Natürlich wird die Automobilindustrie bis 2030 weiterhin der größte Abnehmer von SiC-Leistungshalbleitern sein. Für weiteres Wachstum, in bisher nie gekanntem Ausmaß, werden aber vor allem neue Player in den verschiedensten Anwendungsbereichen der Leistungselektronik sorgen.
Bis 2030 sollen 10 Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen fahren, so das Antrittsversprechen der Ampel-Regierung. Seitdem hat sie einiges in Bewegung gesetzt, um die Elektromobilität zu fördern – mit finanziellen Anreizen für den Kauf von Elektrofahrzeugen und den flächendeckenden Ausbau der Ladeinfrastruktur. Doch die Versorgungsknappheit auf dem Halbleitermarkt macht Politik und Industrie einen Strich durch die Rechnung. Nicht nur wegen der Elektrifizierung im KFZ-Bereich ist dieses Problem kein kurzfristiges. Denn zusätzlich herrscht in den anderen neuen Anwendungen der E-Mobilität starkes Wachstum:
Natürlich liegen die Stückzahltreiber im KFZ-Bereich. Eine Studie des Europäischen Fachverbands für E-Mobilität Avere und der Strategieberatung Boldt ergab, dass sich sowohl die OEMs als auch die Zulieferer aus den verschiedenen Bereichen von Fahrzeugteilen bis hin zur Ladeinfrastruktur auf einem unumkehrbaren Weg sehen: Schon um das Jahr 2030 erwarten sie, dass der Umschwung zu elektrifizierten Neuwagen nahezu vollständig beendet sein wird. Die bis dahin vor uns liegenden Jahre sind für die Tech-Branche eine gigantische Herausforderung.
Wer wird von diesem Wandel profitieren, und wer wird darunter leiden? Die Auswirkungen auf die Stückzahlen der einzelnen Wertschöpfungsbereiche lassen sich gar nicht so einfach eingrenzen. Ein Grund für die schwierigen Vorhersagen ist, dass es sich bei der Wertschöpfungskette um eher neue Märkte handelt, mit vielen neuen Playern, oft Startups oder teils auch Ausgliederungen aus etablierten Firmen. Gerade diese Neulinge wachsen oft sehr schnell. Diese Dynamik wird von der traditionellen Industrie und auch bei den Abfragen der Markt-Analysten oft übersehen oder unterschätzt.
Ein Verbrennungsmotor und der damit verbundene Antriebsstrang haben viele Komponenten, meist über eintausend. Ein Elektromotor und sein Antriebsstrang kommen nur auf grob ein Sechstel. Letztlich ist die Komplexität der E-Mobilität also um ein Vielfaches geringer, was es Neueinsteigern ermöglicht, ohne jahrelanges Know-how eigene Produkte zu entwickeln und in vergleichsweise kurzer Zeit zur Marktreife zu bringen. Während die traditionellen großen Hersteller und Zulieferer also im Bereich der Verbrennungstechnik weitgehend durch ihren Entwicklungsvorsprung geschützt waren, fällt dieser Vorsprung bei der E-Mobilität viel geringer aus. Auf diese Weise entsteht viel neue Konkurrenz und insgesamt eine in der Mobilität seit einem Jahrhundert nicht gekannte wirtschaftliche Dynamik.
Diese Dynamik geht mit deutlich höheren Anforderungen an die Elektronik, insbesondere an die Leistungshalbleiter, einher. Ihr Anteil an der Wertschöpfung ist in der E-Mobilität um ein Vielfaches höher als bei traditionellen Verbrennern. Dies zieht sich durch, von der Ladestation über bidirektionale On-Board-Inverter mit der Möglichkeit der Rückeinspeisung ins Stromnetz, über den Antriebsstrang bis zum Batteriemanagement. Nicht zu vergessen ist die Ladeinfrastruktur als Ganzes, also etwa auch intelligente Netze, an die die Ladestationen angeschlossen werden. Schließlich benötigt auch die erwartete Infrastruktur für die auszubauenden Stromnetze erhebliche Stückzahlen von Komponenten der verlustarmen Leistungselektronik.
Dieser sich gleichzeitig an mehreren Stellen entfaltende Gesamttrend hat auch Auswirkungen weit über die Mobilität selbst hinaus. Immer mehr E-Fahrzeuge können auch Rückeinspeisungen leisten. Diese Rückeinspeisungen waren früher ein angenehmer Nebeneffekt, aus technischen Gründen werden sie aber heute unabdingbar. Denn mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere Wind und Sonne, gibt es immer mehr Einspeisungen über sogenannte Umrichter, die ohne die klassisch rotierenden Generatoren auskommen. Diese Umrichter schalten sich allerdings im Belastungsfall aus Schutzgründen deutlich schneller ab. Daraus resultierende Netzschwankungen können durchaus erheblich sein und das Netz teils zum Kollabieren bringen – sofern kein Ausgleich vorhanden ist.
