Strom mit nur einem Bauelement in beide Richtungen steuern zu können, das ist der Heilige Gral der Leistungselektronik. Auf der PCIM in Nürnberg wurde deutlich, dass das auch für HF- und HV-Anwendungen möglich sein werde.
Bidirektionale GaN-Transistoren werden es möglich machen: »Im Low-Voltage-Bereich«, so Dr. Gerald Deboy, Fellow bei Infineon Technologies Austria, »gibt es diese Bauelemente schon eine Weile, doch nun kommen entsprechende Schalter auch für Spannungen von 650 V und darüber auf den Markt«.
Dadurch, dass bidirektionale GaN-Transistoren den Stromfluss in beide Richtungen steuern können, also in der Lage sind, positive und negative Halbwellen direkt zu schalten, und dadurch ein Verzicht auf zusätzliche antiparallele Dioden oder extra FETs möglich ist, empfehlen sie sich für Anwendungen wie AC/DC-Wandler, Solid-State-Schalter und bidirektionale Stromversorgungen. Der Einsatz bidirektionaler GaN-Leistungshalbleiter spart nicht nur Chipfläche auf dem Board, er reduziert auch die Leitverluste, da es nur eine geteilte Verarmungszone gibt.
Vor diesem Hintergrund können die Bauteile sowohl in netzgeführten Gleich- und Wechselrichtern für die Energieerzeugung und -speicherung, als auch für elektrische Antriebssysteme eingesetzt werden. Der entscheidende Unterschied zwischen den Low- und High-Volt-Varianten liege laut Dr. Deboy in der Substratstabilisierung, um die Isolation zwischen den Bauelementen zu verbessern und die Durchbruchspannung erhöhen zu können. Dabei könne hochisolierendes Material wie SiC und Saphir zum Einsatz kommen.
Bereits im März dieses Jahres hatte Navitas Semiconductor mit der GaNFast-IC-Familie erste bidirektionale 650-V-GaN-Leistungshalbleiter auf den Markt gebracht. Ihr Einsatz wird erstmals bei Solar-Microinvertern von Enphase Energy erfolgen. Infineon Technologies wiederum hat kurz nach der PCIM einen CoolGaN Bidirectional Switch (BDS) 650 V G5 vorgestellt. Auch von Renesas Electronics soll es zeitnah entsprechende Produkte geben. Kunden wie Enphase würden sich wohl ungern auf das Risiko eines Single-Sourcings einlassen.
Deutlich höher bezüglich der Sperrspannungsklasse lag ein bidirektionaler 1200-V-GaN-Schalter mit integrierten Freilauf-Dioden, den das Fraunhofer IAF in Nürnberg vorstellte. Speziell bei der Entwicklung von elektrischen Antriebssystemen im Hochvoltbereich wäre das von Interesse. Mit steigenden Sperrspannungen steigt die Ladeleistung, und die Verluste im Betrieb sinken infolge geringerer Widerstände. Noch dominieren Fahrzeuge mit 400-V-Lösungen den Markt, doch die 800-V-Technik gewinnt an Marktbedeutung. Ein Sprung auf 1200 V würde sich positiv auf die Langstreckentauglichkeit von Elektroautos auswirken und den Nutzwert etwa elektrischer Lastkraftwagen erhöhen. Auch für Vehicle-to-Grid-Anwendungen oder Energy-Sharing-Systeme dürfte bidirektionales GaN in Zukunft eine große Rolle spielen.
In den Gesprächen auf der PCIM wurde deutlich, dass inzwischen fast jeder namhafte Hersteller an entsprechenden Schaltern arbeitet. Ob es dabei wirklich 650-V-Bauteile sein müssen, zieht Dr. Alex Lidow, CEO und Mitgründer von EPC, jedoch in Frage: »Es können 650-V-Bausteine sein, es wäre aber auch möglich, solche High-Voltage-Applikationen mit Low-Voltage-GaN-Leistungshalbleitern durch Multilevel-Topologien zu realisieren. Das nötige Ökosystem dafür wäre heute bereits vorhanden«. Wohl eher auf 650 V scheint man beispielsweise bei Texas Instruments zu setzen. Dort erwartet Harald Parzhuber, System Manager, Grid Infrastructure & Renewable Energy, entsprechende Bausteine innerhalb der nächsten zwei Jahre.
