den Lieferanten passiver Bauelemente sind es aktuell etwa 0,8«. In der Konsequenz sind in einigen Fällen Folgeaufträge geplant, »in anderen gibt der Absatzmarkt nicht viel her«.
Und wie sieht es mit den Lieferfristen aus, wenn bestellt wird? Von aktuell vier Wochen bis zu sechs Monaten berichtet beispielsweise Gerhard Reifner, Head of Corporate Supply Chain Management & IMS bei Recom Power. Auch wenn sie aktuell generell rückläufig seien, so Ansmann-Vorstand Thilo Hack, »liegen die Lieferzeiten für die Bauteile, die wir benötigen, doch zwischen drei und zehn Monaten«. Da zahlt es sich nun aus, wenn man in den vergangenen Jahren den Neuprodukteinkauf als Schnittstelle zu R&D und Produktmarketing bei Puls nicht nur auf- und ausgebaut, sondern auch internationalisiert hat, wie Torsten Schmidt, Senior Director Global Procurement bei Puls, berichtet. »Dadurch sind wir vor allem beim Neuprojektmanagement flexibler und schneller geworden.«
Bei all den Meldungen über sich normalisierende Lieferzeiten macht Oliver Walter, CEO von Camtec Power Supplies, doch darauf aufmerksam, »dass bei einigen wenigen Lieferanten die Lieferfähigkeit weiterhin stockt; die restlichen Lieferzeiten bewegen sich aus meiner Sicht auf ein typisches branchenübliches Niveau zurück«. Wenig verwunderlich klingen die Problemkinder: Leistungshalbleiter und teilweise auch ICs.
»Bei Leistungshalbleitern liegen die Lieferzeiten zum Teil immer noch im Bereich von 40 bis 52 Wochen«, versichert Benjamin Thomsen, bei inpotron Schaltnetzteile verantwortlich für den gesamten Einkauf. Dass angesichts der angespannten Lage auf den Transportwegen zwischen Asien und Europa sich vonseiten der Kunden Fragen nach Möglichkeiten, Aufträge vorzuziehen, häufen, macht die Sache auch nicht einfacher. Aktuelle Beispiele für immer noch extrem hohe Lieferzeiten liefert Dr. Grösbrink: »Z-Dioden mit 82 Wochen, ESD-Dioden mit 100 Wochen, SiC-MOSFETs mit 99 Wochen« – Entspannung sieht anders aus.
Bis Mitte des letzten Jahres war der Bauteilemarkt zweifellos ein Verkäufermarkt, aber ist er inzwischen wirklich schon wieder zum Käufermarkt geworden? »Hohe Lagerbestände in der ganzen Kette und der geringe Bedarf drücken die Preise zurzeit in einigen Bereichen nach unten«, meint Sperlich, »einige überzogene Entwicklungen werden jetzt korrigiert«. – »Im Bereich erneuerbarer Energien ist der Druck bereits höher als vor Corona«, schildert Dr. Grösbrink seine Erfahrungen; »im Industriebereich können die hohen Preise bisher noch verteidigt werden«. Heinemann spricht von »leichten Preisreduzierungen, die man sich zum Teil hart erarbeiten muss«. – »Es herrscht wieder Wettbewerb am Markt«, freut sich dagegen Geirhos, »und durch die Freigabe von Second-Source-Teilen während der Pandemie lässt sich wieder einiges bewegen!« Hübner registriert zwar in Asien fallende Preise für Elektronikbauteile, »aber durch die hohen Transport- und Energiekosten sowie die Inflation in Europa sind diese Preissenkungen hier kaum wahrnehmbar«.
Und natürlich wohnt dieser Entwicklung auch eine gewisse Gefahr inne: »Man muss den Markt genau beobachten«, so Hübner, »bei einer zu frühen Beschaffung verpasst man eventuell die Vorteile von weiteren Preissenkungen«. Womit wir wieder beim kritischen Parameter des Bestellpunktes sind. Wie gefährlich es in der zweiten Jahreshälfte 2024 und im Anschluss daran 2025 werden könnte, wenn der Großteil der Branche angesichts des rezessiven wirtschaftlichen Umfeldes den Bestellpunkt verpasst, macht Blersch mit Blick auf die nächsten Monate deutlich: »Die Gefahr in der aktuellen, zurückhaltenden Auftragslage liegt darin, dass es zu einer sprunghaften Trendwende im Beschaffungsmarkt kommen kann. Ob die weltweiten Kapazitäten dann ausreichen, um diesen Bedarf zu bedienen, ist ungewiss.«