Auf ein Jahr zum Vergessen folgt mit 2025 ein Jahr, das nur so von Veränderungen überquillt. Neue politische Rahmenbedingungen auf nationaler und internationaler Ebene, Schutzzölle, sich verändernde Lieferketten, bereinigte Lager in der Distribution.
Alles scheint bereitet für einen Aufschwung – unklar ist nur, ob er noch in diesem Jahr kommt.
Ein Stimmungsumschwung müsse her, darüber sind sich die Teilnehmer des diesjährigen Forums »Passive Bauelemente« der Markt&Technik schnell einig. »Wir brauchen wieder eine positive Grundstimmung«, macht Joachim Pfülb, Vice President Sales Components bei Beck Elektronik Bauelemente, deutlich. »Im Fußball ist uns das mit der Nationalmannschaft ja auch wieder gelungen.« »Die Stimmung ist derzeit geprägt von einer gewissen Mutlosigkeit«, meint Dr. Arne Albertsen, Senior Sales Manager bei Jianghai Europe Electronic Components, und führt das unter anderem auf die zahlreichen Veränderungen der letzten Jahre zurück. »Die Mentalität muss sich ändern«, fordert Ferdinand Leicher, Vice President Sales EMEA bei Bourns, »eine neue Zuversicht muss an die Stelle der herrschenden Negativität treten«.
Ein Einstieg, der die Diskussionsteilnehmer darum schnell zu ihren Erwartungen an eine neue Bundesregierung führt (Anmerkung der Redaktion: Das Forum fand vor der Bundestagswahl statt). Alexander Gerfer, CTO bei der Würth Elektronik eiSos Group, ist sich deshalb sicher, »dass eine neue Bundesregierung relativ schnell neue Impulse setzen muss, um aus diesem Tal herauszukommen, und allein bei den Themen Infrastruktur und Energienetze gäbe es ja schon jede Menge zu tun!«
Vor diesem Hintergrund hoffen alle Diskussionsteilnehmer auf eine schnelle Regierungsbildung, und acht von elf der Teilnehmer plädieren für eine Zwei-Parteien-Koalition, um Dinge einfacher und schneller umgesetzt zu bekommen. Neben neuen Initiativen haben für die Industrie, wie Dr. Albertsen betont, zwei Punkte Priorität: Klarheit und Verlässlichkeit. Eine neue Regierung könne neue Gesetze und Maßnahmen beschließen, »aber die müssen dann eben auch Bestand haben, damit sich die damit verbundenen Investitionen der Industrie mit der Zeit auch rechnen können«.
»Wir zählen ja vor allem Firmen zu unseren Kunden, die langfristig denken und investieren müssen«, erläutert Jan Pape, Vice President, ESBU Sales EMEA & South America bei Littelfuse, »und der Großteil unserer Kunden hat im letzten Jahr noch nicht mal in Renovierung, Upgrades oder Maintenance ihrer existierenden Investitionsgüter investiert, geschweige denn in neue!« Sollte die neue Regierung in puncto Wirtschaftspolitik eine langfristige Strategie entwickeln und das dann auch durchkriegen, »sehe ich auch wieder positiver in die Zukunft!«
Es sind darum vor allem Stockfehler zu vermeiden, die die Branchenvertreter ärgern, und die mangelnde Professionalität zu überwinden, deren Folgen eben auch spürbare Auswirkungen auf das Geschäft mit passiven Bauelementen in diesem Land haben. »Wenn ich E-Mobilität fördern will«, so Pfülb, Beck Elektronik Bauelemente, »kann ich die Förderung nicht davon abhängig machen, was ich gerade im Haushaltstopf habe. Ich sollte beispielsweise eine zu erreichende Quote bei Neuzulassungen festsetzen, 30 oder 40 Prozent, bis zu der jedes neu gekaufte E-Auto gefördert wird. Das kann dann in vier, aber auch erst in sechs, oder sieben Jahren so weit sein«.
