Versorgunglage im Automotive-Bereich

»Alle leben von der Hand in den Mund«

10. Mai 2022, 10:30 Uhr | Engelbert Hopf
© Ivan Traimak/stock.adobe.com

Eine aktuelle Umfrage von Markt&Technik unter Automotive-Zulieferern zeigt, wie ernst die Situation ist. Gleich drei große Probleme setzen der Branche zu.

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Trotz Umsätzen, die zum Teil auf Vor-Corona-Niveau, oder teilweise auch darüber lagen, steht die europäische Automobilindustrie weiter vor massiven Herausforderungen, die vor allem versorgungstechnischer Natur sind, aber auch geopolitische und makroökonomische Komponenten haben. So sank die Zahl der Neuzulassungen nach Angaben der European Automobile Manufacturers Association (ACEA) im ersten Quartal 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 12,3 Prozent. Besonders massiv war der Einbruch dabei im März, dem ersten Kriegsmonat in der Ukraine.

Wie eine aktuelle Umfrage von Markt&Technik unter Automotive-Zulieferern zeigt, sind es vor allem drei Probleme, mit denen die Branche derzeit kämpft: Auswirkungen von Covid-Lockdowns in Asien (Shanghai), weiter existierenden Lieferengpässen im Halbleiterbereich und die Auswirkungen des Überfalls Russlands auf die Ukraine – Stichwort Kabelbäume. Dass sich an der Liefersituation im Halbleiterbereich zeitnah etwas ändert, hatte Intel-CEO Pat Gelsinger erst letzte Woche, anlässlich der Bekanntgabe der Quartalszahlen bezweifelt: »Weil das benötigte Fertigungsequipment nicht zur Verfügung steht, könnten sich die Probleme in Hinblick auf entsprechende Fertigungskapazitäten noch mindestens bis zum Jahr 2024 hinziehen«.

Pierre Olivier, CTO von LeddarTech, sieht das ähnlich und rät, sich darauf vorzubereiten, »dass das Versorgungsproblem bis Ende 2023 bestehen bleibt, derzeit gibt es kaum Anhaltspunkte für das Gegenteil«. Auch Ganesh Moorthy, President und CEO von Microchip Technology, teilt diese Einschätzung: »Wir gehen davon aus, dass diese Lieferengpässe über weite Teile des Jahres 2022 und wahrscheinlich bis in Jahr 2023 anhalten werden, auch wenn wir versuchen, die Nachfrage zu befriedigen«.

 

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Ganesh Moorthy, Microchip Technology: »Wir gehen davon aus, dass diese Lieferengpässe über weite Teile des Jahres 2022 und wahrscheinlich bis in Jahr 2023 anhalten werden, auch wenn wir versuchen, die Nachfrage zu befriedigen.«

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die weltweite Fahrzeugproduktion hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückliege, geht Jean-Marc Chery, President und CEO von STMicroelectronics, davon aus, dass die anhaltend hohe Nachfrage mit dem Auffüllen der Lagerbestände in der gesamten Automobillieferkette einerseits und der fortschreitenden Elektrifizierung und Digitalisierung der Branche andererseits zu tun habe: »Der Auftragseingang bleibt bei allen Kunden und in allen Regionen hoch und liegt deutlich über unserer aktuellen und für 2022 geplanten Produktionskapazität«.

»Wir rechnen damit, dass die Liefersituation in einigen Anwendungsbereichen, wie etwa Mikrocontrollern, noch weit in das Kalenderjahr 2022 und in Teilen von 2023 angespannt bleiben wird«, teilt Fabian Schiffer, Pressesprecher bei Infineon Technology, mit. »Für bestimmte Produkte werden derzeit einige Lagerbestände aufgebaut«, so seine Auskunft, »bei den Produkten, die wir selbst fertigen, wie etwa Sensoren und Leistungshalbleiter, werden wir unsere Lieferfähigkeit im Laufe des Jahres verbessern«. Infineons Liefervolumina für Automotive-Halbleiter liegen in Euro über denen der Vor-Corona-Zeit.

