Folgen des Noto-Erdbebens in Japan

Lieferketteneffekte geringer als befürchtet

13. Februar 2024, 10:00 Uhr | Engelbert Hopf
In einigen Extremfällen dürfte es bis in den Mai hinein dauern, bis die beschädigten Fertigungslinien wieder im vollen Umfang produzieren können, in einer Reihe anderer Fälle zogen sich die Reparaturarbeiten bis Mitte Februar.
© enanuchit/stock.adobe.com

Auch wenn einzelne Hersteller mit Produktionsstätten in der Präfektur Ishikawa stärker betroffen sind von den Auswirkungen des Noto-Erdbebens zu Jahresbeginn, scheint die Lieferkette weniger stark in Mitleidenschaft gezogen zu sein, als in den ersten Tagen nach dem Beben befürchtet.

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Als am späten Nachmittag des 1. Januar im zentralen Westen Japans in der Präfektur Ishikawa die Erde mit einer Stärke von 7,5 bebte, waren die Befürchtungen in der Elektronikbranche groß, dass die Naturkatastrophe ähnliche Auswirkungen auf die Lieferkette haben könnte wie die Dreifachkatastrophe von Fukushima 2011. Wie eine aktuelle Umfrage der Markt&Technik zeigt, ist das nicht der Fall.

Z2Data, eine internationale Plattform zur Verwaltung des Lieferkettenrisikos, hat über die letzten Wochen hinweg die Auswirkungen und Maßnahmen in der Elektronikbranche in der betroffenen Region dokumentiert. Die Analysten definierten dabei das Risiko von Schäden in drei Kreisen um das Epizentrum. Besonders gefährdet waren Produktionsstätten bis zu einer Entfernung von 80 km vom Erdbebenzentrum; mit einem mittleren Risiko wurden Standorte bis zu einer Entfernung von 120 km bewertet. Für weiter entfernte Produktionsstätten bestand nur ein geringes Schadensrisiko.

Jörg Traum
Jörg Traum, Emtron Electronic: »Aus europäischer Sicht ist es schon fast erstaunlich, dass ein Erdbeben der Stärke 7,5 nicht noch schlimmere Auswirkungen hat. Die erdbebensichere Bauweise und die regelmäßigen Trainings für die Mitarbeiter haben Schlimmeres verhindert.«
© Componeers GmbH

Diese Firmen betrifft das Japan-Beben am stärksten

Zu den Firmen, die mit den massivsten Einwirkungen rechnen mussten, gehörten laut Z2Data Murata, das Fixed Inductors und EMI-Produkte in der betroffenen Region herstellt, Kemet mit einer Tantalkondensatoren-Produktion, KOA Speer mit einem Standort für Chip-Widerstände und Susumu, das ebenfalls in der Region Chipwiderstände herstellt. Mit einem geringeren Schadensrisiko bewerteten die Analysten die Produktionsstandorte von Taiyo Yuden für Keramikkondensatoren, Rubycon für Kondensatoren und ein Cosel-Werk, das DC/DC-Wandler produziert.

Während Murata auf seiner regelmäßig aktualisierten Homepage bei einer Vielzahl von Produktionsstätten bereits nach wenigen Tagen wieder die Aufnahme der Produktion vermeldete, scheinen das Werk Wakura, in dem Multilayer-Resin-Substrate entwickelt und produziert werden, und das Anamizu-Werk, in dem Chip-Induktivitäten und Gleichtakt-Drosselspulen hergestellt werden, stärker in Mitleidenschaft gezogen zu sein. Während Murata mit Stand 23. Januar davon ausgeht, dass die Produktion im Werk Wakura Anfang März wieder beginnen wird, sind die Schäden im Werk Anamizu so massiv, dass die Produktionsanlagen offenbar teilweise ersetzt werden müssen.

WEKA-Fachmedien
Rüdiger Scheel, Murata: »Wir arbeiten eng mit unseren Kunden und auch deren Endkunden zusammen, um den Einfluss des Erdbebens möglichst gering zu halten. Unser Team in Japan leistet dabei Außerordentliches, da auch viele Mitarbeiter selbst vom Erdbeben betroffen sind.«
© WEKA-Fachmedien

Mit Toshiba ist auch ein Leistungshalbleiter-Hersteller von den Auswirkungen des Noto-Erdbebens betroffen. Toshiba fertigt in Nomi City, ein Standort in der Präfektur Ishikawa, an dem das Beben noch die Stärke 5 erreichte. In einer Aktualisierung vom 26. Januar mutmaßt Toshiba, Anfang Februar die Produktion auf den Hauptlinien wieder auf dem Niveau vor dem Erdbeben aufnehmen zu können. Während man ursprünglich davon ausging, dass sich der Produktionsstart auf den anderen Linien bis Mitte Februar hinziehen könnte, ist es auch dort inzwischen offenbar gelungen, das Produktionsniveau vor der Naturkatastrophe wieder zu erreichen.

