In vielen Anwendungen können unerwartet transiente Überspannungen auftreten, die das Potenzial haben, die korrekte Funktion der Anwendung zu beeinträchtigen oder sogar eine Schaltung zu zerstören. Mit TVS-Dioden lassen sich Schaltungen schützen und Störströme ableiten.
TVS-Dioden (Transient Voltage Suppressors) werden zum Schutz von Schaltkreisen vor hohen Spannungsspitzen eingesetzt. Sie sind für den Betrieb in Sperrrichtung ausgelegt und arbeiten durch Störstromableitung, wenn die Sperrspannung das sogebabbte Lawinendurchbruchspotenzial überschreitet. Sie sind im Grunde genommen Hochleistungs-Zenerdioden und stellen eine spezielle Form von Avalanche-Dioden dar. TVS-Dioden können große Leistungsspitzen (Hunderte oder Tausende von Watt) verkraften, aber Zener-Dioden haben eine engere Spannungstoleranz. TVS-Dioden haben grundsätzlich eine höhere parasitäre Kapazität als Zener-Dioden.
Es gibt sie entweder in unidirektionaler oder bidirektionaler Ausführung. Unidirektionale TVS-Dioden sperren bis zur Nennspannung in einer Richtung und verhalten sich in der anderen Richtung wie eine normale Diode in Durchlassrichtung. Bidirektionale TVS-Dioden sperren bis zur Nennspannung in beiden Richtungen (gut zum Schutz vor Wechselströmen). Unidirektionale TVS-Dioden weisen eine viel kürzere Einschaltzeit als ihre bidirektionalen Gegenstücke (beispielsweise 5 ps im Vergleich zu 5 ns) auf.
In Bild 1 sind die elektrischen Symbole für die unidirektionale und bidirektionale TVS-Diode dargestellt.
Auf der rechten Seite in Bild 1 ist dargestellt, wie sich eine bidirektionale TVS-Diode vorstellen kann; es ist eine Schaltung aus zwei „antiseriell“ geschalteten TVS-Dioden. In Bild 2 sind die typischen Strom-Spannungskennlinien der Dioden dargestellt.
Die Parameter der Strom-Spannungskennlinien und der Eigenschaften (Properties) in den Tabellenauszügen aus den WE-Datenblättern haben folgende Bedeutung:
DC Operating Voltage (VDC), Channel Operating Voltage (VCh)
Die maximale Arbeitsspitzenspannung darf VDC nicht überschreiten. Die TVS-Diode stellt für den geschützten Stromkreis eine hohe Impedanz dar, wenn die an der Diode anliegende Spannung unter diesem Schwellenwert liegt. Darüber fließt ein zu hoher Leckstrom, der dauerhaft zu einem Ausfall der TVS-Diode führen kann.
Rückwärts-Durchbruchspannung (VBR)
Dies ist die Spannungsschwelle, bei der die TVS-Diode beginnt, einen definierten Strom von 1 mA zu leiten, und wird auch als Durchbruchspannung bezeichnet. Der Wert von VBR nach Datenblatt sollte über der maximalen Betriebsspannung des zu schützenden Schaltkreises liegen, damit sich die TVS-Diode unter normalen Betriebsbedingungen des Gerätes im Sperrzustand befindet.
Begrenzungsspannung, Klemmspannung (VClamp)
Die Überspannungstransiente wird auf den durch VClamp definierten Wert begrenzt, d. h. auf den maximalen Spannungswert, der im geschützten Schaltkreis auftritt. Die Spannung VClamp ist für einen bestimmten Impulsspitzenstrom (IPeak) definiert.
Impulsspitzenstrom (IPeak)
Dies ist der maximale Stoßstrom, dem die TVS-Diode ohne Beschädigung standhalten kann. Der Impulsspitzenstrom wird auf der Grundlage der transienten Signalform des Stoßstroms definiert, der in den meisten industriellen Anwendungen mit 8/20 µs angegeben wird, wobei 8 µs die Anstiegszeit (t1) bis zum Spitzenwert und 20 µs die Impulsdauer bis zum Absinken des Stroms auf 50 % des Spitzenwerts (t2) darstellen.
Leakage Current (ILeak)
Der Leckstrom wird bei VDC gemessen und ist der Strom, der in Sperrrichtung als Reststrom fließt.
Power Dissipation (PDISS)
Die Verlustleistung PDISS gibt an, wie viel Leistung die Diode aufnehmen kann. Man unterscheidet zwischen Spitzenimpuls-Verlustleistung und Steady-State-Verlustleistung.