Laut einer Studie der Uni Utrecht würden für eine mittelgroße Stadt schon etwa 10.000 Elektrofahrzeuge mit Rückeinspeisung ausreichen, um Schwankungen in den Anforderungen an das Spannungsnetz auszugleichen. Für die Netze bedeutet das also, die vielen neuen E-Autos sind hier nicht nur eine Herausforderung für den Ausbau der Ladeinfrastruktur, sie schaffen gleichzeitig neue Möglichkeiten für die Stromnetzgestaltung und den Ausbau erneuerbarer Energien. Und, man ahnt es, auch all diese Umgestaltungen benötigen Leistungselektronik, mit höchster Effizienz und möglichst guten thermischen Eigenschaften bei kleiner Größe. Einmal produzierte elektrische Energie muss in Zukunft an immer mehr Stellen gewandelt werden, um überall dort zum Einsatz zu kommen, wo es sinnvoll und nötig ist. Wenn bei jeder Wandlung nur eine Handvoll Prozentpunkte der Leistungsverluste eingespart werden können, macht das insgesamt riesige Unterschiede für die benötigten Strommengen.
Bei all der benötigten Leistungselektronik wird dem Zauberstoff Siliziumkarbid eine entscheidende Rolle zugesprochen. Denn Leistungshalbleiter auf klassischer Silizium-Basis, die sogenannten IGBTs, haben höhere Verlustraten bei der Wandlung. Siliziumkarbid-Halbleiter sind zwar an sich oft teurer, die mit ihnen gebauten Systeme allerdings kommen mit weniger Komponenten aus, die weniger störanfällig sind, weniger Kühlung brauchen, weniger Platz. Unterm Strich reduzieren sie die Systemkosten und erhöhen die Effizienz. Ein E-Auto kann so also entweder mit einer kleineren Batterie ausgestattet werden oder bei gleichbleibend großer Batterie größere Reichweiten erzielen.
In der Konsequenz setzt nun die ganze Branche der E-Mobilität gleichzeitig auf diesen Wunderstoff. Während die Siliziumkarbid-Spezialisten die eigenen Kapazitäten mit nie dagewesenen Investitionen steigern und inzwischen sogar die erste Fabrik im ertragreicheren 200-mm-Format eröffnet hat, springen viele andere, teils auch namhafte Firmen auf diesen Zug in letzter Minute auf.
Lässt sich dadurch die erwartete Nachfrage befriedigen? Oder steuern wir sogar auf eine Überkapazität zu? Letzteres ist nicht zu erwarten, da die Nachfrage dafür einfach zu schnell wächst, prognostiziert über 30 Prozent Zuwachs pro Jahr. Aktuell laufende Investitionen in die Leistungselektronik sollten aber nicht mehr auf den Standard von gestern setzen. Wer klassische IGBTs produziert, wird sicher noch eine Zeit lang Anwendungen dafür finden. Doch die Zukunft gehört klar dem Siliziumkarbid. In vielen Fällen wird der Aufbau der neuen Produktionskapazitäten vier bis sechs oder gar mehr Jahre in Anspruch nehmen, denn dieses Material ist nicht leicht zu handhaben. Bei enormer Hitze aus einem Substrat einen voll funktionsfähigen Wafer herzustellen und daraus Leistungshalbleiter zu bauen, die nach Automobilindustrie-Standards getestet und qualifiziert sind, ist eine enorme Herausforderung. Ob also um das Jahr 2030 herum all die gewünschten Kapazitäten bereits vollständig den Markt bedienen können, ist eher fraglich.
Neben der Leistungselektronik sind Halbleiter kritische Bauteile für Steuergeräte, ohne die ein Auto kein Display oder Klimaanlage betreiben kann. Im Zuge des Chipmangels haben Deutschland und die EU – wie auch die USA – die Bedeutung dieser Bauteile erkannt und die Weichen für eine europäische Chip-Zukunft gestellt: Mit Fördermitteln unter den EU Programmen IPCEI und Chips-Act, soll die europäische Halbleiterindustrie aufholen. Diesen Ball hat eine Reihe von Unternehmen wie Intel, Wolfspeed, Infineon und TSMC aufgenommen. Im Saarland soll mit Fördermitteln die erste Siliziumkarbid-Halbleiterproduktion auf 200-mm-Waferbasis auf deutschem Boden entstehen. Bei der Vorstellung des Projekts hat Bundeskanzler Olaf Scholz betont, Deutschland und Europa müssten »in technologischer Hinsicht resilienter werden«.
Wie schnell Europa solche Produktionskapazitäten erweitern kann, wird dabei die Versorgungssicherheit der europäischen Automobilindustrie maßgeblich entscheiden. In anderen Industrieanwendungen wird der Einsatz dieser Chips ebenso voranschreiten, etwa bei erneuerbaren Energien, Energiespeichersystemen und der Stromversorgung für Rechenzentren und Servern. Hier gilt wie beim massiven Ausbau der Ladeinfrastruktur für die E-Mobilität in ganz Europa: Wer möchte an jedem Punkt ein paar Prozent Energie verlieren?
In der Konsequenz steht die Industrie also vor einem der größten Wandlungsprozesse seit der Erfindung einfacher bipolarer Halbleiter. Der Wettlauf hat längst begonnen.