Mit der größten Investition der Firmengeschichte in Dresden, sowie der bereits laufenden 300-mm-Dünnwafer-Fab in Villach stellt Infineon, so versichert es COO Dr. Rutger Wijburg, die Massenproduktion klassischer Silizium-Halbleiter in Europa sicher. Beide Werke werden im virtuellen Verbund arbeiten.
Markt&Technik: In den letzten Jahren haben vor allem Wide-Bandgap-Materialien wie SiC und GaN die Schlagzeilen bestimmt. Sie investieren 5 Milliarden Euro in eine Fertigung für Silizium-Halbleiter – warum?
Dr. Rutger Wijburg: Wir investieren in den Ausbau unserer Silizium-Chip-Fertigungskapazitäten, weil wir trotz des Aufkommens der Wide-Bandgap-Materialien im Leistungshalbleiter-Bereich an ein großes Wachstum im klassischen Silizium-Bereich glauben. Die Wachstumstreiber Dekarbonisierung und Digitalisierung werden den globalen Bedarf auf lange Sicht antreiben. Zudem kann Si, mit Blick auf die Systemkosten und die Anforderungen der Applikation, besser geeignet sein als SiC und GaN.
Wenn Sie die Investitionen für den jüngsten Werksausbau in Villach, die SiC- und GaN-Neubauten in Malaysia und jetzt Modul 4 in Dresden zusammenzählen, in welcher Höhe hat Infineon in diesem Jahrzehnt in den Ausbau der Leistungshalbleiter-Fertigungskapazitäten investiert?
Wir haben in den letzten Jahren einen niedrigen zweistelligen Milliardenbetrag in den Ausbau unserer Kapazitäten investiert. Auch wenn sich diese Investitionen per Definition auf eine bestimmte Technologie beziehen, so einfach ist die Zuordnung nicht. Nehmen Sie als Beispiel Villach. Hier haben wir für rund zwei Milliarden Euro eine neue 300-Millimeter-Dünnwaferfertigung für Leistungshalbleiter gebaut und die Produktion aus dem 200-Millimeter-Werk dorthin transferiert. Damit wurden diese Kapazitäten frei für SiC- und GaN-Produkte. Auch bei den Produktklassen selbst lässt sich eine Trennung nicht so leicht durchführen. Beispiel hierfür ist die Smart Power Fab in Dresden. Hier werden wir sowohl Leistungshalbleiter produzieren als auch Analog/Mixed-Signal-ICs. Das ist möglich, weil sich mit dem bestehenden Maschinenpark für eine bestimmte Knotenbandbreite verschieden Halbleiter herstellen lassen.
Weltweit hat ein Subventionswettlauf um die Ansiedelung von Halbleiter-Fabs eingesetzt. Der US-Chips-Act bietet da sehr interessante Möglichkeiten. Wäre es unter diesen Voraussetzungen vorstellbar, dass Infineon noch in diesem Jahrzehnt seine Fertigungskapazitäten auch für Leistungshalbleiter in den USA ausbaut?
Wir prüfen laufend einen Ausbau unserer Fertigungskapazitäten an unseren Standorten, darunter auch in den USA. Unsere drei großen Wachstumsstandorte im Frontend sind Dresden, Villach sowie Kulim in Malaysia. Neben Förderungen gibt es zahlreiche weiterer Faktoren, die für eine Standortentscheidung zum Tragen kommen.
Beim Spatenstich wurde hervorgehoben, dass der Bau von Modul 4 in Dresden der sicheren Versorgung europäischer Kunden dienen soll. Also regionale Fertigung für regionale Märkte?
Mit der neuen Fabrik, dem Modul 4 in Dresden, wollen wir europäische Kunden im Bereich Industrie und Automotive sowie Kunden weltweit beliefern. Wir wollen die Massenfertigung dieser Produkte in Europa sicherstellen. Nach der Fertigstellung der neuen Fab, wird der Fertigungsstandort in Dresden mit seinen vier Fertigungsmodulen dann die größte Frontend-Fertigung von Infineon, beziehungsweise eine der größten Fabs in Europa sein.
Das neue Werk in Dresden soll die ressourceneffizienteste Halbleiter-Fab ihrer Art sein. Was bedeutet das konkret?
Unser Ziel ist es, mit diesem Bau die ressourceneffizienteste Halbleiter-Fab ihrer Art zu realisieren. Natürlich wird sie zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie versorgt werden, aber sie wird darüber hinaus den Durchschnittswert aller in Hinblick auf Effizienz und Umweltfreundlichkeit relevanten Daten aus heutiger Sicht um 50 Prozent unterschreiten und damit einen neuen Benchmark setzen.
Ihre Investitionen in Modul 4 dienen auch einer Reduzierung der Abhängigkeit von außereuropäischen Standorten. Wie schätzen Sie das Schlagwort Relokalisierung ein?
In der Halbleiterindustrie ist eine vollständige »Relokalisierung« der Wertschöpfungskette nicht umsetzbar, dazu verfügt kein Staat über die entsprechenden Ressourcen und das nötige Eco-System, um sich vom Rest der Welt autark zu machen. Das ist auch nicht das Ziel des European Chips Act. Wichtig ist, dass die EU nicht nur die Halbleiterfertigung, sondern die komplette Supply-Chain im Blick hat, also beispielsweise auch Anbieter von Software und Tools sowie Zulieferbetriebe.
Seit Jahren wird über Megatrends wie E-Mobility und die Energiewende gesprochen. Warum wurde mit dem Ausbau der dafür benötigten Leistungshalbleiter und Mixed-Signal-ICs so lange gewartet? Worin bestand aus Ihrer Sicht das größte Risiko?
Wir sehen einen langfristig wachsenden Bedarf an unseren Halbleitern. Treiber hierfür sind die globalen Megatrends Dekarbonisierung und Digitalisierung. Infineon hat deswegen bereits in den vergangenen Jahren in den Ausbau der entsprechenden Kapazitäten investiert. 2021 haben wir die neue 300-Millimeter-Dünnwaferfertigung in Villach in Betrieb genommen. Im kommenden Jahr wird ein neues Werk in Kulim den Betrieb aufnehmen, in dem wir Wide-Bandgap-Halbleiter fertigen werden.