Würde sich die schnelle Bildung einer neuen Bundesregierung, die dann auch durch entsprechendes Handeln schnell versucht auf die Märkte und die Wirtschaftsentwicklung Einfluss zu nehmen, schon in diesem Jahr auf die Auftragsbücher und die Umsatzentwicklung im Bereich passiver Bauelemente auswirken? Das sehen die Diskussionsteilnehmer sehr unterschiedlich.
»Ich persönlich glaube, dass eine neue Bundesregierung, gleich welcher Couleur, sehr wenig Einfluss auf unsere Industrie und unser Geschäft haben wird«, meint Olaf Lüthje, Senior Vice President Marketing Operations bei Vishay, und führt das weiter in der Form aus, »dass, wenn wir keine massiven Förderprogramme in den Bereichen Solar, Elektrofahrzeuge oder Mautsysteme bekommen, ich mir das nicht vorstellen kann, und schon gar nicht 2025«.
Josef Vissing, President bei TDK Europe, ist da anderer Meinung: »Wenn ich mir die überraschend weggefallenen Subventionen für Elektroautos ansehe, dann hat das schon einen Schlag gegeben. Aus dem Grund glaube ich schon, dass man da etwas tun kann, wenn man entsprechend viel Geld in die Hand nimmt«. »Es geht ja nicht nur um E-Mobility«, wirft Michael Turbanisch, Director, Head of Sales Central Europe, Sales Business Group bei der Yageo Group ein, »machen wir uns nichts vor, wenn wir bezüglich der Solarbranche nichts unternehmen, dann geht die hops.« Eine schnelle Regierungsbildung sei darum Pflicht. Allerdings geht auch Turbanisch nicht von schnellen spürbaren Auftrags- und Umsatzentwicklungen aus: »Jetzt muss erst einmal gesät werden, die Ernte können wir dann frühestens 2026 einholen«.
Bereits zum Zeitpunkt des Forums verwiesen einige Teilnehmer darauf, dass verschiedene Forschungs- und Wirtschaftsinstitute darauf hingewiesen hätten, dass Deutschland dank seiner bisher geringen Verschuldung günstig Kredite aufnehmen könne, um das Wirtschaftswachstum anhaltend zu stimulieren. »Sowohl arbeitgeber- als auch arbeitnehmernahe Institute haben eine Summe von rund 600 Milliarden Euro in diesem Zusammenhang genannt, die eine neue Regierung für Investitionen in Industrie, Energie und Innovation nutzen könnte«, sagt Pape. »Da diese staatlichen Investitionen zusätzliche Investitionen der Privatwirtschaft auslösen würden, dürfte die Verschuldungsrate am Ende sogar geringer ausfallen«.
»Eines unserer größten Assets ist mit Sicherheit, dass wir unter den Industrienationen die bislang solidesten Finanzen haben«, meint auch Rüdiger Scheel, Vice President Mobility, Branch Manager bei Murata. »Wir könnten also noch günstig Schulden aufnehmen.« In der Theorie, meint Scheel, halte er das für eine durchaus charmante Lösung, »das Problem ist nur, dass die Frage, was Investitionen sind, von Partei zu Partei durchaus unterschiedlich bewertet wird«. So sei für die einen das Bürgergeld eine Investition in die Zukunft, »für mich muss bei einer Investition etwas Sichtbares rauskommen, am besten noch haptisch erfahrbar, wie etwa eine Brücke, eine neue Fabrik oder neue, zuverlässige Garnituren für den öffentlichen Nahverkehr oder die Deutsche Bahn«.