Spitzenimpuls-Verlustleistung
Die maximale Spitzenleistung, die die TVS-Diode während eines transienten Ereignisses für eine definierte Impulssignalform ableiten kann, hier für den 10/1000-µs- Impuls (10 µs Anstiegszeit, 1000 µs Abklingen auf halbe Amplitude).
Steady-State-Verlustleistung
Die Leistung, die die TVS-Diode unter normalen Betriebsbedingungen kontinuierlich aufnehmen kann.
TVS-Dioden mit niedriger Kapazität
Es gibt eine Familie von TVS-Dioden, die als TVS-Dioden mit niedriger Kapazität (oder Super Speed Series, femtoF) bezeichnet werden. Sie haben eine viel geringere Kapazität als herkömmliche TVS-Dioden, typisch im Bereich von 0,1 bis 0,5 pF und sind für den Schutz von Hochgeschwindigkeits-Datenleitungen, wie USB, HDMI und Ethernet sowie für HF-Applikationen konzipiert. Die niedrige Kapazität wird durch Hinzufügen einer in Durchlassrichtung „vorgespannten“ Allzweckdiode in Reihe mit der üblichen in Sperrrichtung „vorgespannten“ TVS-Diode erreicht (Bild 3). Tabelle 1 listet ausgewählte Kenndaten der „femtoF“ VS-Diode 8231706A von Würth Elektronik auf.
Eine ideale TVS-Diode blockiert den Strom vollständig, d. h. der Strom ist gleich Null, wenn die Eingangsspannung kleiner als die Durchbruchspannung ist. Wenn die Eingangsspannung größer als die Durchbruchsspannung ist, hat die TVS-Diode idealerweise einen Widerstand nahe Null, so dass die transiente Spannung wirksam unterdrückt werden kann. Eine Standard-TVS-Diode klemmt dadurch, dass sie ab einer gewissen Spannung zu leiten beginnt und die über der Diode abfallende Spannung begrenzt. Diese Diode hat durch Leckströme und einem endlich kleinen Innenwiderstand ein „nichtideales“ Verhalten (Bild 2).
Eine TVS-Diode lässt sich halbleitertechnisch mit einem PN-Übergang realisieren, der eine definierte Durchbruchspannung aufweist. Wenn eine transiente Eingangsspannung die Durchbruchspannung übersteigt, entsteht ein Stromfluss durch die TVS-Diode, um den Schutz vor transienten Spannungen zu erreichen. Der TVS-Typ mit PN-Übergang hat jedoch keine Minoritätsträger und weist deshalb aufgrund seines hohen Innenwiderstands eine schlechte Klemmeigenschaft auf. Es gibt in der Halbleitertechnik alternative TVS-Implementierungen mit bipolaren NPN/PNP-Übergängen, bei denen ein bipolarer Transistor für die Klemmeigenschaft durch einen Avalanche Effekt ausgelöst wird. Die Basis des Transistors wird mit Minoritätsträgern überflutet und der bipolare TVS kann so eine Klemmspannung auf niedrigerem und konstantem Niveau erreichen, da der Avalanche-Strom durch die bipolare Verstärkung des Transistors an sich über seine Basis erhöht wird.
Diese Art von „TVS-Diode“ beruht auf der internen Struktur von MOS-FET-Bauteilen und ist in ihrer Art deutlich komplexer, als das Schaltbild der TVS-Diode (Bild 1) vermuten lässt.
Jeder NMOS-FET enthält aufgrund der Konfiguration des dotierten Materials einen parasitären bipolaren Sperrschichttransistor (BJT). Im normalen Betrieb eines NMOS-Bauelements kommt der parasitäre BJT nicht zum Tragen. Wie in Bild 4 dargestellt, hat der BJT die Source als Emitter und den Drain als Kollektor, und das p-Substrat darunter kann unter den richtigen Bedingungen als die Basis des BJT dienen.
An dieser Stelle muss zum weiteren Verständnis der Funktion die sogenannte „Stoßionisation“ erklärt werden: Ein bewegliches Elektron oder Loch (positiver Ladungsträger) bewegt sich unter dem Einfluss eines elektrischen Feldes. Bei einem schwachen elektrischen Feld bewegt es sich, ohne das System zu verändern. Bei einem starken elektrischen Feld jedoch, wie es in einem Bauteil mit einer hohen Spannung an den Anschlüssen auftritt, stößt der mobile Ladungsträger energetisch auf gebundene Ladungsträger, die dann ausbrechen können. Diese neuen Ladungsträger können wiederum den Prozess wiederholen, was zu einem Lawinenstrom führt.
