Gut eineinhalb Jahrzehnte kannte die Leistungshalbleiterbranche nur eine Richtung – aufwärts. Nun kam der erste Dämpfer, speziell auch für Wide-Bandgap. Bremsspuren im Automobil- und Antriebsbereich kombiniert mit geopolitischen Spannungen erteilen sicher geglaubten Wachstumspfaden einen Dämpfer.
Wenn man ehrlich ist, dann bewegen wir uns aktuell schon in einer Saure-Gurken-Zeit«, charakterisiert Thomas Grasshoff, Head of Strategy bei Semikron Danfoss, auf dem diesjährigen Leistungshalbleiter-Forum der Markt&Technik die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Monate auf dem Leistungshalbleitermarkt. Das gelte vor allem für investitionsgetriebene Applikationen wie Antriebe; »andere Applikationen, die an UPS, Server-Center oder KI im weitesten Sinne angekoppelt sind, erfreuen sich dagegen weiterhin eines kontinuierlichen Bestellverhaltens; bei erneuerbaren Energien gibt es regionale Unterschiede in der Entwicklung«.
Alfred Hesener, Senior Director Industrial Applications bei Navitas Semiconductor, betont zwar, »dass wir nach wie vor noch ein kleines Unternehmen sind, aber wir sehen die Entwicklung der letzten Monate durchaus als negative Entwicklung in unseren Auftragsbüchern widergespiegelt«. Man könne von einer Marktschwäche sprechen, »die in der Branche aber auch zu einem Durchatmen genutzt wird, in der man sich auch wieder auf Projekte besinnt, die während der Pandemie in den Hintergrund getreten sind; deshalb würde ich schon von einem Silberstreif am Horizont sprechen«.
In den Augen von Dr. Ester Spitale, Technical Marketing Manager bei STMicroelectronics, »ist 2024 vor allem ein Jahr der Erholung«. Noch seien die Lager der Distributoren auf einem stabilen Niveau und würden langsam abschmelzen. Was fehle, seien die Aufträge der Kunden. Für sie gibt es zwei Gründe dafür: Zum einen die Instabilität des Marktes und die damit verbundene finanzielle Situation, und dann die gesunkenen Lieferzeiten, die Kunden dazu verführen würden, Aufträge zu schieben. Ein potenziell fataler Fehler, da sich die Lieferzeiten nicht mit den Produktionszeiten decken würden
Paul Klausner, zuständig für Technical Marketing Automotive bei onsemi, erkennt darin das andauernde Missverständnis zwischen Halbleiterherstellern und ihren Kunden. »Unsere Herstellzeiten liegen dann bei sechs Wochen, wenn die Die-Bank voll ist; ist die Die-Bank dagegen leer, liegt die Produktionszeit eher bei drei bis vier Monaten.« Ein Fakt, der, obwohl bekannt, auf der Kundenseite immer wieder gerne ignoriert wird, »das führt dann zum Mismatch und zur nächsten Allokation«. Mit Blick auf die Marktentwicklung der letzten Monate versichert Klausner, dass die Verunsicherung
aktuell vor allem im Antriebs- und Automobilbereich hoch sei.
Für Ole Gerkensmeyer, Sales Director Automotive EMEA bei Wolfspeed, hat sich der Bedarf, in seinem Fall an Siliziumkarbid, nicht unbedingt abgeschwächt, »er hat sich vielmehr verschoben«. Nicht wirklich hilfreich sei in diesem Zusammenhang etwa die Diskussion und letztlich Verhängung von Schutzzöllen gegen chinesische Elektroauto-Hersteller gewesen, »dann bedienen eben andere Firmen die Märkte, die nicht mehr zugänglich sind«.
