Neben heutigen Applikationen in den Bereichen Automotive und Industrie wird SiC nach Überzeugung von Dr. Peter Friedrichs, Distinguished Engineer SiC bei Infineon Technologies, in Zukunft noch ganz neue Anwendungen ermöglichen. Infineon selbst strebt für 2030 einen SiC-Marktanteil von 30 Prozent an.
Markt&Technik: Beim SiC gibt es zwei Welten – Planar und Trench. Dr. John Palmour, einer der Cree-Gründer, sah im On-Widerstand das entscheidende Kriterium. Da liegt der planare SiC-MOSFET vorne. Warum hat Infineon von Anfang an auf Trench gesetzt?
Dr. Peter Friedrichs: In der elektrischen Performance beziehungsweise im Verhalten in der Applikation unterscheiden sich die MOSFETs nicht so sehr. Beide Varianten erreichen sehr attraktive Werte basierend auf neutralen Analysen. Natürlich hat John Palmour recht: Ein entscheidendes Kriterium ist der flächenspezifische On-Widerstand des Bauelements.
Dieser sollte allerdings nicht der einzige Maßstab für die Bewertung sein. Wichtig für den Einsatz in der jeweiligen Applikation sind noch andere Performance-Parameter. In der Betrachtung muss also das Gesamtpaket den Einsatzanforderungen entsprechen. Wir haben uns zu Beginn der Entwicklung auch mit planaren MOSFETs auseinandergesetzt – und recht schnell festgestellt, dass der Lösung mit planarem Aufbau Grenzen gesetzt sind. Wenn es um die Kombination von Robustheit, Performance und Zuverlässigkeit mit einem attraktiven On-Widerstand geht, führt kein Weg an der Trench-Lösung vorbei. Auch was die Zukunftsfähigkeit betrifft und die Frage, wie die Technologie noch attraktiver gemacht werden kann. So wie in der Siliziumwelt geht der Trend bei SiC deshalb ganz klar in die dritte Dimension, um Fläche zu sparen, damit das Material effektiver ausgenutzt wird.
Das andere große SiC-Thema ist Automotive. Über drei Viertel der Produkte fließen in diese Applikationen. Wie sicher und interessant ist die SiC-Versorgung vor diesem Hintergrund eigentlich für Interessenten, sagen wir: aus der Industrieelektronik?
Oftmals werden bei der Zuordnung Systeme wie Ladeinfrastruktur, die sich außerhalb des Fahrzeugs befindet, dem Automotive-Bereich zugeschlagen. Tatsächlich ist das dann aber eher der Industrie zuzuordnen. Wir sehen deshalb bei SiC eher eine Fünfzig-Fünfzig-Aufteilung. Aktuell muss man sogar konstatieren, dass Industrieanwendungen breiter gefächert sind – ein Bereich, der bei Infineon neben Automotive ganz klar genauso im Fokus steht. Um die Flotte der E-Autos überhaupt zu bewegen, brauchen wir eine Infrastruktur. Und die basiert auf Industrieelektronik.
Ganz gleich, ob wir hier von Laden und Speichern reden oder Erzeugung mit Solar und Wind. Die Industrieelektronik bietet für uns auch aufgrund der vielfältigen Anwendungen die Möglichkeit, die Technologie und vor allem die Robustheit unter verschiedensten Anwendungsprofilen besser zu verstehen und verifizieren zu können. Und das nutzen wir dann natürlich auch für die hohen Qualitätsansprüche im Auto.
Welche Rolle spielt SiC heute in traditionellen Anwendungen wie Drives, Windkraft oder T&D? Sprechen wir hier ausschließlich über einen Ersatz bisheriger Silizium-Komponenten oder hat SiC hier ganz neue Anwendungsmöglichkeiten eröffnet?