Einig sind sich alle Diskussionsbeteiligten auch darin, dass es einer Strategie bedarf, und zwar nicht nur einer kurzfristigen, sondern einer mittel- und langfristigen, um den Industriestandort Deutschland in eine gesicherte Zukunft zu führen. »Wir sind traditionell ein veredelndes Land, unsere Rohstoffvorräte sind übersichtlich«, betont Pfülb, Beck Elektronik Bauelemente. »Aus diesem Grund brauchen wir eine langfristige Strategie und das notwendige Kapital, um diese dann umsetzen zu können.« Deutschlands aktuelle strukturelle Herausforderungen ließen sich mit Milliardenpflastern heilen, »wir müssen unsere Stärken definieren und uns auf die Monetarisierung dieses Know-hows und dieser Fähigkeiten konzentrieren, sonst werden wir an den Rand gedrängt und verlieren unseren Einfluss«.
Wie wichtig das ist, dürfte speziell in den letzten Wochen jedem klar geworden sein, der die Veränderungen in der Weltpolitik und der globalen Wirtschaftspolitik verfolgt hat. »Trumps Strafzölle werden die Europäische Union zwingen, dagegen zu halten«, versichert Pape, Littelfuse, »da werden neue, komplexe Modelle in unsere Geschäftsabläufe reinkommen«. Die gesamte Supply-Chain-Umsetzung werde sich zukünftig schwieriger gestalten. Auch die Wechselkurse, dürften zukünftig an Bedeutung gewinnen, meint Pape. »Wir sind noch nicht bei zehn Prozent, aber bald!«
Wenn Trump nur ein singuläres Problem wäre, dann ließe sich das ja noch handhaben, erklärt Vissing, TDK. »Aber wir haben ja noch andere Veränderung wie Chinas immer stärkeren Drang zu Local-for-Local – das ist aktuell wie ein Mobile, das sich da unter den veränderten Bedingungen neu ausrichtet«.
Umso klarer ist laut Stefan Sutalo, Vice President Product Marketing Passive Components bei Rutronik, »darum die Frage, was haben wir als Europa beispielsweise Trump entgegenzusetzen?« Welcher Deal erscheint möglich, welche Zölle könnte Europa einführen, ohne dass die Gesamtsituation völlig eskaliert? Besonders erschreckend findet Scheel, Murata, in diesem Zusammenhang, »dass ein Blick in die jüngsten ZVEI-Zahlen zeigt, dass der einzige Markt, der für die deutsche Elektroindustrie in letzter Zeit gewachsen ist, der amerikanische Markt ist«. Wenn man sich jetzt noch Probleme mit China einhandle, »wäre das ein Nackenschlag, den wir derzeit überhaupt nicht gebrauchen könnten«, fürchtet Scheel.
»Schutzzölle werden den Investitionswillen und die Kaufkraft negativ beeinflussen«, ist sich Lüthje, Vishay, sicher. »Die haben massiven Einfluss auf denjenigen der kauft, das führt zu keinem Wachstumsschub.« Die Tarife, die seit Wochen fast täglich aus Washington ventiliert werden, sie fallen auf den Käufer zurück, versichert auch Dr. Albertsen, Jianghai Electronic. »Im Grunde betreibt man eine künstliche Befeuerung der Inflation und nennt das Ganze dann protektionistisch. Aber was schützt man damit? Beispielsweise die nicht vorhandene Industrie für passive Bauelemente in den USA?«
Leicher, Bourns, berichtet, dass seine amerikanischen Kollegen derzeit sehr optimistisch nach vorne blicken, »weil sie glauben, dass dieses Vorgehen volkswirtschaftlich gut sei. Sie gehen davon aus, dass diese Drohungen letztlich nie in die Tat umgesetzt werden. Gleichzeitig setzen sie darauf, dass der Krieg in der Ukraine endet, der ihnen aus ihrer Sicht nur schadet«. Ein Ende des Kriegs hätte wohl nicht nur aus Sicht der Amerikaner einen Effekt auf die wirtschaftliche Entwicklung. »Trump will vor allen Dingen gut aussehen, und das kann er nur, wenn die Wirtschaft gut läuft«, ist Leichers Fazit. »Ich denke, unter diesem Gesichtspunkt hat Europa gar keine so schlechte Verhandlungsposition.«
Kurz kommt bei der Diskussion um die politischen Risiken der Wirtschaftsentwicklung in diesem Jahr auch die Frage nach den Wechselkursen auf. Während Pape, Littelfuse, da durchaus noch einen kommenden Einfluss sieht, verneinen die übrigen Diskussionsteilnehmer das. »Natürlich ist das kritischer«, so Lüthje, Vishay, »wenn du als Unternehmen mit einem Produktionsstandort ungünstig platziert bist, ob 70 Euro-Cent für den Dollar, oder 1,50 Euro, das ist letztlich eine Kostenbasis, die sich ergibt, auf die Preise hat das eigentlich keine Auswirkungen, das ist letztlich ein kleines Kapitelchen in unserem P&L-Report«. Für ihn persönlich, sagt Lüthje, »wäre die Währungsparität zwischen Euro und Dollar die perfekte Exchangerate, und dann bitte einfrieren«.