Dieter Liesabeth, Senior Vice President of Product bei VisIC Technologies, sieht eher eine Verschiebung der Dynamik am Markt. Als Startup sei man in den letzten zwei Jahren vor allem auf Tier-One-Ebene unterwegs gewesen; »inzwischen verschiebt sich das mehr und mehr in den OEM-Bereich, sie treiben jetzt die Innovation«. Dass die Tier-Ones bei Innovationen derzeit auf der Bremse stünden, hat für ihn in erster Linie finanzielle Gründe. »Der OEM hat das Geld und sagt, ich will das jetzt so und so machen, und damit sichere ich mir einen Vorteil gegenüber dem Wettbewerb.«
In einer ähnlichen Situation wie Liesabeth sieht sich auch Marcus Lippert, Business Development Manager bei StarPower Europe: »Unser Projektgeschäft läuft nach wie vor sehr gut; was dann dabei hinten rauskommt, muss man immer erst sehen.« Nach seiner Einschätzung werden die Bookings in den letzten Monaten des Jahres 2024 wieder anziehen – »wann das dann in den Billings aufscheint, wird man sehen«. Er verweist aber auch auf die Situation in China, »der Markt ist dort flach, da wurden aber in der Vergangenheit Überkapazitäten aufgebaut, weshalb ich glaube, dass viele Industriekunden in Europa in den nächsten Monaten Druck aus China bekommen werden«. Eine Einschätzung, die Grasshoff speziell bei Antrieben teilt, »die Überkapazitäten werden in den Markt gedrückt werden«.
Aus Sicht von Hy-Line Technology verlaufen die Shippings nach den Worten von Jochen Krause, Product Line Manager für Power & Energy, ziemlich stabil. »Durch die Pandemie sind da teils Bedarfe von zwei, drei Jahren aufgelaufen. Jetzt sind die Produkte wieder verfügbar, und es geht ein bisschen um die Frage: Liegt der Lagerbestand nun bei uns oder beim Kunden?« Da werde teilweise versucht zu verschieben.
Einig sind sich die Diskussionsteilnehmer aber darin, dass die Saure-Gurken-Zeit, die etwa zum 4. Quartal 2023 begann, in diesem Jahr beendet wird. So sprach Hesener, Navitas Semiconductor, ja bereits vom Silberstreif am Horizont. Grasshoff, Semikron Danfoss, rechnet mit einer selektiven Verbesserung des Marktgeschehens, »vielleicht bei den erneuerbaren Energien, auf den Antriebsmärkten dagegen eher nicht«. Gerkensmeyer, Wolfspeed, sieht eine Verbesserung der Marktsituation bereits in der zweiten Jahreshälfte 2024.
Bei STMicroelectronics, so Dr. Spitale, geht man von einer Steigerung des Marktes ab dem 4. Quartal dieses Jahres aus, »noch mehr Hoffnung verbinden wir aber mit der Entwicklung im Jahr 2025«. Auch Krause, Hy-Line Technology, hofft auf das letzte Quartal dieses Jahres: »Ich gehe davon aus, dass die Kunden dann wieder einen Erwartungs- und Planungshorizont haben, der sich in neuen Aufträgen niederschlägt.«
Eine saubere Trennung zwischen Ups und Downs ist nach Einschätzung von Grasshoff, Semikron Danfoss, heute nicht mehr möglich, »die Zeit der klassischen Schweinezyklen ist vorbei, das verschleift sich zusehends«. Gerkensmeyer geht angesichts der Transformation etwa im Automobilbereich davon aus, dass sich die Marktdynamiken noch weiter verstärken werden, »es gibt ja auch schon wieder die ersten Leute, die von Allokation sprechen«. Im Versorgungsbereich gebe es heute die verschiedensten Konzepte vom klassischen Distributor über Logistik-Forwarder über die Cloud, die beginne, in das Auftragsmanagement einzugreifen. Für ihn alles Gründe, um davon auszugehen, »dass die Realität der Post-Pandemie-Ära eine deutlich dynamischere sein wird«.