In einem ersten Schritt kommt natürlich oftmals der Ersatz von bisherigen Siliziumlösungen durch SiC infrage. Das heißt also: dieselben Systeme mit höherer Effizienz und höherer Leistungsdichte bauen. Punktuell sehen wir tatsächlich auch komplett neue Anwendungsmöglichkeiten, etwas bei Drives. Nehmen Sie zum Beispiel die amerikanische Firma Infinitum. Die hat einen komplett neuen Motor entworfen, den es ohne SiC gar nicht gäbe. Häufig gibt es in der Industrie auch noch alte Motoren, die nach wie vor ungeregelt sind, weil für eine nachträglich Inverterisierung der Platz fehlt. SiC reduziert Verluste und damit den Kühlbedarf; so wird es jetzt möglich, Inverter – da wo es sinnvoll ist – direkt an den Motor zu setzen. Wir sehen also eine Mischung aus Ersatz und neuen Anwendungen.
Es gibt eine Reihe von neuen Applikationen und Einsatzmöglichkeiten für SiC jenseits von Automotive und Industrie. Welche Applikationen sind das, und warum ist SiC für diese Anwendungen auf einmal attraktiv geworden?
Mit SiC sind bestimmte Vorteile verbunden, es sorgt für hohe Effizienz und verringert damit den Kühlbedarf, was zur Gewichtsreduktion beiträgt. Auf Systemebene reduziert es die Kosten. Daraus ergeben sich viele Anwendungen, die profitieren können. Nehmen Sie das Thema eVTOL, also Electric Vertical Take-off and Landing Aircraft. Gewicht ist hier ein entscheidendes Kriterium. Spannend sind auch Anwendungen, die bisher rein elektromechanisch laufen wie etwa der berühmte Circuit-Breaker. Hier war der Ersatz durch elektronische Sicherungen beziehungsweise ein intelligenter Schutz durch Halbleiter schon lange eine Vision. Die ließ sich aber gegenüber mechanischen Lösungen aufgrund der Kosten nie attraktiv genug darstellen. Hierfür bietet SiC jetzt ganz neue Möglichkeiten. Mittel- bis langfristig werden natürlich weitere, komplett neue Applikationen dazukommen.
In einer Studie zum Thema SiC im Automotive-Bereich hat die Boston Consulting Group vor Kurzem moniert, dass es nach wie vor keine standardisierten Gehäuse vor allem im Bereich SiC-Module gibt. Wird sich das in Zukunft ändern?
Hier gibt es tatsächlich zwei Welten. Auf der einen Seite sind da Anwender, die darauf setzen, eine standardisierte Plattform zu nutzen. Für die haben wir schon vor einigen Jahren in enger Abstimmung mit den Kunden beispielsweise die Modulplattform HybridPack Drive entwickelt. Diese hat sich als Standard für EVs sowohl für Silizium als auch für SiC durchgesetzt. Auf der anderen Seite wollen sich OEMs oder Tier-Ones über die Gehäuse-Technologie differenzieren. Sie entwickeln dann individuelle beziehungsweise kundenspezifische Lösungen. Wir gehen davon aus, dass es dieses duale System mindestens noch in den nächsten Jahren geben wird.
SiC wurde lange Jahre in altbekannten Gehäuseversionen angeboten, die den besonderen Eigenschaften dieses Materials eigentlich wenig Rechnung trugen. Der Vorwurf lautete, mit neuen Gehäuseversionen wäre der Marktdurchbruch früher erfolgt. Teilen Sie diese Ansicht?
Nur zum Teil. Im Modulbereich haben wir unter den vielen Gehäuseplattformen die ausgewählt, die tatsächlich sehr gut für SiC geeignet sind. Eben die, die schon bei Silizium für schnelles Schalten und eine niederinduktive Anbindung designt wurden. Im Bereich der Diskreten hätte die Neuentwicklung von Gehäusen zusammen mit der Einführung einer neuen Chiptechnologie bei den Kunden eine Zusatzhürde dargestellt. Natürlich wird es aber im diskreten Bereich mehr Lösungen geben, die noch spezifischer für Wide Bandgap ausgelegt sind, Double-Sided Cooling etwa ist so eine. Ich denke aber, dass die Marktakzeptanz nicht so sehr ein Thema der Gehäusetechnologie war, sondern der schieren Verfügbarkeit von leistungsfähigen Bauelementen zu attraktiven Kosten.
