Runter vom Gas und voll auf die Bremse

Marktflaute trifft nun auch die Leistungshalbleiter-Branche

4. November 2024, 9:21 Uhr | Engelbert Hopf
Branchenindex: Rezession holt auch die Leistungselektronik ein
© Componeers GmbH

Jahrelang entwickelte sich die Leistungshalbleiter-Branche sehr dynamisch. Mit dem Zielmärkten Automotive- und Energieapplikationen lag sie voll im Trend der weltweiten Mobilitäts- und Energiewende. Nachdem nun vor allem die E-Mobility, aber auch Industrieapplikationen schwächeln, hat das Folgen.

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Es wäre wohl einfach zu schön gewesen, um Wirklichkeit zu werden – auf dem Gelände eines 2017 stillgelegten Kohlekraftwerks sollte im saarländischen Ensdorf eine Fertigungsstätte für SiC-Leistungshalbleiter entstehen. Zu diesem Zweck hatten sich der amerikanische SiC-Pionier Wolfspeed und der deutsche Autozulieferer ZF Friedrichshafen zusammengetan. Als das Vorhaben offiziell war, waren unter anderem Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Dr. Robert Habeck zur Stelle.

Scholz bezeichnete die Fabrik damals als Beitrag zu einer größeren Versorgungssicherheit Europas mit Halbleitern. Dr. Habeck sprach von einem wichtigen Signal, »dass der Standort Deutschland in einer schwierigen Lage weiter attraktiv ist, auch für Hochtechnologie«. Freude auch bei Wolfspeed-Chef Gregg Lowe, der unumwunden zugab, »dass man ohne die damit verbundene Förderung das Projekt in Europa nicht realisieren könnte«.

In Summe rund 2,75 Milliarden Euro sollten in den Bau des neuen Werks fließen, das dann ab 2027 im Saarland SiC-Leistungshalbleiter produzieren sollte, vor allem für die Automotive- und Automobilkunden, die damit ihre Transformation zu Elektroautos vorantreiben wollten. Lowe rechnete mit einer Förderung in Höhe von 20 Prozent der Investitionssumme; am Schluss hätte Wolfspeed wohl mehr als 500 Millionen erhalten. Alles Schall und Rauch. Stand heute wird die Chip-Fabrik nicht gebaut werden.

Zuletzt hatte sich der Autozulieferer ZF Friedrichshafen, der sich ursprünglich mit rund 170 Millionen Euro an dem Projekt beteiligen wollte, daraus zurückgezogen. ZF kann das Geld wohl bei verschiedenen anstehenden innerbetrieblichen Neuorientierungen sinnvoller einsetzen als im neuen Geschäftsfeld Halbleiter. Den Ausschlag gegeben hat wohl die Entscheidung der Amerikaner, die Pläne für das Werk in Ensdorf auf Eis zu legen.

Eigentlich war es das Ziel von Wolfspeed, mit einem SiC-Werk in Europa vor allem die hiesige Automobilindustrie zuverlässig mit den heiß begehrten Leistungshalbleitern für Elektrofahrzeuge zu versorgen. Das Saarland an der Nahtstelle zwischen Deutschland und Frankreich schien da ein logistisch optimaler Standort zu sein.

Aufgrund der gesunkenen Nachfrage nach Elektrofahrzeugen scheint man nun nicht mehr davon überzeugt zu sein, dass ein Werk in Europa angesichts der schwachen Nachfrage wirklich eine gute Entscheidung ist. Hier muss man wissen, dass Wolfspeed zu Hause in den USA bereits zwei Megaprojekte laufen hat: Die Erweiterung seiner Chipfertigung im Werk Marcy im Bundesstaat New York und den Bau einer neuen Waferfabrik in North Carolina. Für letztere hat Wolfspeed in der zweiten Oktoberwoche die Zusage über 750 Millionen Dollar staatlicher Hilfe bekommen. Eine Zusage, die allerdings mit der Bedingung verbunden war, dass Wolfspeed seine Finanzen in Ordnung bringt und das Geld der Steuerzahler absichert.

