Angesichts einer positiven Marktentwicklung in Asien blick Andreas Hammer, Senior Vice President in der Sales Business Group der Yageo-Gruppe, positiv in die Zukunft. Die vorübergehende Schwäche der Automotive- und Automobilindustrie sei verkraftbar.
Zu einer immer wichtigeren Anwendung entwickelt sich derzeit auch für passive Bauelemente die KI.
Markt&Technik: Yageo war in den letzten Jahren sehr intensiv mit Akquisitionen beschäftigt. Wie weit ist die Integration dieser Unternehmen in die Yageo-Gruppe inzwischen fortgeschritten, und wie komplex gestaltet sich für Sie die Orchestrierung dieses Produktportfolios in Europa und Deutschland?
Andreas Hammer: Es ist zugegebener Maßen komplex geworden. Yageo ist vor allem als Hersteller von Widerständen groß geworden. Heute ist die Yageo-Group in der Lage, über 90 Prozent der Bill of Material im Bereich passiver Bauelemente zu bedienen. Wir haben uns im besten Sinne zu einem One-Stop-Shop-Lieferant entwickelt! Wir bieten heute im Bereich passiver Bauelemente insgesamt 16 verschiedene Technologien an. Natürlich bedarf es da ausgiebiger Schulungen, um dem Vertrieb, und damit dem Kunden, den Mehrwert dieses Produktportfolios in Form optimierter Lösungen für seine Applikationen nahezubringen. Hierbei sind wir die letzten Jahre massiv vorangekommen und können den Anwendern über unsere kundenorientierten Ansprechpartner auch schnelle und effiziente Beratungsservices anbieten.
Bleiben wir bei Deutschland. Yageo hat in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen, um stärker auf dem Automotive-Markt vertreten zu sein. Speziell die Übernahme von Kemet dürfte da geholfen haben. Wie hart trifft Sie die aktuelle Schwäche der deutschen Automobilbauer und des Automotive-Bereichs?
Es war nicht nur die Übernahme von Kemet, auch die Integration von Pulse und von Nexensos hat uns im Bereich Automotive gestärkt. Natürlich trifft auch uns die aktuelle Schwäche der deutschen Automobilindustrie, aber die Abhängigkeit ist begrenzt, auch weil einige neue Designs und Projekte angelaufen sind, die den Rückgang des laufenden Geschäftes kompensieren. Auf der anderen Seite ist die Situation heute so, dass der Komponentenbedarf pro Fahrzeug trotz quantitativ rückläufiger Autoproduktion weiter ansteigt, weil der Einsatz elektronischer Lösungen im Auto immer umfangreicher wird. Die aktuelle Schwäche ist also verkraftbar. Wir gehen heute davon aus, dass sich die Situation wohl im 2. oder 3. Quartal 2025 verbessern wird.
In der Vergangenheit hat Yageo fast die Hälfte seines Umsatzes von über 4 Milliarden Dollar im Jahr 2022 mit vier Kondensatortechnologien erzielt. Sind diese Zahlen heute noch aktuell? In welchen Produktbereichen haben die jüngsten Akquisitionen Sie am meisten gestärkt?
Ich würde so weit gehen zu behaupten, es dürfte heute weltweit kaum noch ein Produkt geben, in dem Sie keine Produkte der Yageo-Gruppe finden. Wenn Sie nach dem Anteil der verschiedenen Produktgruppen fragen, dann ist es tatsächlich so, dass wir etwa 50 Prozent unseres Umsatzes mit Kondensatoren machen. Davon knapp 20 Prozent jeweils mit MLCCs und Tantal, den Rest mit Film und Aluminium-Elektrolyt-Kondensatoren. Deutlich gestärkt haben wir in den letzten Jahren den Bereich Magnetics, der heute knapp 30 Prozent unseres Umsatzes ausmacht, als auch unser Sensorik-Portfolio mit heute ca. 10 Prozent Anteil. Das stärkste Umsatzwachstum im letzten Jahr dürfte es im Bereich Sensorik gegeben haben.