SiC ist nach wie vor allokiert, es stehen nicht genügend Fertigungskapazitäten bereit, um den Bedarf zu decken. Wie lange wird das nach Ihrer Einschätzung noch andauern? Wann, denken Sie, wird die Konsolidierung des Marktes einsetzen?
Mit den Investitionen in Villach und Kulim baut Infineon die Kapazitäten in diesem Bereich sehr stark aus. Wir gehen davon aus, dass der SiC-Markt bis 2030 auf rund 20 Mrd. Euro anwachsen wird. Unser Marktanteil wird dann voraussichtlich bei 30 Prozent liegen und sich zu 50/50 aus Industrie und Automobil zusammensetzen. Generell glauben wir, dass die Marktdynamik ungebrochen positiv ist. Der Trend zur Dekarbonisierung wird zu einem starken Marktwachstum bei Leistungshalbleitern führen, insbesondere bei solchen, die auf Wide-Bandgap-Materialien basieren. Grundsätzlich können wir kürzere Perioden mit Überkapazitäten nicht ausschließen, allerdings rechnen wir damit, dass die langfristige SiC-Nachfrage über das Jahr 2030 hinaus hoch genug ist, um die bisher angekündigte SiC-Kapazität zu benötigen.
Immer mehr OEMs und Provider erklären CO2-Neutralität bis 2030 oder 2035 zu ihrem Ziel. Welchen Beitrag kann SiC hier leisten und wie hoch ist letztlich der eigene CO2-Footprint von SiC?
Wegen des Aufwands für die Kristallzüchtung bei SiC ist die Frage nach dem Thema CO2 natürlich valide. Leider ist es so, dass die Datenlage hier veraltet und zum Teil inkonsistent ist. Eine verlässliche Aussage zum Footprint von SiC selbst kann also nicht wirklich getroffen werden. Valide Berechnungen gibt es dagegen für die Effizienzsteigerung mit SiC und damit das Potenzial für CO2-Einsparungen. Vor einigen Jahren gab es hierzu schon eine Studie, auch wiederum präsentiert von John Palmour. Darin wurde der Nachweis erbracht, dass die CO2-Bilanz von SiC deutlich positiv ist. Es gibt eine zweite, aktuellere Arbeit, die Fronius bei der diesjährigen PCIM vorgestellt hat. Und auch hier wird der positive Beitrag von SiC für das Klima herausgearbeitet. Gegenüber dem klassischen Silizium ist der CO2-Footprint demnach schon allein aufgrund der Tatsache besser, dass wesentlich weniger Material für dieselbe Leistung im System benötigt wird.
In den letzten Jahren gab es eine Diskussion darüber, bis in welchen Leistungsbereich der Applikationen GaN aller Voraussicht nach SiC verdrängen würde. Als kritisch galten Applikationen bis knapp 20 kW. Infineon bietet GaN und SiC an. Wie stellt sich diese Überschneidung im Bereich der Applikations-Leistungen für Sie dar?
Aus meiner Sicht sollte der Einsatz von GaN oder SiC nicht so sehr am Thema Leistung festgemacht werden. Tatsächlich ist es entscheidend, welche Vorteile welche Technologie in der jeweiligen Anwendung aufweist. Wir setzen daher lieber auf eine Clusterung, die sich aus der tatsächlichen Anforderung der jeweiligen Applikation ableitet. Für GaN sprechen die extrem schnellen Schaltfrequenzen und die Tatsache, dass GaN-Bauteile komplett rückstromfrei sind. Nach unseren Einschätzungen ist SiC oberhalb von einem kV nach wie vor die attraktivere Lösung. Für viele Applikationen im höheren Leistungsbereich gelten dann natürlich noch andere, relevante Auswahlkriterien, beispielsweise Kurzschlussfähigkeit und Überstromfähigkeit. Generell gilt, dass man sich genau anschauen sollte, inwieweit die unterschiedlichen Strukturen, HEMT oder MOSFET, die Anforderungen konzeptionell abbilden können.