Stimmungsindex der Branche - Die Euphorie trübt sich ein: Sie lässt sich in Zahlen belegen, die abgekühlte Stimmung auf dem deutschen Leistungshalbleitermarkt. Nach einem Stimmungswert von fast 4 in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 stabilisierte sich die Stimmung in der Branche im letzten Jahr bei Werten zwischen 3,4 und 3,64. Mit dem 1. Quartal 2023 sank das Stimmungsbarometer der Branche um fast einen vollen Punkt auf 2,71. Ein rückläufiges Consumer-, Computer- und Communications-Geschäft forderte im Verbund mit Lagerabbau bei Distributoren und Kunden seinen Tribut. Bleiben die Zinsen hoch, dürfte die Nachfrage weiter zurückgehen. Für die zweite Jahreshälfte 2023 bleibt die Stimmung in der Branche vorerst stabil. Interessant dürfte es wieder ab 2024 werden.
Auch wenn sich etwa im Niedervolt-Bereich die Lieferzeiten für MOSFETs in den letzten Monaten entspannt haben und hier und da auch wieder von sinkenden Preisen berichtet wird, gibt es in der Leistungshalbleiter-Technik weiterhin ein Produktsegment, das kein Verharren oder gar nachgeben kennt: SiC.
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In der Siliziumkarbid-Branche gibt es keine Rezession«, bringt es Ole Gerkensmeyer, Director Automotive Sales EMEA bei Wolfspeed, auf den Nenner. Gerade erst hat Wolfspeed mit Renesas eine auf zehn Jahre ausgelegte Liefervereinbarung für 150-mm-SiC-Bare- und Epitaxie-Wafer unterzeichnet. Wert des Auftrags: 2 Milliarden Dollar. Wolfspeed wird auf die Lieferung von 200-mm-SiC-Bare- und Epitaxie-Wafern an Renesas umstellen, sobald das angekündigte John Palmour Manufacturing Center in Chatham County, North Carolina, vollständig in Betrieb ist.
Renesas, das bisher im weltweiten SiC-Rennen nicht vertreten war, lässt sich den Einstieg in die neue Technologie damit einiges kosten. Hidetoshi Shibata, President und CEO von Renesas, sieht die Investitionen ganz nüchtern: »Wir sind nun in der Lage, uns als wichtiger Akteur auf dem wachsenden Siliziumkarbid-Markt zu etablieren.« Der Wafer-Liefervertrag mit Wolfspeed sichere Renesas eine stabile, langfristige Versorgungsbasis mit hochwertigen SiC-Wafern; »dadurch kann Renesas sein Angebot an Leistungshalbleitern erweitern, um die breite Palette an Anwendungen der Kunden besser bedienen zu können«.
Angetrieben durch das Wachstum von Elektrofahrzeugen und erneuerbaren Energien, steigt der Bedarf an effizienteren Leistungshalbleitern kontinuierlich – eine Wachstumsdynamik, auf die Renesas nun mit dem Ausbau der Fertigungskapazitäten reagiert. So kündigte das Unternehmen unter anderem bereits die Wiederaufnahme der IGBT-Produktion in der Kofu-Fabrik an. In der Takasaki-Fabrik wird darüber hinaus nun eine SiC-Produktionslinie eingerichtet.
Es verwundert vor diesem Hintergrund nicht, wenn Gerkensmeyer für den SiC-Sektor in den nächsten Jahren weiterhin eine starke Zunahme prognostiziert: »Wir gehen aktuell von einem jährlichen Marktwachstum von 30 Prozent aus.« Teslas Anfang des Jahres gemachte Ankündigung, in Zukunft den SiC-Einsatz um 60 Prozent zurückfahren zu wollen, tut der Gesamtentwicklung keinen Abbruch. »Teslas Ankündigung zeigt nur, dass Siliziumkarbid jetzt auch in kleineren und günstigeren Elektrofahrzeugen mit weniger Leistung zu Preisen ab etwa 20.000 Dollar zum Einsatz kommen wird«, erläutert Gerkensmeyer. »Dies ist ein positives Signal für die breite Anwendung von Siliziumkarbid.«
Eine Einschätzung, die auch Thomas Grasshoff, Head of Strategic Marketing bei Semikron Danfoss, teilt: »Teslas Ankündigung hängt mit einer Optimierung der Architektur zusammen«, so Grasshoff; »der Hauptantrieb wird weiterhin SiC bleiben, und für den zuschaltbaren zweiten Antrieb über die Vorderachse kommen dann siliziumbasierte Leistungshalbleiter zum Einsatz«. Der Semikron-Danfoss-Manager weist auch darauf hin, dass weiterhin Zweifel bestehen, ob die weltweite Fertigungskapazität für SiC-Chips überhaupt ausreichend sein werden, »deshalb kann Tesla mit dieser Entscheidung für sich eine Fall-Back-Position aufbauen«.
