Marktsondierung für Rüstungstechnik

Verteidigung rückt stärker in den Fokus der Distribution

20. Oktober 2025, 14:30 Uhr | Karin Zühlke
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Geopolitische Krisen und neue Gesetzesinitiativen treiben die Nachfrage nach Verteidigungselektronik. Distributoren positionieren sich zwischen Verantwortung, Marktpotenzial und Technologiekompetenz.

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Der Markt für Sicherheits- und Verteidigungstechnik ist im Wandel: Angesichts geopolitischer Spannungen, wachsender Verteidigungsetats und neuer politischer Beschleunigungsprogramme öffnet sich auch die Elektronik-Lieferkette zunehmend einem Marktsegment, das lange als heikel galt. Die Haltung der Distributoren dazu ist vielfältig – sie reicht von moralischer Distanz bis zu gezielter Expansion. Ein Branchenexperte fasst die Lage so zusammen: »Wir sehen derzeit ein neues Geschäftsfeld entstehen, mit neuen Lieferanten in dieser Branche, die schneller und agiler bei der Entwicklung von Produkten wie Drohnen und Abwehrsystemen sind.« Für die Distribution bedeutet das eine Neuausrichtung zwischen Verantwortung, Marktpotenzial und Technologiekompetenz.

Schon immer Teil der Distributionsbranche

»Sicherheit und Verteidigung waren schon immer Teil der Distributionsbranche«, betont Gilles Beltran, President Avnet EMEA. Avnet begleitet Kunden in diesem Segment seit Jahrzehnten mit einem festen Lieferantenstamm und langjährigen Partnerschaften. »Aufgrund der aktuellen politischen Lage haben viele dieser Lieferanten ihre Geschwindigkeit in der Neuentwicklung von Produkten erhöht«, sagt Beltran. Besonders dynamisch sei derzeit die Entwicklung in den Bereichen RF und Hochgeschwindigkeitsverarbeitung – Schlüsseltechnologien für Radar- und Kommunikationssysteme.

Holger Ruban von Bürklin
Holger Ruban, Bürklin: »Wir merken, dass aus diesem Bereich deutlich mehr Anfragen und Projekte kommen.«
© Bürklin

Auch Arrow Electronics betrachtet diesen Markt als bereits etabliertes, zunehmend wachsendes Segment. »Der Bereich Aerospace & Defense ist für uns nicht neu, sondern seit vielen Jahren ein vertikales Marktsegment, dem wir weltweit dedizierte Teams und entsprechende Ressourcen widmen«, erklärt Jörg Strughold, President EMEA Components. Arrow setzt dabei auf Know-how in Lebenszyklusmanagement, Strahlungshärtung, Langzeitverfügbarkeit und Rückverfolgbarkeit: »Distributoren helfen Kunden dabei, den Markt schneller anzugehen, technologische Komplexität zu reduzieren und den Auswirkungen des Fachkräftemangels zu begegnen.«

Zwischen moralischem Kompass und Marktchancen

Nicht alle halten die Öffnung des Verteidigungsmarkts für uneingeschränkt positiv. »Jede Verteidigungslösung kann man ja leider auch zum Angriff verwenden«, meint Thomas Gerhardt, Geschäftsführer des Spezialdistributors Glyn. Das Unternehmen habe daher »eine interne Leitlinie als moralischen Kompass« eingeführt, um Military-Projekte individuell zu bewerten. Dennoch müsse man sich den Realitäten stellen: »Die Friedensdividende ist durch die Aggression anderer leider ausgesetzt.«

Auch Online-Distributoren wie Bürklin spüren die Bewegung im Markt. »Wir merken, dass aus diesem Bereich deutlich mehr Anfragen und Projekte kommen«, sagt CEO Holger Ruban. Besonders spannend sei die Zusammenarbeit mit Start-ups, »die häufig sowohl militärische als auch zivile Projekte haben«. Die Chancen reichten dabei weit über das klassische Militär hinaus – etwa in kritischer Infrastruktur, Zivilschutz oder THW.