Dr. Spitale, STMicroelectronics, berichtet davon, dass Distributoren aktiv dabei seien, ST-Aufträge einzuwerben, und so verhindern wollen, dass es bei einem Anspringen des Marktes zum bereits erwähnten Mismatch zwischen Demand und Fertigungskapazität komme. »Es kann gefährlich werden, wenn der Markt wieder anzieht, deshalb versuchen wir frühzeitig das nötige Bewusstsein für die Besonderheiten des Halbleitermarktes zu schaffen.«
Krause, Hy-Line Technology, geht davon aus, »dass es noch bis zum Ende des 1. Quartals 2025 dauern wird, bis die Lager bei uns und bei den Kunden wieder auf dem Niveau sind, dass eine normale Planung möglich ist. Die entscheidende Frage ist nur: Was geschieht bis dahin?«.
Teilweise richten sich die Hoffnungen auf eine weniger unübersichtliche Zukunft mit dem Einsatz von LTAs. So geht Liesabeth, VisIC Technologies, davon aus, »dass wir in Zukunft gar nicht mehr so viele massive Überschwinger im Bedarfsbereich sehen werden, weil das Gros der Kapazitäten über LTAs abgesichert sein wird«. Grasshoff, Semikron Danfoss, bezweifelt das, da LTAs von Nachteil seien, wenn der Markt nach unten gehe, »und man darf nicht vergessen, dass ja zusätzliche Kapazitäten auf den Markt kommen«.
Gerkensmeyer, Wolfspeed, sieht das Instrument der LTAs als zweischneidig. »Da wird es sicher den OEM geben, der das nötig Geld hat und der sagt, ich möchte das, das ist es mir wert.« LTAs können in seiner Sichtweise glättend wirken, »wie ein Kondensator«, allerdings setze das den Willen und das Können des Investierens voraus.
Wer in diesem Jahr die PCIM besucht hat, dem wird aufgefallen sein, dass die GaN-Hersteller geradezu euphorisch waren. Der Grund: Offenbar wurden inzwischen einige Tipping-Points erreicht, die dazu führen, dass GaN nicht mehr nur auf dem Konsumgütermarkt Verwendung findet, sondern allmählich auch auf dem Industrieelektronikmarkt ankommt und auch für den Automotive-Bereich interessant wird.
Ein Eindruck, der von der Mehrheit der Diskussionsteilnehmer geteilt wird. »Bei den Leuten ist inzwischen angekommen, dass GaN ein interessantes Produkt für 650-V-Anwendungen ist«, freut sich Liesabeth, VisIC Technologies. »Das Hauptvolumen von GaN geht aber immer noch in den Consumer-Bereich, und dort vor allen in Power-Supply-Applikationen zwischen 60 und 100 W, das ist der Stand heute«. Angesichts einer Marktdurchdringung von gerade mal 15 Prozent bei den Stromversorgungen sieht er allein schon in diesem Applikationssegment noch viel Platz nach oben. In den klassischen Industrieanwendungen mit bis zu acht Jahren Lebensdauer beginne GaN dagegen gerade erst Fuß zu fassen, »unter anderem mit High-Speed-DC/DC-Anwendungen im High-End-Serverbereich«.
Für Dr. Spitale, STMicroelectronics, ist es absolut normal, dass man erst mal Zeit investieren müsse, um den Industrieelektronikmarkt für GaN zu erschließen. »Aber viele Kunden ziehen GaN dort inzwischen durchaus in Betracht, auch wegen seiner Robustheit«. Aktuell gingen die Überlegungen in Richtung von Applikationen bis maximal 20 kW, »darüber wissen wir noch nicht, ob sich das in der gewünschten Form für den Anwender auszahlen würde«.
Dass sich GaN schwer getan hat, im Indus¬trieelektronikbereich Fuß zu fassen, hat für Krause, Hy-Line Technology, vor allem mit dem Thema Packages zu tun. »Da hat sich keines am Markt durchgesetzt, und parallel wurde die Technologie immer weiter getrieben.« Zu Beginn habe man TO-220 und -247-Gehäuse verwendet und gesagt, das sei zwar nicht das optimale Package für GaN, »aber es sei wenigstens vergleichbar mit MOSFETs«.