»Vor allem im Bereich der Tier-1 und Tier-2 haben wir inzwischen wieder eine Auftragslage, die mindestens auf dem Vor-Corona-Niveau liegt«, bestätigt auch Dr. Dirk Wittorf, Strategic Marketing Manager bei Nexperia, »bei vielen Komponenten und Packages liegen wir sogar schon wieder über dem Level von 2019/20«. Als schwierig bezeichnet er nach wie vor die Situation im Leistungshalbleiterbereich und dort vor allem im Bereich der Power-MOSFETs.

Sehr positiv gestimmt ist Wolfram Harnack, Präsident von Rohm Semiconductor Europe: »Obwohl das Auftragsvolumen der Automobilproduktion durch geopolitische Aspekte beeinträchtigt ist, und globale Herausforderungen innerhalb der Zulieferungskette weiterhin bestehen, steigern wir unser Geschäft. Wir gewinnen mit unseren Design-ins enorm an Marktanteilen, bereits im vergangenen Jahr und auch in diesem Jahr. Unsere Geschäftsstrategie erweist sich also als erfolgreich und widerstandsfähig«.

Jean-Marc Chéry
Jean-Marc Chery, STMicroelectronics: »Der Auftragseingang im Automotive-Bereich bleibt bei allen Kunden und in allen Regionen hoch, und liegt deutlich über unserer aktuellen und für 2022 geplanten Produktionskapazität.«
© STMicroelectronis

Ole Gerkensmeyer, Director Automotive Sales EMEA bei Wolfspeed, macht darauf aufmerksam, dass es nicht nur die Probleme der Lieferkette im Halbleiterbereich sind, die den Automobilherstellern Kopfzerbrechen bereiten, sondern auch die Frage, wie schnell die Elektrifizierung der Fahrzeuge noch vorangetrieben werden kann, »denn vor zwei Jahren war die Sicht zur Elektrifizierung noch sehr viel konservativer als heute«. Obwohl die Fahrzeughersteller inzwischen Maßnahmen getroffen hätten, um mit den verknappten Ressourcen umzugehen, rechnet er bis 2023 gegebenenfalls mit Glättungen von Überbedarfen in einigen Halbleitersegmenten.

Aus Sicht von Mike Balow, Executive Vice President Sales bei Onsemi, »sind es gerade die Commodities, die schwer zu kriegen sind«. Onsemi tut nach seinen Worten alles, um die Produktionslinien der Automobilhersteller am Laufen zu halten, »und wenn wir die Produkte persönlich zum nächsten Flieger bringen müssen«. Den nach wie vor steigenden Bedarf führt er vor allem darauf zurück, »dass die Automobilhersteller zwar weniger Autos, dafür aber solche mit höherem Halbleiteranteil herstellen«. Zwar baue Onsemi weiter Kapazität auf, »aber viel davon ist bereits durch die Design-Wins der letzten zwei bis drei Jahre belegt«.

Aus Sicht der Hersteller passiver Bauelemente, stellt sich die Situation im Automotive-Bereich sehr unkalkulierbar dar. »Wir selbst und unsere Kunden kämpfen mit einer sich verschlimmernden Versorgung bei Halbleitern«, versichert Rüdiger Scheel, Vice President Mobility bei Murata. »Einige Kunden haben ungewollt Lager aufgebaut, da sie die Bestellungen bei Passiven weiter hoch gehalten haben, jedoch einige der benötigten Halbleiter fehlen«. Das habe zur Konsequenz, dass manche Kunden auf hohen Lagerbeständen bei gleichzeitig gedrosselter Produktion sitzen. Bei einigen Tier-1 sei die finanzielle Situation darum angespannt.


  1. »Alle leben von der Hand in den Mund«
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