Spätestens seit der Covid-Pandemie herrscht in Deutschland und Europa ein vitales Interesse daran, die Abhängigkeiten von China in den Lieferketten etwa durch den Zugang zu neuen Märkten zu reduzieren. Gelungen ist das kaum. Firmen aus der Elektronik-Industrie diskutieren zum Status quo.
Die Herausforderungen sind vielschichtig und bilden eine für die europäische Elektronik-Industrie ungünstige Gemengelage. Allein Deutschland sei immer noch sehr abhängig von China, was sich an den Importzahlen zeige, merkt Hermann Püthe, Geschäftsführer von Inpotron, beim Roundtable Supply-Chain der Markt&Technik an. China ist nach wie vor Deutschlands wichtigster Handelspartner. Laut Statistischem Bundesamt wurden im Jahr 2023 erneut die meisten Waren aus China eingeführt, und zwar im Wert von 157,2 Milliarden Euro.
Gleichzeitig ist der Handelsstreit zwischen USA und China in vollem Gange, Chinas Exportbeschränkungen für Seltene Erden inklusive. Gut beraten ist da, wer ein valides Risikomanagement vorweisen kann, etwa indem Produktionsstandorte und Einkaufsquellen global verteilt werden. Der Zugang zu neuen Märkten wäre nicht zuletzt aufgrund des hohen Rohstoffbedarfs der Elektronik- und High-Tech-Industrie essenziell.
»Wir haben zahlreiche Produktionsstandorte, aber die Rohstoffe kommen nun einmal im Wesentlichen aus China«, gibt Dietmar Jäger, Leiter des globalen Distributionsgeschäfts von TDK, zu bedenken. »Minen in Kanada und Nordeuropa ertüchtigen«, schlägt Georg Steinberger, Vorstandsvorsitzender des FBDi, daher vor; eine kurzfristige Lösung ist das aber nicht. Auch Afrika ist in Sachen Rohstoffe ein gefragter Partner. Doch da habe es der Westen verpasst, mit diesen Ländern auf Augenhöhe zu diskutieren, meint Steinberger, »Wenn ich sehe, was die letzten zwölf Monate in Afrika passiert ist, würde ich sagen, dass der Zugang zu neuen Märkten sehr schwierig wird. Weder in Südamerika noch in Afrika oder in asiatischen Entwicklungsländern glaubt jemand noch an die Story von den westlichen Werten«, stellt Steinberger fest. »China hat schon deutlich mehr Zugang zu diesen Märkten als wir. Die reden erst gar nicht über Werte, sondern über billige E-Autos und Infrastruktur etc.« Die Europäer, so Steinberger, hätten sich maximal ungeschickt verhalten. Steinberger plädiert für einen Freihandel »auf Augenhöhe«, der seiner Ansicht nach vieles vereinfachen würde.
Vielerorts werden Handelsbeschränkungen bzw. »Strafzölle« quasi Risikomanagement von Staats wegen und als das Mittel der Wahl angesehen, China in Schach zu halten und damit die Abhängigkeiten zu verringern. Doch die Volksrepublik bestraft solche Schritte mit Gegenmaßnahmen, etwa wenn es um den Export von Seltenen Erden und den entsprechenden Technologien zu deren Verarbeitung geht. Umgekehrt ist China sehr geschickt darin, Handelsbarrieren, wie sie etwa die USA erlassen haben, »durch den Hintereingang« zu umgehen, wie Andreas Mangler, Director Strategic Marketing von Rutronik, schildert: »China hat über Mexiko die Hintertüre in die USA und macht sich dabei den zoll- und steuerfreien Import/Export-Prozess zunutze, der den Handel zwischen Mexiko und anderen Staaten, u.a. die USA, regelt. Das Abkommen besteht speziell für Halbfertig-Produkte wie beispielsweise Steuerungen. Mexiko ist jetzt schon einer der wichtigsten oder der wichtigste Lieferant im Elektronik-Umfeld.« Viele EMS-Firmen sind daher in Mexiko niedergelassen, um von dort aus ihre Kunden in den USA zu bedienen. Auch Distributoren wie Rutronik nutzen daher diese Prozesse mit den US-amerikanischen Kunden, die in Mexiko produzieren, »aber natürlich nur sehr eng kontrolliert«, unterstreicht Mangler.
Fast unbemerkt – zumindest von der breiten Öffentlichkeit – hat hier eine massive Verschiebung von Lieferketten stattgefunden, wie Xaver Feiner, Vice President Marketing&Sales von Zollner Elektronik, anmerkt. »2023 hat Mexiko China im Handelsvolumen mit den USA überholt.«
In diesem Zusammenhang ist eine Analyse von Xeneta interessant. Das Unternehmen hat sich auf Marktdaten und Analysen im Bereich der globalen Seefracht und Luftfracht spezialisiert. Die Analyse besagt, dass die Nachfrage nach Containerschifffahrts-Importen aus China nach Mexiko im Januar 2024 im Vergleich zu zwölf Monate zuvor um 60Prozent gewachsen ist. Das wiederum schürt den Verdacht weiter, dass Mexiko zu einer »Hintertüre in die USA« geworden ist. Auch Peter Sand, Chefanalyst von Xeneta, ist überzeugt, dass die Zahlen nicht nur auf die gestiegene Nachfrage nach chinesischen Produkten in Mexiko zurückzuführen sind. Er äußert vielmehr die Vermutung: »Ein beträchtlicher Teil der per Schiff nach Mexiko gelangenden Waren wird wahrscheinlich per Lastwagen in die USA transportiert.« Der Hintergrund sei, dass der »derzeit wahrscheinlich am schnellsten wachsende Handel auf dem Planeten Erde« zwischen China und Mexiko im Zusammenhang mit den Handelsschranken der USA steht. Die Zunahme sei also darauf zurückzuführen, »dass Importeure versuchen, die US-Handelsbarrieren zu umgehen«.
Sanktionen aus dem Handelskrieg zwischen USA und China, Handelsbeschränkungen wie der US Chips Act oder der Buy American Act, aber auch die Prämisse der Risikoverteilung hat der Local-for-Local-Produktionsstrategie zu einer erneuten Renaissance verholfen. »Sie ist definitiv wichtiger denn je«, sagt Feiner, und habe aufgrund der geopolitischen Vorzeichen bei Zollner noch einmal deutlich mehr Fahrt aufgenommen. Derzeit betreibt Zollner Elektronik als Europas größtes EMS-Unternehmen sechs Standorte in Amerika, fünf davon in den USA und einen Costa Rica. Natürlich berge das auch Herausforderungen, so Feiner weiter. »Denn ich kann zwar im Land produzieren, aber ich muss die Lieferkette ganzheitlich betrachten. Und dazu gehören auch Aspekte wie ‚Gibt es Lieferanten vor Ort, die auch metrische Maße produzieren, oder nur Imperial Design?'.«
Fakt ist: Man kann eine Lieferkette nicht einfach 1:1 transferieren, um Handelshemmnissen verschiedener Staaten gerecht zu werden, sondern muss sie tiefgreifend anpassen. »Viele Unternehmen überlegen derzeit sehr genau, wie sie mit ihren Designs verfahren, wie sie diese global einsetzen können und was sie lokal anpassen müssen.« Das, so Feiner, erfordere auch jede Menge Invesititionen. »Und das ist Geld, das wir nicht in Innovationen stecken können.«