Im Fall Cosel vermelden Jörg Traum, Geschäftsführer der zur Fortec-Gruppe gehörenden Emtron Electronic, und Andreas Hanausek, Produktmanager und FAE für Stromversorgungen bei Codico, dass eine Inspektion nach dem Erdbeben ergab, »dass keinerlei Produktions-Equipment durch das Erdbeben in Mitleidenschaft gezogen worden ist und man ohne Einschränkungen produktions- und lieferfähig« ist, so Traum. Aus Sicht von Traum und Hanausek ging man professionell mit den örtlichen Gegebenheiten um und Partner Cosel kommunizierte transparent. Dass es in einer stark industriell geprägten Region angesichts eines Erdbebens der Stärke 7,5 zu keinen massiveren Schäden und Auswirkungen gekommen ist, nennt Traum »aus europäischer Sicht schon erstaunlich, die erdbebensichere Bauweise und die regelmäßigen Trainings für die Mitarbeiter haben hier Schlimmeres verhindert«.

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Dr. Michael Lampalzer, Mitsubishi Electric: »Wir haben keine Produktionsstätten in dem Gebiet. Aber einige Fabriken von Zulieferern und Vorlieferanten sind vom Erdbeben betroffen. Derzeit prüfen wir die Wiederverfügbarkeit einschließlich alternativer Quellen.«
© Markt&Technik

Bewusstsein für Gefährdung der Produktionsstätten in Japan

Dass es bei vielen Unternehmen nicht zu größeren Schäden gekommen ist, hat nach Einschätzung der Analysten von Z2Data auch damit zu tun, dass nach der Dreifachkatastrophe von Fukushima das Bewusstsein für die Gefährdung der Produktionsstätten in Japan durch Erdbeben noch einmal geschärft wurde und entsprechende Maßnahmen eingeleitet wurden. So weisen sie etwa unter anderem darauf hin, dass Taiyo Yudens Niigata-Fabrik, die sich im Bereich mittlerer Auswirkungen, also in einer Entfernung von bis zu 120 km von Epizentrum, befindet, so konzipiert ist, dass sie seismischen Aktivitäten bis zum Level 7 widersteht.

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Michael Geirhos, BMK professional electronics: »Freie Händler nutzen derartige Situationen häufig, um durch die Streuung von Falschinformationen eine künstliche Verknappung zu erzeugen und ihre Kunden zu Panikkäufen zu animieren.«
© BMK

Renesas, die kein Werk in der Region betreibt, sieht auch keinen Einfluss auf die Lieferkette einschließlich Outsourcing-Partner und Lieferanten. Mitsubishi Electric hat ebenfalls keine Produktionsstätte im Erdbebengebiet, »jedoch sind einige Fabriken von Zulieferern und Vorlieferanten vom Erdbeben betroffen, und wir untersuchen derzeit die Wiederverfügbarkeit einschließlich aller alternativen Quellen«, sagt Dr. Michael Lampalzer, Manager Strategic Marketing im Bereich Semiconductors bei Mitsubishi Electric Europe.

Yageo hat in seinen Produktionsstätten in Japan nach Auskunft von Thomas Heel, Director Global Distribution EMEA der Yageo-Gruppe, »keine nennenswerten Schäden an Gebäuden, Ausrüstung oder Büroflächen erlitten, die Auswirkungen auf unsere Lieferkette und Logistik waren begrenzt«. Heel weist aber darauf hin, »dass es infolge der Produktionsauswirkungen in den Produktionsstätten von Wettbewerbern derzeit zu einer erhöhten Nachfrage von Kunden kommt, die nach alternativen Bezugsquellen suchen. Wir arbeiten daran, unseren Kunden und Vertriebspartnern so weit wie möglich zu helfen, um größere Auswirkungen auf ihre Produktionskapazitäten zu vermeiden«.

Markt&Technik
Thomas Heel, Yageo-Gruppe: »Aufgrund von Produktionsauswirkungen in Werken von Wettbewerbern kommt es aktuell zu einer erhöhten Nachfrage von Kunden, die nach alternativen Bezugsquellen suchen. Wir arbeiten daran, unseren Kunden und Vertriebspartnern zu helfen.«
© Markt&Technik

Aus Sicht von Michael Geirhos, Leiter Materialgruppen-Einkauf bei BMK professional electronics, »ist noch unklar, wie viele Zulieferer bis ins letzte Glied der Supply-Chain betroffen sind und wie lange eventuelle Ausfälle andauern werden«. Was ihn in diesem Zusammenhang stört, ist der Umstand, »dass freie Händler derartige Situationen häufig nutzen, um durch die Streuung von Falschinformationen eine künstliche Verknappung zu erzeugen und ihre Kunden zu Panikkäufen zu animieren«. Die Auswahl der richtigen Informationsquellen sei daher wichtig.


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