Aus Sicht eines amerikanischen Unternehmens, findet Leicher, Bourns, »hat das alles Vor- und Nachteile. Aber wir hatten das alles schon viel schlimmer und extremer als heute.« Leicher erinnert an einen Spitzenwert von 1,60 Dollar für den Euro: »Das war extrem, auch als es zum ersten Mal Richtung Parität ging, haben alle gezuckt.« Sein Fazit: »Früher hatten wir mal ein Währungsthema, heute ist das ein No-Thema.«
Für Turbanisch, Yageo Group, ist es der Vergleich der Produkte am Markt, der den Preis definiert. »Und das trifft uns, wenn ich ehrlich bin, härter als das Währungsthema.« Intern spielen Währungsschwankungen für Yageo mit weltweit 50 Werken keine Rolle, erklärt Turbanisch: »Wir haben globale Preise, letztlich hängt es halt immer auch davon ab, wo der OEM einkaufen will«.
Abschließend vielleicht noch einmal der Versuch, im Nachhinein zu erklären, warum es mit dem auch von der Branche erwarteten und prognostizierten Aufschwung in der zweiten Jahreshälfte 2024 und speziell ab dem Herbst des Vorjahres nicht geklappt hat, und warum das in diesem Jahr wahrscheinlich nicht noch einmal passieren wird: »Volkswirtschaftlich waren die Erwartungen im Vorjahr einfach nicht schlecht«, versucht sich Leicher, Bourns, in einer Erklärung, »man hatte erwartet, es wird besser, und dann kam der volkswirtschaftliche Einbruch«.
Aus Sicht von Harald Sauer, Director bei Taiyo Yuden Europe, sind die 0,3 Prozent Rezession im letzten Jahr noch zu niedrig angesetzt. »Wir sind 2024 zweistellig hinter unseren gesteckten Zielen zurückgeblieben, und die Gründe dafür waren vielfältig, da haben unter anderem auch Währungseffekte hineingespielt.«
»Vor einem Jahr haben wir hier zusammengesessen und haben uns gegenseitig erklärt, dass in der zweiten Jahreshälfte alles besser wird«, erinnert sich Vissing, TDK. »Vielleicht waren das wirklich Hoffnungen, vielleicht auch nur Ableitungen aus dem Kundenverhalten, auf jeden Fall lagen wir alle falsch.« Pape glaubt, dass vor allem die Industriekunden 2024 zum ersten Mal erlebt hätten, »dass es Swings gibt«. In der Industrieelektronik sei über Jahrzehnte ein Wachstum von drei bis vier Prozent als gut angesehen worden. »Wenn man dann zwei Jahre hintereinander um 50 Prozent wächst, hat das natürlich Folgen, dieser Berg muss erst mal wieder abgetragen werden.«
Angesichts eines Lagerbestands im Channel, der nach den Worten von Turbanisch, Yageo Group, den niedrigsten Wert seit Jahren erreicht hat, schwingt natürlich bei allen die Sorge mit, was passiert, wenn die Stimmung am Markt schnell umschlägt. Da wäre zum einen die alte Geschichte, dass der Aufschwung bei den passiven Bauelementen mit einer Verzögerung von etwa einem halben Jahr auf eine Erholung bei den Halbleitern folgt. Das wäre schon einmal ein starker Indikator. Dass die Book-to-Bill-Ratio mittlerweile wieder eine Tendenz nach oben hat, aber wie Turbanisch, Yageo Group, einwendet, »sollte das, nachdem sie zuvor total nach unten gerauscht ist, auch keine allzu große Schwierigkeit sein«.