Lippert Marcus
Marcus Lippert, StarPower Europe: »Die erhoffte Herbstbelebung ist nicht eingetreten. Hauptgründe hierfür sind weiterhin hohe Lagerbestände in der Supply-Chain sowie eine schwache Nachfrage für die Endanwendungen unserer Kunden.«
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Mit dem gesenkten Daumen für Ensdorf hat man die geforderte finanzielle Ordnung nun wohl hergestellt. Nach dem Aus der Intel-Chip-Pläne in Magdeburg ist das innerhalb weniger Monate nun der zweite herbe Rückschlag für den vom European Chip Act gestützten Versuch der Bundesregierung, durch staatliche Förderung neue Chip-Werke nach Deutschland zu bringen und damit nicht nur dazu beizutragen, die Abhängigkeit der deutschen Industrie von ausländischen Fertigungsstätten in diesem Bereich zu reduzieren, sondern den Anteil der europäischen Halbleiterproduktion an der Weltproduktion wieder in Richtung 20 Prozent zu verschieben.

Rückblick – in den letzten Jahren kannte die Leistungshalbleiter-Branche nur eine Richtung: vorwärts. Im konkreten Sinne bedeutete das vor allem den massiven weltweiten Auf- und Ausbau von Fertigungsstätten für Siliziumkarbid- und GaN-Leistungshalbleiter. Jede weitere Investition wurde mit Fanfaren verkündet; jeder Hersteller, der noch schnell vor allem auf den SiC-Zug aufsprang, um nur ja nicht das große Geschäft der Zukunft zu verpassen, wurde freudig von der Branche begrüßt.

Ein sicher ungewöhnliches Verhalten, wenn man sich andere Bereiche der Halbleiterbranche ansieht, und wohl nur aus den Umständen zu verstehen, dass sich eine kleine Gruppe von Know-how-Trägern auf einmal mit der Aufgabe konfrontiert sah, unter anderem die weltweit auf E-Mobility umschwenkende Automobilindustrie zuverlässig mit SiC zu versorgen. Je nach Quelle wurden in den letzten nicht einmal zehn Jahren weltweit zwischen 40 und 70 Milliarden Dollar allein im SiC-Bereich investiert oder Investitionen angekündigt.

Dass die dafür Verantwortlichen sich in der jetzigen Situation unangenehmen Fragen stellen müssen, dürfte verständlich sein. Nur so ist es wohl zu erklären, dass bei dieser Recherche vor allem die großen aktiennotierten Unternehmen durch intensive Verweise auf die »Quiet Period« auffallen, teils sogar mit dem Hinweis, man möchte doch bitte bisher geäußerte Statements nicht wiederholen.

Früher hätte man in solchen Fällen vom Schweinezyklus gesprochen, den es aber angeblich schon seit Jahren nicht mehr gibt. Letztlich werden die getätigten Investitionen in den Fertigungsausbau nicht eingestampft werden, der Return of Invest wird sich nur etwas länger hinziehen als gedacht. Und lieber bei anziehender Nachfrage dann mit ausreichender Produktionskapazität ausgestattet sein als mit zu wenig. Dann zahlt sich die unternehmerische Entscheidung zum Fertigungsausbau letztlich doch noch aus.