Bislang sprachen wir ausschließlich über passive Bauelemente. Wie sieht es mit Halbleiteraktivitäten oder MEMS aus, hat Yageo in diese Richtung Ambitionen?
Ja, aber wir beschränken uns dabei im Moment auf den Bereich diskrete Power-Komponenten. Unter unserem Brand XSemi bieten wir beispielsweise MOSFETs an. Wir haben uns das notwendige Know-how 2023 durch zwei Beteiligungen gesichert. Wir wollen unser Engagement in diesem Bereich in Zukunft weiter ausbauen und sehen hier großes Potenzial, unter anderem im Bereich Automotive. Wir haben uns aber bewusst dafür entschieden, erst einmal mit weniger komplexen Produkten zu beginnen.
Wie sieht das aktuelle Umsatzvolumen der Yageo-Gruppe im Jahr 2024 aus und wie verteilt es sich auf die großen Weltregionen? Welche Rolle spielt Europa dabei? Wächst Europas Anteil, stagniert er oder sinkt er?
Wir werden uns in diesem Jahr wohl bei einem Umsatzvolumen von etwa 3,8 Milliarden Dollar bewegen, damit liegen wir unter den Rekordzahlen zu Beginn dieses Jahrzehnts. Gegenüber dem Vorjahr weisen wir aber einen Umsatzzuwachs von fast 10 Prozent aus. Wir gehen aktuell auch für 2025 von einem niedrigen einstelligen Wachstum aus. Wenn wir uns die Umsatzverteilung betrachten, dann entfallen jeweils 25 Prozent auf China und die USA, rund 20 Prozent auf Europa und die restlichen 30 Prozent verteilen sich auf Asien. Europas Anteil ist über die Jahre in etwa stabil geblieben. Getrieben wird die Nachfrage derzeit vor allem von AI-Applikationen. Mit am deutlichsten gestiegen sind durch unsere jüngsten Akquisitionen die Umsätze in den USA und Europa.
Noch einmal zum Thema Akquisitionen: Gibt es aktuell noch weiße Flecken bei Yageo? Wenn ja, welche Produkt- und Technologiebereiche wären das?
Wir sind immer auf der Suche nach passenden Zukäufen. Das ist und wird Teil unserer Wachstumsstrategie bleiben. Im Kondensatoren Bereich haben wir alle wichtigen Technologien, schauen aber, ob wir uns an der einen oder anderen Stelle noch verstärken können. Sensoren bleibt ein strategisches Thema, und selbst im Bereich der Widerstände gibt es sicherlich noch weiße Flecken, die wir ergänzen könnten. Auch beim Thema Halbleiter sind durchaus noch weitere Akquisitionen vorstellbar. Yageo ist ein börsennotiertes Unternehmen, damit verfügen wir auch über die entsprechenden Möglichkeiten, wenn es uns strategisch sinnvoll erscheint, auch große Zukäufe durchführen zu können. Die Gründerfamilie ist immer noch ein starker Anteilseigner und treibt mit ihren unternehmerischen Visionen das Wachstum der Yageo-Gruppe stetig voran.
Dr. Philip Lessner, ihr CTO, sprach im letzten Jahr von einem interessanten neuen Produkt, dem CNF-MIM-Kondensator. Werden Sie wie angekündigt die ersten Produkte 2025 auf den Markt bringen? Mit welchen Kapazitätswerten werden Sie starten?
Es gab zwar leichte Verzögerungen, was bei einer so grundlegend neuen Technologie nicht verwunderlich ist, aber wir werden den Zeitplan einhalten und ein erstes Produkt 2025 auf den Markt bringen. Bei diesem Baustein wird es sich um einen 400-nF-Kondensator handeln, der in einem 0402-Gehäuse untergebracht ist. Zum Einsatz kommen wird das Produkt im ersten Schritt wohl vor allem im Connectivity-Bereich.
Seit dem 20. Januar ist Donald Trump wieder US-Präsident. Yageo fertigt unter anderem in China. Befürchten Sie, dass das Thema Schutzzölle beim Export zu einem massiven Problem werden könnte? Trump hat ja bereits in seiner ersten Amtszeit gezeigt, dass er gewillt ist, solche Ideen umzusetzen.