Damit schwingt wie im Vorjahr die Befürchtung in den Erwartungen für 2025 mit, dass es doch noch zu einem Bullwing-Effekt im Zuge einer schnellen Markterholung kommen könnte. »Ob die Einkäufer gelernt haben, die Anzeichen einer heraufziehenden Allokation richtig zu deuten und damit umzugehen, weiß ich nicht“, meint Gerfer, Würth Elektronik eiSos. Sauer, Taiyo Yuden, sieht das ähnlich: »Diejenigen bei uns, die in der Auftragssachbearbeitung die letzte Allokation mitgemacht haben, sind nicht mehr da, und so dürfte das auch bei vielen Kunden sein. In der Konsequenz bedeutet das, alle werden sich wieder erst daran gewöhnen müssen, was eine Allokation ist, so wie das vor fünf, sechs Jahren der Fall war.« Es bleibt zu hoffen, dass die Kommunikation diesbezüglich zwischen allen Ebenen und entlang der gesamten Wertschöpfungskette der passiven Bauelemente dieses Mal besser läuft!
Der Käufermarkt ist wieder zurück, die Preise sinken, und fast alles ist wieder ab Lager verfügbar! Glaubt man dem, was von Seiten mancher Einkäufer und Kunden so geäußert wird, könnte man fast meinen, alles sei wieder beim Alten. Ist es aber leider nicht, vielmehr dürften die drei genannten Punkte ein Produkt der Autosuggestion sein – erklärbar wohl nur vor dem Hintergrund, dass die Krise, der Downturn, die Rezession inzwischen schon mehr als zwei Jahre andauert. Ein Zustand, den es so in den letzten Jahrzehnten nicht gegeben hat. Die Realität vor der Corona-Pandemie waren zeitlich eng zusammengeschobene Zyklen mit hohen Amplituden.
Da wäre das Gerücht, dass sinkende Preise die Anwender verstärkt zum Kauf animieren würden. »Das mag beim privaten Konsumenten funktionieren, aber nicht in der Industrie“, wendet Scheel, Murata, ein. »Speziell die japanischen Hersteller waren ja in letzter Zeit mit einem schwachen Yen konfrontiert, was dazu führte, dass die Produkte um 20 bis 30 Prozent „billiger“ wurden. Das hat aber nicht zu Mehrbestellungen geführt, denn wer keinen Bedarf hat, der kauft halt auch nichts ein.«
»Selbst wenn derzeit wieder alles verfügbar sein sollte, wäre es ein absoluter Trugschluss zu glauben, dass das so bleibt«, meint Gerfer, Würth Elektronik eiSos. »Wir produzieren derzeit alle mit reduzierter Kapazität. Wir können aber ruckzuck wieder voll sein, wenn es hochgeht.«. Auch Vissing, TDK, sieht das so: »Wir fertigen auf weniger Linien und sind damit ausgelastet, so viel Luft nach oben ist da aktuell nicht.« »Unsere Währung sind Aufträge«, pflichtet Turbanisch, Yageo Group, bei. »Wenn wir zu wenig Aufträge haben, müssen wir auch nicht komplett durchfertigen.« Und Pape, Littelfuse, macht darauf aufmerksam, »dass an diese reduzierte Produktion natürlich auch der Materialeinkauf angepasst wurde, und zwar mit den Vorlaufzeiten für die reduzierte Produktion«.