Kasteleiner Harald
Harald Kasteleiner, Glyn: »Ob es in Zukunft tatsächlich zu einem massiven Bullwhip-Effekt kommt, bezweifle ich, da dies von mehreren Marktfaktoren abhängig ist. Ob diese dann alle gleichzeitig zum Tragen kommen werden, ist eher zu bezweifeln.«
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Angedeutet hatte sich die aktuelle Situation schon seit gut einem Jahr. Als im Frühsommer dieses Jahres die Branche zum traditionellen Roundtable dieser Zeitung zusammenkam, war bereits aus diversen Äußerungen herauszulesen, dass es um die Auftragsbücher und die nahen Zukunftsaussichten nicht zum Besten stand. Thomas Grasshoff, Head of Strategy bei Semikron Danfoss, sprach damals bereits von einer »Saure-Gurken-Zeit«. Das galt nach seiner Einschätzung vor allem für investitionsgetriebene Applikationen wie Antriebe, »andere Applikationen, die an UPS, Server-Center oder KI im weitesten Sinne angekoppelt sind, erfreuen sich dagegen weiterhin eines kontinuierlichen Bestellverhaltens. Bei erneuerbaren Energien gibt es regionale Unterschiede in der Entwicklung«.

Grasshoff gehört zu den wenigen, die auch jetzt offen über die Situation auf dem deutschen und europäischen Markt der Leistungselektronik sprechen. »Die Hoffnungen auf eine Verbesserung im Herbst dieses Jahres wurden nicht bestätigt«, stellt er fest, »es gibt keine wirtschaftliche Belebung, auch nicht im Ausblick«. Einzig das UPS- und Power-Supply-Geschäft ziehe an. Treiber dafür seien die Datacenter für KI-Anwendungen, »die Nvidia-Chips brauchen eben viel Strom«.

Grasshoff schätzt den Halbleiteranteil im Automotive-Bereich auf 30 bis 40 Prozent des Gesamtmarktes. Angesichts der gesunkenen Automobilproduktion in Europa »ist der Rückgang in diesem Bereich signifikant«. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist für ihn jedoch, »dass die Projektion für den Ramp-up im E-Fahrzeugbereich korrigiert wurde und damit auch zukünftige Stückzahlen nach unten korrigiert worden sind«. Ein weiteres Problem sieht er darin, »dass über 30 Prozent des Umsatzes im Automotive-Bereich in China passieren, und der fällt zunehmend weg; zurückkommen dürfte dieser Umsatz auch nicht«.

Und im Bereich industrieller Anwendungen? »Am Antriebsmarkt sind weiterhin hohe Lagerbestände vorhanden, da nicht in Produktionsanlagen investiert wird. Der Absatz in China gestaltet sich auch zunehmend schwieriger wegen der dortigen Überkapazitäten und des damit verbundenen Preisdrucks.« Sein Fazit für 2025: »Im Leistungselektronikbereich sind die Lager unserer Kunden im Mittel weiterhin gut gefüllt. Es gibt eine Hoffnung auf Ersatzinvestitionen im nächsten Jahr, das würde dann aber eher für eine kleine Belebung und nicht für eine massive Nachfragebelebung sprechen.«

Grasshof Thomas
Thomas Grasshoff, Semikron Danfoss: »Im Automobilbereich ist entscheidend, dass die Projektion für den Ramp-up im E-Fahrzeugbereich korrigiert wurde und damit auch zukünftige Stückzahlen nach unten korrigiert worden sind.«
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Auch Harald Kasteleiner, Business Unit Manager Analog, Power & Sensors bei Glyn, musste feststellen, dass der erwartete Abbau der hohen Lagerbestände bei den Projektkunden deutlich langsamer voranschreitet, als man das ursprünglich erwartet hatte. »Viele Kunden stehen vor der Herausforderung hoher Lagerwerte, deshalb ist ihr Bestellverhalten sehr zurückhaltend. Investitionen werden in die Zukunft verschoben; Redesigns und Neuprojekte kommen nur sehr langsam ins Laufen.«

Und was bringt das Jahr 2025 nach seiner Einschätzung? »Nach den Informationen, die wir aus dem Markt erhalten, gehen wir aktuell von einer Erholung der Marktlage im 2. oder 3. Quartal 2025 aus. Bis dahin werden viele Kunden ihre Lagerwerte auf ein Niveau reduziert haben, das es nötig macht, neue Investitionen zu tätigen«.