Ganz ehrlich – nein! Wir produzieren weltweit in mehr als 50 Fabriken, und der Großteil dieser Produktionsstätten befindet sich nicht in China! Aus diesem Grund sehen wir keine unmittelbaren Risiken durch geplante Schutzzölle auf Produkte aus China für uns. Wir beobachten die aktuellen Entwicklungen sehr genau und werden bei Bedarf schnell und flexibel reagieren. Das Stichwort in diesem Zusammenhang heißt Decoupling.
Über die Kemet-Akquisition hat die Yageo-Gruppe einen relativ starken Footprint in Europa. Wird Europa für Sie in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen – Thema Risk-Management?
Wir verfügen unter anderem aufgrund unserer Kemet-Akquisition nicht nur in Europa, sondern auch in Amerika über eine starke Präsenz. Wir haben im letzten Jahr 200 Millionen Euro in unsere Filmkondensatoren-Fabrik in Nordmazedonien investiert, um unsere Automotive-Kunden in Europa und USA zu bedienen. Ich würde sagen, wir sind sehr gut diversifiziert und nicht extrem abhängig von einzelnen Kunden, Modellen oder Produktionsstandorten. Darüber hinaus sind wir im Bedarfsfall in der Lage, die Herstellung von Produkten sehr zeitnah in andere Produktionsstätten zu verlagern. Wie gesagt, wir sehen uns gut gerüstet, aber es gibt jetzt kein konkretes Drehbuch für jede denkbare Entwicklung.
Werden wir nach Ihrer Einschätzung zeitnah eine Rückkehr von Allokation und langen Lieferzeiten erleben oder sind die Unternehmen dieses Mal besser vorbereitet? Rechnen Sie mit einem Bullwhip-Effekt oder halten Sie das schlicht für Salesman-Talk?
Im Moment sehen wir nicht, dass wir zeitnah in eine neue Allokation kommen könnten. Wir gehen eher von einer moderaten Erholung aus. Wir glauben aber auch, dass Kunden nicht wirklich gut vorbereitet sind. Die Lagerbestände normalisieren sich und die Kunden geben uns leider nur sehr kurzfristige Aufträge, was natürlich den sehr kurzen Lieferzeiten geschuldet ist. Aktuell ist fast alles wieder mit Lieferzeiten von 0 bis 8 Wochen lieferbar, wer braucht da schon eine längerfristige Planung? Wir sagen heute, allein ein moderater Bedarfsanstieg um 10 Prozent würde der Branche weltweit wieder produktions- und versorgungstechnische Probleme bereiten. Es ist ja auch nicht so, dass alles kurzfristig verfügbar wäre. Wenn wir beispielsweise über Polymer-Tantal sprechen, dann ist hier aktuell die Nachfrage insbesondere durch AI-Applikationen und das Wachstum des chinesischen EV-Marktes angestiegen. Auch spezielle Induktivitäten für AI-Anwendungen sind bereits am Anschlag. Die Produktion dieser Produkte ist ausverkauft!
Auf der anderen Seite kann man mit Zahlen belegen, dass sich momentan eine moderate Erholung am Markt vollzieht. Die Bookings als auch die Billings sind aktuell höher als vor einem Jahr, damit entwickelt sich auch die Book-to-Bill wieder in eine erfreuliche Richtung. Asien zeigt eine insgesamt positive Entwicklung, besonders im Bereich der AI-Applikationen als auch im Automotive-Bereich. Ob der gefürchtete Bullwhip-Effekt ein reiner Salesman-Talk ist oder nicht, werden wir spätestens in den nächsten Monaten feststellen. Entscheidend wird in diesem Zusammenhang sein, die Balance zwischen Bedarfsanstieg und zur Verfügung stehender Produktionskapazität zu finden. Verlässliche Partnerschaften und eine starke Supply-Chain zu haben, die auf Kontinuität und Belastbarkeit ausgelegt sind, wird dem einzelnen Kunden dabei helfen.