»In Deutschland kennen wir noch das Instrument der Kurzarbeit«, wirft Lüthje ein, »aber wenn es zu lange dauert, läuft auch die irgendwann mal aus, und es kommt zu Personalanpassungen.« »Wenn man sich dann noch vor Augen führt, dass es in anderen Ländern deutlich einfacher ist, Mitarbeiter abzubauen, sieht man schnell, wozu das führen kann«, warnt Leicher, Bourns. »Man bekommt das dann plötzlich wieder benötigte Personal halt nicht innerhalb von wenigen Monaten, wenn sich die Bedarfe plötzlich um 30, 40 Prozent erhöhen«, warnt Lüthje, Vishay. Und selbst wenn man die Leute bekomme, müssten sie erst entsprechend trainiert werden, um wirkungsvoll in der Produktion eingesetzt werden zu können.
Für Sutalo erliegen Einkäufer und Kunden häufig dem Trugschluss, »dass Produktionszeiten und Lieferzeiten gleich seien. Das ist ein fataler Trugschluss.« Ein MLCC brauche eben nun mal seine Brennphase im Ofen, »das dauert Zeit und ist vielen Kunden nicht bewusst«. Natürlich halte die Distribution Lager vor, »aber die decken eben maximal drei bis vier Monate ab«. Und natürlich basiere die Lagerhaltung auf dem aktuellen niedrigen Bedarfsniveau - »alles, was darüber hinausgeht, ist dann halt auf einmal nicht mehr verfügbar!« Und niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass etwa Widerstände einfache Bauteile seien, warnt Turbanisch: »Technisch ja, aber jeder will das Bauteil ja in einer anderen Ausführung, darum ist der Wildwuchs der Teilenummern da immens groß geworden, und diese wahnsinnige Variantenvielfalt kann halt ein Mouser oder DigiKey einfach nicht auf Lager haben«.
»Es ist eben so, dass die Distribution inzwischen weniger am Lager hat als noch vor einem Jahr«, mahnt Turbanisch, Yageo Group. Früher sei es auch so gewesen, dass man dann immer noch irgendwo in der Lieferkette Ware gefunden habe. »Aber nach zwei Jahren Downturn ist da eben nichts mehr.« Nach seiner Einschätzung »wird es, wenn es irgendwann mal wieder besser wird, wahrscheinlich mehr knallen, als es das die Jahre zuvor getan hat«. Wer das frühzeitig erkenne, »wird dann einen Vorteil haben«.
Sauer, Taiyo Yuden, hält es aus diesem Grund für einen absoluten Fehler, jetzt von Lieferzeiten von zehn Wochen zu sprechen. »Wenn die Leute sich in dieser trügerischen Sicherheit wiegen und der Bedarf dann wieder hochgeht, sind wir eben ganz schnell wieder bei 52 Wochen Lieferzeit«. Wie schnell das, wenn auch vorerst vielleicht nur punktuell gehen kann, zeigt für Vissing, TDK, das Beispiel AI: »Das springt aktuell ganz schön in die Höhe, und die Bauteile, die da jetzt reingehen, lassen sich ja auch für andere Applikationen einsetzen.«
»Was man auf keinen Fall vergessen darf, ist die Tatsache, dass die Logistikzeiten – vor allem der Seefracht – heute deutlich länger sind als die Herstellungszeiten«, warnt Pfülb, Beck Elektronik Bauelemente. »Wenn es dann noch irgendwo Staus auf See oder vor Häfen gibt, Probleme beim Entladen auftreten oder ähnliches, dann reißt die Lieferkette irgendwann ab.« Da aber Luftfracht keiner bezahlen wolle, »sollte man den Bestellvorlauf unabhängig von der wirtschaftlichen Lage nicht unter 20 Wochen sinken lassen!«
»Wir produzieren auftragsgesteuert und nicht auf Halde«, betont Dr. Albertsen, Jianghai Europe. »Deshalb kann ich Kunden nur empfehlen, rechtzeitig ihre Aufträge zu platzieren, um sich den Zugriff auf Material zu sichern, speziell bei Seefracht.« Jianghai Europe arbeitet nach seinen Worten mit einem internen Puffer in Form von etwas längeren Lieferzeiten. »Damit können wir plötzlich auftretende Probleme etwas managen.« Rein gar nichts mehr könne man jedoch tun, wenn die Ware erst mal auf dem Schiff sei, denn »dann gibt es über Wochen keinerlei Zugriffsmöglichkeiten mehr«.