Wie sieht er die Gefahr eines Bullwhip-Effekts, wenn die Kunden zu lange mit der Rückkehr zu einem normalen Orderverhalten warten? »Tatsächlich warnen wir unsere Kunden immer wieder davor, den rechtzeitigen Zeitpunkt für Folgebestellungen zur individuellen Produktionssicherung nicht zu verpassen. Dabei handelt es sich um eine reale Gefahr, die gerne von den Kunden beiseitegeschoben und entsprechend unterschätzt wird.« Dass es wirklich zu einem massiven Bullwhip-Effekt kommen könnte, bezweifelt Kasteleiner aktuell jedoch: »Dies wäre von mehreren Marktfaktoren abhängig. Ob diese dann wirklich alle gleichzeitig zum Tragen kommen, ist wohl eher zu bezweifeln.«

Auch Marcus Lippert, Business Development Manager bei StarPower Europe, kann definitive keine eingetretene Herbstbelebung am Markt erkennen. Auch er verortet die Gründe dafür in den weiterhin hohen Lagerbeständen in der Supply-Chain sowie der schwachen Nachfrage für die Endanwendungen der Kunden. »Aktuell wartet der Markt auf neue Impulse; Anzeichen für eine deutliche Belebung sind in naher Zukunft für uns jedoch nicht zu erkennen.«

Auf die einzelne Anwenderbranche der Leistungshalbleiter bezogen geht Lippert davon aus, dass die Lage bei den industriellen Umrichterherstellern nicht besser ist als im Automotive- und Automobilbereich, »tendenziell vielleicht sogar noch schlechter«. Sein Fazit aus der aktuellen Marktsituation lautet deshalb: »Für die nächsten 12 bis 18 Monate gehen wir Stand heute nicht von einer möglichen Allokation aus.«

Von Enttäuschung hinsichtlich der aktuellen Marktentwicklung will Dr. Michael Lampalzer, Manager Strategic Marketing Power Semiconductors bei Mitsubishi Electric Europe, nicht sprechen. »Die Marktentwicklung für den Einsatz von Leistungshalbleitern rund um die Generation und den Transport erneuerbarer Energien ist weiterhin sehr positiv auf dem Weg in Richtung einer All-Electric Society.« Dr. Lampalzer gibt aber zu, »dass wir auch auf eine Verbesserung der Nachfrage im Bereich der industriellen Anwendungen hoffen«. Im Automobilbereich sei die Produktion zwar seit 2019 weltweit rückläufig, inzwischen gäbe es aber einen Trend zur Erholung. Die Bedeutung von Leistungshalbleitern für den xEV-Bereich stehe außer Frage, »daher ist es vor allem von Bedeutung, dass die bereits gesetzten EU-weiten CO2-Ziele für den PKW-Bereich nicht hinter scheinbaren Vorteilen mit nur kurzer zeitlicher Reichweite zurückgestellt werden«.

Auch aus Sicht von Bernd Riemann, Senior Field Application Engineer Europe bei Alpha & Omega Semiconductor, haben sich die Hoffnungen des Frühjahrs nur teilweise bestätigt, »in einigen Teilbereichen hat das Geschäft angezogen, aber unter dem Strich ist es nicht zur erhofften Markterholung gekommen«. Teilweise müssten Kunden aufgrund der geringen Auftragslage Kurzarbeit anordnen, »viele größere Unternehmen müssen gar Teilbereiche schließen, da der Auftragseingang in Europa weit hinter den Erwartungen zurückliegt«. Angesichts wahrscheinlich niedriger Lagerbestände im nächsten Jahr verweist er darauf, »das viele Halbleiterhersteller in neue Fertigungskapazitäten investiert haben, die nach und nach marktrelevant werden, zudem drängen neue Unternehmen aus China auf den europäischen Markt«. 

 


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