Thomas Gerhardt von Glyn
Thomas Gerhardt, Glyn: »Wenn wir der Meinung sind, dass ein Projekt sinnvoll für unsere Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit ist, werden wir es unterstützen.«
© Glyn

Vom Beschleunigungsgesetz profitieren

Mit dem neuen Bundeswehr-Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz könnte der Markt zusätzlichen Schub erhalten. Der Schritt, langwierige Vergabeprozesse der Bundeswehr zu straffen, dürfte auch den Zugang für mittelständische Partner und Distributoren öffnen. »Wer jetzt die nötige technische Expertise und eine adäquate Linecard hat, kann davon profitieren«, heißt es aus Branchenkreisen.

Bei Conrad sieht man sich bereits gut aufgestellt. »Wir sind seit Jahren Lieferant der Bundeswehr und der ihr vorgelagerten Industrie«, erklärt CEO Ralf Bühler. Das Unternehmen setzt auf digitalisierte Beschaffungsprozesse und schnelle Verfügbarkeit: »Wir sorgen für Versorgungssicherheit – bis hin zur dezentralen Belieferung einzelner Standort-Logistiken.«

Auch Mouser spielt nach Angaben von Marie-Pierre Ducharme, Vice President EMEA Marketing & Business Development bei Mouser, bereits eine wichtige Rolle im Ökosystem der Lieferkette für Luft- und Raumfahrt, Verteidigung und Sicherheit. Besonders gefragt aus diesem Umfeld seien derzeit robuste Steckverbinder, Sensoren, sichere Kommunikationsmodule und Energiemanagementlösungen.

Jörg Strughold von Arrow
Jörg Strughold, Arrow: »Der Bereich Aerospace & Defense ist für uns nicht neu, sondern seit vielen Jahren ein vertikales Marktsegment, dem wir weltweit dedizierte Teams und entsprechende Ressourcen widmen.«
© Arrow

DigiKey sieht die größte Chance für sein Geschäft in der Überschneidung zwischen kommerziellen und verteidigungsfähigen Technologien, wie Mike Slater unterstreicht, Vice President Global Business Development von DigiKey. Viele Kunden entwickeln Produkte, die Luft- und Raumfahrt- oder Verteidigungsstandards erfüllen, »auch wenn sie nicht für den militärischen Einsatz gedacht sind «.

Hier sieht DigiKey seine Rolle als Enabler: durch schnelle Verfügbarkeit, hohe Servicequalität und Zugang zu robusten, zertifizierten Komponenten. »Auch wenn wir nicht direkt sicherheits- und verteidigungsbezogene Projekte anvisieren, sehen wir ein zunehmendes Momentum bei vielen unserer Lieferantenpartner«, berichtet Slater. »Diese steigern ihre Produktion von Mil-Aero- und Mil-Spec-Komponenten – Technologien, die oft weit über den Verteidigungssektor hinaus eingesetzt werden.« Slater beschreibt den Trend als eine Art technologische Konvergenz: Innovationen, die ursprünglich für sicherheitskritische Systeme entwickelt wurden – zum Beispiel in Energieeffizienz, Sensorik oder Kommunikation – finden zunehmend Eingang in zivile Märkte.

Spannungsfeld zwischen Ethik und Transformation

Die Verteidigungsindustrie erlebt eine Renaissance – und die Distribution ist gezwungen, sich zu positionieren.

Zwischen moralischem Anspruch und technologischem Fortschritt entsteht also ein Spannungsfeld, das die Branche auf der einen Seite fordert und auf der anderen Seite antreibt: »Wenn wir der Meinung sind, dass ein Projekt sinnvoll für unsere Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit ist, werden wir es unterstützen«, bringt es Thomas Gerhardt auf den Punkt.«


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