Wenn sich dieser Lawinenstrom auf die Basis des parasitären BJT zubewegt, kann der Basisstrom den BJT öffnen und einen großen Stromfluss zwischen Kollektor und Emitter ermöglichen. Das Interessanteste daran ist, dass nach dem Öffnen, d.h. Auslösen des Bauelements das hohe elektrische Feld, das den Prozess in Gang gesetzt hat, nicht mehr notwendig oder gar vorhanden ist, um den Strom aufrechtzuerhalten. Die Leitung des Stroms wird mit steigendem Strom fortgesetzt, allerdings bei viel niedrigerer Spannung zwischen Emitter und Kollektor. Dieses Phänomen des Auslösens bei einer relativ hohen Spannung und des anschließenden Rückfalls in die Leitfähigkeit bei einer niedrigeren Spannung wird als Snapback bezeichnet.
Ein schaltungstechnisches Beispiel sowie die Halbleiterstruktur sind in der AppNote „TVS-Dioden: Grundlagen, Funktion und deren Anwendungen“ von Würth Elektronik [1] detailliert erklärt.
Bild 5 zeigt die Strom-Spannungskennlinien der uni- und bidirektionalen TVS-Dioden mit Snapback-Effekt. Für einen wirksamen ESD-Schutz sollte die Auslösespannung nicht so hoch sein, dass sie die zu schützende Schaltung beschädigt. Außerdem sollte die untere Haltespannung Vhold über der normalen Betriebsspannung der Schaltung liegen, was sichergestellt ist, wenn die maximale Betriebsspannung VDC bzw. VCh nicht überschreitet. Wenn die TVS-Diode nicht richtig ausgewählt wird, besteht die Gefahr eines sog. Latch-Up.
Ein spannungsbegrenzendes Bauelement muss Schutz vor transienten Ereignissen bieten, ohne den gewünschten Betrieb der Schaltung zu beeinträchtigen. Dies kann eine Herausforderung sein, da die Parameter oft gegeneinanderstehen. Eine TVS-Diode für hochfrequente Signalschnittstellen sollte eine geringe Kapazität aufweisen, um eine Signalbeeinflussung durch kapazitive Last zu vermeiden. Jedoch hängt die Fähigkeit eines Bauelements, Energie zu absorbieren, von der Größe der Sperrschicht ab.
Je größer die Sperrschicht ist, desto mehr Energie kann sie absorbieren. Der Nachteil ist, dass mit zunehmender Größe der Sperrschicht auch die Kapazität des Bauelements zunimmt. Wie schon gezeigt, ist eine gängige Methode zur Verringerung der effektiven Kapazität der Einsatz einer kapazitätsarmen Diodenschaltung (Bild 3). Um mehrere, symmetrische Signalbusse wie etwa USB 3.1 zu schützen werden mehrere Diodenschaltungen zu einem „Array“ kombiniert (Bild 6).
Die Kapazität der TVS-Diode ist durch die konventionellen Dioden vor der Schaltung praktisch „versteckt“. Die Dioden müssen dem Transientenstrom standhalten, und benötigen eine Durchbruchspannung in Sperrrichtung, die größer ist als die Durchbruchspannung der TVS-Diode.
Nachlesen lässt sich das DC- und AC-Verhalten von TVS-Dioden-Arrays mit detaillierten Messkurven und weitergehenden Erläuterungen in [1].
Literatur:
[1] Zenkner, H.: TVS-Dioden: Grundlagen, Funktion und deren Anwendungen. Application Note ANP143 von Würth Elektronik: www.we-online.com/anp143
[2] TVS-Dioden und weitere Bauelemente zum ESD-Schutz von Würth Elektronik: https://www.we-online.com/en/components/products/pbs/emc_components/esd_protection
Dr.-Ing. Heinz Zenkner hat Elektrotechnik mit Schwerpunkt Nachrichten- und Hochfrequenztechnik studiert und promoviert. Er ist seit vielen Jahren öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für EMV. Neben zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen betätigt er sich häufig als Autor in vielen Werken zur EMV. Zusätzlich hat Zenkner an verschiedenen Universitäten, an der IHK und an zahlreichen Seminaren als Dozent gearbeitet. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit industrieller Elektronik, von der ersten Idee eines Produktes bis hin zur Serienproduktion. Sein besonderes Interesse gilt der drahtlosen Energieüberragung, zu der er theoretisch als auch praktisch eigene Konzepte entwickelt hat.