Was im Halbleiterbereich das Mooresche Gesetz ist, könnte im Bereich der passiven Bauelemente die Miniaturisierung sein. Wobei noch klar zu trennen ist zwischen passiver Integration und klassischer Miniaturisierung. Deren letzten Höhepunkt hatte Murata im vergangenen Herbst mit MLCCs der Baugröße 006003 geliefert. Dieser »Electronic Dust« bringt es auf Außenabmessungen von 0,16 x 0,08 mm. Und Murata ließ dieser Neuheit gleich noch die Ankündigung folgen, dass man dabei sei, auch Chipinduktivitäten in dieser Bauform zu entwickeln und auf den Markt zu bringen.
Nun beschäftigt diese Frage, wie weit sich die klassische Miniaturisierung noch treiben lässt, die Round-Tables schon seit Jahrzehnten. Klar war, es wird einerseits Bemühungen um eine weitere Miniaturisierung geben, aber diese Bauteile müssen auch noch zuverlässig ihre physikalisch-technische Funktion erfüllen. Und genau auf diesen Punkt zielt Sauer, Taiyo Yuden, ab, wenn er sagt: »Ich bin mir sicher, dass wir noch eine weitere Miniaturisierung dieser Bauteile sehen werden. Da sind die Grenzen des technisch Machbaren noch nicht erreicht. Die Frage wird nur sein, wie viel Funktion man dann noch in diese Minibauteile reinbekommen wird.«
Scheel gibt zu, dass bei diesen Bauteilen fast keine Spannung anliege, »bei den Kapazitäten bewegen wir uns da im Bereich von Pikofarad«. Ihre Anwendung fänden diese Bauteile derzeit in HF-Anpassungsschaltungen: »Das ist eine Nische, aber eine sehr große Nische, für die sich die Entwicklung solcher Bauteile rentiert.« Fragen nach der Bestückbarkeit derartiger Bauteile bringen Scheel nicht in Verlegenheit. »Wenn wir so etwas entwickeln, gehen bereits Jahre vor der Markteinführung Dummys an die Bestückungsindustrie. Marktführer wie Panasonic und Fuji sind auf jeden Fall in der Lage, solche Baugrößen zuverlässig zu bestücken. Das läuft heute zuverlässig etwa in den Fabriken von Foxconn.«
Gerfer, Würth Elektronik eiSos, stört sich ein wenig daran, dass zu Beginn der Eindruck entstand, »dass solche Bauteile universell anwendbar seien«. Dadurch würden Entwickler fehlgeleitet, die solche Bauteile zum Beispiel auf Batterieschaltungen eindesignen, »und dann funktioniert das halt nicht – Volt pro Meter ist Volt pro Meter – da gibt es halt mal physikalische Grenzen«.
Scheel, Murata, erwidert, dass die Bauteile in Europa auch nicht beworben würden, »weil die Unternehmen, die so etwas anwenden könnten, fast alle abgewandert seien.« »Und selbst Hörgerätehersteller brauchen es dann doch nicht so klein, die greifen auf Bauteile der Größe 01005 zu«, erläutert Scheel.
Wie es auch anders gehen kann, zeigt der CNF-MIM-Kondensator, den Yageo noch in diesem Jahr auf den Markt bringen will. Bei diesem Bauteil handelt es sich um eine Kombination von Kohlenstoff-Nanofasern mit Materialien mit höherer Dielektrizitätskonstante unter Verwendung von Additivtechnologie. Im Gegensatz zur subtraktiven Deep-Trench-Siliziumtechnologie soll dieses Verfahren ein großes Potenzial für künftige Entwicklungen aufweisen.