Das Problem sei gewesen, dass man schlicht die Vorzüge dieser Technologie nicht aus dem Package rausbekommen habe. Dass es dann in kurzen Zyklen immer wieder zu Package-Wechseln gekommen sei, sei für Industriekunden katastrophal gewesen. Inzwischen habe sich die Package-Situation in gewissem Maße stabilisiert, »die Änderungen sind nicht mehr so groß wie vorher«.
Die Package-Probleme rechtfertigt Dr. Spitale damit, dass es zu Beginn keinen Standard gegeben habe »und jeder Hersteller glaubte, dass sich sein Package als Standard am Markt durchsetzen werde – letztlich entscheidet der Markt, was die beste Lösung ist, und die anderen folgen, das war bisher in jeder Technologie so«.
Bleibt die Frage zu beantworten, ob sich jemand traut, in den nächsten Jahren noch eine weitere GaN-Variante oder auch ein weiteres Wide-Bandgap-Material wie Galliumoxid oder auch AlN auf den Markt zu bringen.
Bei Vertical GaN sind sich die Diskussionsteilnehmer relativ einig, dass man da nicht wirklich die Vorteile sehe. »Man müsste ein anderes Substrat verwenden«, meint Liesabeth stellvertretend. »Überhaupt keinen Sinn machen würde es, GaN auf SiC zu machen, denn dann kann ich gleich SiC machen.« Auch würde in seinen Augen der Mehrwert des High-Mobility-Transistors vergeben, wenn man letztlich dann doch wieder eine MOSFET-Struktur machen müsse. Einen Massenmarkt für Vertical GaN, so die Diskussionsteilnehmer, werde es auf absehbare Zeit nicht geben, eventuell Nischenmärkte. Eher sei damit zu rechnen, dass es gelinge, Lateral GaN auch für höhere Spannungen von 1200 oder auch 1700 V zu realisieren, und man so den Charakter des High-Mobility-Transistors auch für diese Spannungsbereiche nutzen könne.
Und neue Materialien wie Galliumoxid oder AlN? Auch wenn in den letzten 10, 15 Jahren der Eindruck entstanden sein mag, die Leistungshalbleiter-Branche sei sehr innovativ im Einsatz neuer Materialien, so trügt dieser Eindruck doch. SiC hat es nach fast 30 Jahren Entwicklung inzwischen zu einer bedeutenden Marktstellung gebracht, bei GaN ging es im Kielwasser von SiC dann etwas schneller. Vorangetrieben wurden beide Technologien von Startups, die dominierenden siliziumbasierten Leistungshalbleiterhersteller begleiteten die Entwicklung zwar mit eigenen Projekten, übernahmen dann aber auch vielfach ehemalige Startups.
Wer sich an die Diskussionen, ob JFET oder MOSFET bei der Frage, wie SiC nun nutzbar gemacht werden sollte, erinnert, oder an die Ansteuerung von GaN-FETs, der kann sich in etwa vorstellen, wie groß die Bereitschaft in der Branche ist, den Kunden von den Vorteilen weiterer Wide-Bandgap-Materialien zu überzeugen und diese gegenüber den bestehenden Technologien abzugrenzen. Keiner der Diskussionsteilnehmer rechnet noch in diesem Jahrzehnt mit der Markteinführung neuen WBG-Materials. Der sachliche Einwand lautet, dass man im Forschungsbereich aktuell gerade mal bei 2-Zoll-Boules sei; »um wirklich Marktrelevanz zu erlangen, bräuchten wird dann aber schon 6-Zoll-Wafer«. Fazit daher: In 10 bis 15 Jahren vielleicht, ein früherer Markteintritt wäre wirklich überraschend!