Neben dem Trubel um Bidirectional GaN gab es auf der PCIM aber auch noch andere interessante Entwicklungen und Trends. So nutzte der gerade erst zum 1. Mai bestellte neue CEO von Wolfspeed, Robert Feurle, die Möglichkeit, erste Hinweise zu geben, wie er Wolfspeed in die Zukunft führen will. So ist das Unternehmen zur Optimierung der Produktion auf der Suche nach einem COO. Feurle plant zudem das Wafer- und Device-Geschäft in Zukunft in einer Organisation zusammenzufassen. Bezüglich der Technologie müsse die Qualität wieder im Vordergrund stehen, »mein Ziel ist es, Wolfspeed wieder zum Technologieführer im SiC-Geschäft zu machen«.
Den einen oder anderen dürfte es sicher auch überrascht haben, wie offensiv inzwischen Bosch auf Messen wie der PCIM auftritt. So wird das Unternehmen im nächsten Jahr seine SiC-Fertigung in Reutlingen auf 200 mm umgestellt haben. Die im September 2023 erworbene Halbleiter-Fab im kalifornischen Roseville wird nach Aussage von Ralf Bornefeld, Senior Vice President und General Manager der Business Unit Power Semiconductors and Modules, »Mitte 2026 output-ready sein«. Bosch entwickelt inzwischen in Zeitschritten von zwei bis zweieinhalb Jahren neue SiC-MOSFET-Generationen, Ende 2026 wird die 3. Generation auf den Markt kommen. Bosch SiC-MOSFETs sind mittlerweile auch über die Distribution erhältlich. Und Bosch beschäftigt sich auch mit GaN, wie Bornefeld bestätigt. Hochvolt-GaN-Bausteine von Bosch dürften noch vor Ende dieses Jahrzehnts auf den Markt kommen.
Wie flexibel der SiC-Markt in der aktuellen Situation geworden ist, zeigt das Beispiel Mitsubishi Electric. Nicht nur sind die SiC-MOSFETs des Unternehmens inzwischen auch extern erhältlich, Mitsubishi ermöglicht durch die Zusammenarbeit mit Nexperia dem Unternehmen auch den schnellen SiC-Einstieg in den Automobil- und Automotive-Markt. So hat Nexperia ein D2-PAK7-Gehäuse für planare 1200-V-SiC-MOSFETs entwickelt. Nexperia verspricht sich aufgrund seiner starken Stellung im internationalen Automotive-Geschäft einen schnellen Markterfolg für dieses Angebot. Wenn dann die Produktion im 200-mm-SiC-Werk in Hamburg beginnt, wird das Unternehmen auch SiC-Trench-MOSFETs für sein Automotive-Angebot nutzen, wie Dipl.-Ing. Sebastian Fahlbusch, Head of Product Application Engineering SiC, bestätigt.
Einmal mehr war auf der diesjährigen PCIM das Stärkerwerden der chinesischen Leistungshalbleiterszene zu beobachten. Als Beispiel für die rasante Entwicklung dort dient StarPower. Das Unternehmen hat sich innerhalb von 14 Jahren von 80 auf 441 Millionen US-Dollar Umsatz geschraubt und erwartet nach Angaben von Peter Frey, Managing Director StarPower Europe, »auch in diesem Jahr ein zweistelliges Wachstum«, das StarPower in die Nähe der halben Umsatzmilliarde bringen dürfte. Das Unternehmen ist seit 2023 auch als Produzent von SiC-MOSFETs aktiv. StarPower, so Frey, sei heute der fünftgrößte IGBT-Hersteller weltweit und liefere allein im letzten Jahr IGBTs und SiC-Lösungen für über drei Millionen Elektrofahrzeuge.
SiC-JFETs kamen in den 2000er-Jahre auf, der Durchbruch blieb jedoch aus. Jetzt setzt Infineon Technologies erneut auf diese Technologie. Allerdings betont das Unternehmen, dass es sich bei den neuen Bausteinen nicht um ein Revival der ursprünglichen JFET-Technologie von Infineon handele, sondern dass es dieses Mal ein vollkommen neues Konzept umgesetzt habe, um mit diesen Bausteinen die nächste Generation von intelligenten Energieverteilungssystemen zu ermöglichen – sprich die neuen CoolSiC-JFETs sind für eine vollelektronische HV-Stromverteilung gedacht.