Ähnlich fällt die Einschätzung von Doug Bailey, Vice President Marketing and Applications Engineering bei Power Integrations, aus: »Aus meiner Sicht ist die Entscheidung von Tesla logikgetrieben. Sie haben festgestellt, dass SiC sehr hilfreich ist, um die Inverter-Effizienz im unteren Lastbereich zu optimieren. Es wird aber zu einem teuren Luxus bei hohen Strömen. Dort performen bipolare Bauteile wie klassische IGBTs besser und sind kostengünstiger. Aus meiner Sicht war die Entscheidung darum applikationsgetrieben und bedeutet keinen Rückschlag für die Marktchancen der SiC-Technologie an sich.«
Paul Klausner, Product Marketing Manager bei onsemi, sieht das ähnlich: »Teslas Aussage bezog sich auf eine neue Plattform mit einem deutlich höheren Volumen als die vorigen. Mit dem wachsenden Bedarf an preiswerteren Elektrofahrzeugen bedeutet das einen Volumenanstieg sowohl für SiC als auch für siliziumbasierte Leistungshalbleiter. Letztlich wird diese Entwicklung also noch mehr SiC-MOSFETs und klassische IGBTs benötigen.« Aktuell, so Klausner, würden SiC-MOSFETs doch letztlich in höheren Spannungsklassen eingesetzt, in denen siliziumbasierte Leistungshalbleiter sich nicht so gut verhalten. Mit der Steigerung der SiC-Produktion würden die Vorteile hinsichtlich Performance, Größe und Gewicht der SiC-Komponenten jedoch auch für andere Applikationen interessanter.
Wer SiC nicht nur durch die Automotive-Brille betrachtet, der wird sehr schnell mit dem wachsenden Bedarf vor allem auch im PV-Bereich konfrontiert. Aus Sicht von Clayton Pillion, Vice President von Microchips TechnologysSilicon Carbide Business Unit, ist PV heute schon einer der fünf wichtigsten Anwendermärkte für SiC. Der Bedarf werde in Zukunft weiter steigen. Er sieht dabei vor allem einen direkten Zusammenhang mit dem Markterfolg der Elektrofahrzeuge. Um hier Probleme beim Laden zu Spitzenzeiten zu vermeiden, dürften in Zukunft mehr Eigenheimbesitzer dazu übergehen, PV mit Energy-Storage-Systemen zu kombinieren, um keine Probleme beim Laden ihrer E-Autos zu bekommen.
Wie sehr der SiC-Markt inzwischen auch für kleinere Hersteller attraktiv geworden ist, zeigt das Beispiel Alpha and Omega Semiconductor. »Wir haben bislang als einer der letzten Hersteller unsere SiC-Aktivitäten in den Markt gebracht«, berichtet Bernd Riemann, Senior Field Application Engineer Europe bei AOS. »Unser Umsatzanteil mit SiC-Produkten ist darum auch in Europa noch sehr gering.« Mit den neuen, wettbewerbsfähigen Produkten, die AOS noch in diesem Jahr und 2024 auf der Roadmap hat, sieht Riemann aber »durchaus großes Potenzial für uns«.
Welche Möglichkeiten große Player haben, zeigt das Beispiel Mitsubishi Electric. »Wir haben vor Kurzem gerade angekündigt, dass wir unseren bestehenden Investitionsplan im Fünfjahreszeitraum bis 2026 auf etwa 1,8 Milliarden Euro verdoppeln werden«, so Dr. Michael Lampalzer, Manager Strategic Marketing für Power Semiconductors bei Mitsubishi; »das Geld wird vorrangig für den Bau einer neuen 200-mm-SiC-Waferfabrik dienen«. Welche Möglichkeiten sich zukünftig auf der Anwenderseite noch eröffnen könnten, macht Dr. Lampalzer mit Verweis auf Projekte deutlich, »die PV-Anlagen mit Wasserstoff-Elektrolyse koppeln, da eröffnen sich ganz neue Dimensionen!«.