Bietet Trumps erratische Außenwirtschaftspolitik mit ihren Schutzzöllen die Möglichkeit, dass einst abgewanderte Produktion, vielleicht auch im Bereich passiver Bauelemente, wieder nach Europa zurückkehrt? Im Prinzip ja, aber dabei dürfte es dann auch in den meisten Fällen bleiben.
»Natürlich könnten Trump und ähnliche Ereignisse dazu führen, dass viele Kunden entweder aus einer Notwendigkeit oder aus Sicherheitsüberlegungen heraus sagen, sie möchten nicht mehr aus diesen oder jenen Ländern beliefert werden«, schildert Pfülb, Beck Elektronik Bauelemente, seine Sicht der Dinge. »Das würde zwangsläufig zu Verschiebungen der Produktionsvolumina führen.«
So könne darüber nachgedacht werden, die Fertigung aus China beispielsweise nach Malaysia zu verlegen. »Das könnte aber dann darin enden, dass die Produktionskapazitäten in Malaysia überlastet werden, und das hätte dann ganz schnell Engpässe zur Folge«, gibt Pfülb zu bedenken. Leicher, Bourns, ist sich sicher, »dass solche Überlegungen wohl erst angestellt würden, wenn Trump auf die Idee kommen würde, unsere Produkte dauerhaft mit Zöllen von 30 Prozent oder mehr zu beaufschlagen«. Leicher weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass das amerikanische Unternehmen Bourns nicht mehr in den USA, sondern unter anderem vor allem in Mexiko fertigt »Schutzzölle würden uns also sehr wohl treffen.«
Doch spätestens dann, wenn der Kunde sein Verlangen nach einer Verlagerung der Produktion artikuliert hat und man in konkrete Gespräche einsteige, sind diese nach Erfahrungen von Turbanisch, Yageo Group, schnell beendet, wenn es zum Schwur kommt, also die Frage gestellt wird: »Was wären Sie bereit, für die Ware aus einem anderen Werk zu bezahlen?« Wenn die Antwort dann »nichts« lautet, sagt Turbanisch, »haben wir ein Problem«. Passive Bauelemente wie Widerstände seien Massenprodukte, die nur deshalb günstig angeboten werden könnten, weil sie in Massen hergestellt werden. »Wenn ich anfange, anderswo vielleicht zehn Prozent davon zu fertigen, funktioniert das nicht mehr, ich habe schlicht nicht mehr die gleiche Wertschöpfung«, warnt Turbanisch.
Gerfer, Würth Elektronik eiSos, bestätigt das: »Auch wir kümmern uns um neue Werke und Fertigungsstandorte, aber dafür sind Invests notwendig, und die Fertigung muss dann auch gefüllt werden können, sonst funktioniert das Ganze einfach nicht.« Welche Kapriolen das Thema Schutzzölle und Local-for-Local zuweilen schlägt, macht ein Beispiel von Lüthje, Vishay, deutlich. Man habe einen Automobilkunden in China, der wolle für den Exportmarkt das Produkt aus nichtchinesischer Produktion und für den Heimatmarkt das Produkt aus chinesischer Produktion. In der Konsequenz bedeute das für Vishay zwei Herstellungsnummern für ein und dasselbe Produkt.
So ist die Mehrheit der Diskussionsteilnehmer skeptisch, dass eine Regionalisierung der Märkte wirklich wieder zu einer verstärkten Produktion passiver Bauelemente in Deutschland und Europa führen würde. Auf der anderen Seite wird auch klar: Schutzzölle werden vor allem die Endpreise in die Höhe treiben, und das im Zweifelsfall auch für Industrien, die es in produzierender Form beispielsweise in den USA gar nicht mehr gibt – was die Frage aufwirft, was hier eigentlich geschützt werden soll.