Laut Dr. Peter Friedrichs, Fellow SiC Innovation & Industrialization bei Infineon Technologies, zeichnen sich die neuen Bausteine durch einen extrem niedrigen RDS(on) von 1,5 mΩ (750 V BDss) bzw. 2,3 mΩ (1200 V VBDss) aus. Friedrichs erklärt außerdem, dass sich mit diesen neuen Bausteinen der Nennstrombereich von halbleiterbasierten Schutzschaltern (Solid-State Circuit Breakers; SSCBs) in passiv gekühlten, diskreten Designs auf bis zu 63 A erhöhe. Laut seiner Aussage liessen sich die in einem oberseitig gekühlten Q-DPAK-Gehäuse untergebrachten Bausteine in Automotive- oder Industrieanwendungen einfach integrieren und parallelgeschalten, so dass auch hohe Ströme realisiert werden könnten. Wobei Friedrichs noch darauf hinweist, dass dank der Leistungsfähigkeit der einzelnen Komponenten die Notwendigkeit zur Parallelschaltung in der Leistungsstufe minimiert sei, so dass auch der kleinste SSCB-Formfaktor gemäß NEMA- und IEC-Normen erreicht werden könne.
Friedrichs erklärt weiter, dass sich die Bausteine durch eine hohe Robustheit unter Kurzschluss- und Avalanchebedingungen auszeichneten, die Komponenten würden so designt, dass sie auch mit extremen Überspannungen, Überströmen und Kurzschlüsse umgehen könnten. Friedrichs ergänzt: »Ihr gut vorhersagbares Abschaltverhalten unter thermischer Belastung, Überlast und Fehlerbedingungen tragen zu einer maximalen Langzeitzuverlässigkeit im Dauerbetrieb bei.« Infineon setzt bei den neuen CoolSiC JFETs auf seine hauseigene ».XT-Verbindungstechnologie«, die die transiente thermische Impedanz und Robustheit unter gepulsten und zyklischen Belastungen verbessert. Die Bauteile wurden unter realen Betriebsbedingungen für Solid-State-Leistungsschalter getestet und qualifiziert.
Technische Muster der neuen CoolSiC JFET-Familie sollen im Laufe des Jahres 2025 verfügbar sein, die Serienproduktion soll 2026 anlaufen. Infineon will das Produktportfolio mit einer Vielzahl von Gehäusen und Modulen ergänzen.
Friedrichs weist zudem auf eine Neuentwicklung hin, die noch weiter in der Zukunft liegt: das SoC-TSJ-Konzept, eine Kombination der Trench- und Superjunction-Technologie. Laut Friedrichs soll das erste Produkt auf Basis dieser Technologie ein 1200-V-Baustein in einem ID-PAK-Gehäuse für Traktionswechselrichter in Fahrzeugen sein. Infineon geht davon aus, dass diese Produkte 2027 in die Volumenfertigung übergehen können. Friedrichs hierzu: »Mit dieser Technologie erreichen wir eine höhere Leistungsdichte, die durch eine bis zu 40-prozentige Verbesserung von R DS(on)*A erreicht wird, so dass kompaktere Designs innerhalb der gleichen Leistungsklasse möglich sind. Außerdem sorgt das 1200-V-SiC-TSJ-Konzept in ID-PAK-Gehäusen für eine bis zu 25 Prozent höhere Strombelastbarkeit in Hauptwechselrichtern, ohne die Kurzschlussfähigkeit zu beeinträchtigen.«
Als einer der ersten Kunden werden Hyundai-Motor-Company-Entwicklungsteams die Trench-Superjunction-Technologie von Infineon einsetzen, um ihr Angebot für Elektrofahrzeuge zu erweitern. Die Zusammenarbeit soll die Entwicklung effizienterer und kompakterer Antriebsstränge für Elektrofahrzeuge maßgeblich vorantreiben.