Massive Auftragskorrekturen kennzeichnen seit Monaten das Geschäft mit den passiven Bauteilen. Volle Lager bei Distributoren und Endkunden wirkten sich negativ auf Folgeaufträge aus. Entsprechend haben die Hersteller ihre Fertigungskapazitäten angepasst. Die Hoffnung liegt auf dem Herbst 2024.
In der Pandemie war viel von neuer Offenheit und Transparenz zwischen den Herstellern passiver Bauelemente, den Distributoren und den Kunden die Rede. Das Ziel: die Ermittlung der wirklichen Bedarfe, um zum einen Lieferengpässe und Bandstillstände zu vermeiden, aber auch um den Aufbau riesiger Sicherheitslager zu verhindern. Ersteres mag verhindert worden sein, der Aufbau riesiger Sicherheitslager dagegen offenbar nicht. Etwa seit Mitte letzten Jahres stockten die Folgeaufträge, ganz massiv wurde der Auftragseinbruch im 4. Quartal.
Auf der Suche nach den Gründen verweist die Branche bei einer aktuellen Umfrage der Markt&Technik darauf, dass zum einen es auch in dieser Allokation wieder zu massiven Zweit- und Drittbestellungen vor allem über die Distribution gekommen ist, um auf jeden Fall die Versorgungs- und Produktionssicherheit gewährleisten zu können. Doch die erwartete Erholung der Elektronikbranche und der allgemeinen deutschen Wirtschaft nach dem Ende der Corona-Pandemie fiel deutlich schwächer aus als erhofft und prognostiziert.
So drückten der nach wie vor andauernde Krieg in der Ukraine und die massiv gestiegenen Inflationszahlen nicht nur auf die Konsum-, sondern vor allem auch auf die Investitionsbereitschaft. Dazu kamen regionale Phänomene wie der massive Einbruch der Bau- und Immobilienbranche ab April letzten Jahres, handwerkliche und kommunikative Fehler der Politik, zum Beispiel beim Thema Wärmepumpe, und eine massive Schwäche der Automobilindustrie. Deren reale Abrufe blieben, wie verschiedene Hersteller und Distributoren berichten, weit hinter den Forecasts für 2023 zurück, zum Teil um 30 Prozent und mehr.
Das noch sehr gute erste Quartal 2023 ließ in der Branche die Erwartung wachsen, dass 2023 ein Jahr der massiven Markterholung sein werde; entsprechend positiv fielen die Prognosen vor einem Jahr aus. Eine Fehleinschätzung. »Rolle rückwärts« ist denn auch für Josef Vissing, President und Head of Sales Europe bei TDK Europe, die passende Umschreibung für den Geschäftsverlauf im letzten Jahr. »Das Jahr 2023 startete mit hohen Erwartungen, besonders in den Bereichen E-Mobilität inklusive Infrastruktur, den Investitionen im Bereich der regenerativen Energien inklusive Wärmepumpen sowie dem Kapazitätsausbau und der Automatisierung im Industriebereich.«
Eine Erklärung für die enttäuschten Erwartungen des letzten Jahres vor allem im Automotive-Bereich liefert Rüdiger Scheel, Vice President Mobility und Branch Manager bei Murata Europe: »Überraschend war, dass trotz der deutlich verbesserten Belieferung mit Halbleitern gegenüber 2022 der Absatz von passiven Bauelementen nicht im erwarteten Rahmen zugenommen hat. Insbesondere der Absatz im Automotive-Bereich blieb weit hinter den Forecasts zurück.« – »Letztlich war es überraschend, wie viel Überbestand im Markt war«, stimmt Harald Sauer, Director Taiyo Yuden Europe, bei. »Leider war kein Lerneffekt bei Allokationen in der Branche erkennbar.«
»Die tatsächlichen Absatz- und Umsatzzahlen lagen dann in der Realität zum Teil um 20 bis 30 Prozent unter den geplanten Jahresmengen«, bestätigt Guido Renner, Global Sales Director der Business-Unit Components Sales bei der Isabellenhütte Heusler. »Damit war 2023 geprägt vom ständigen Ausbalancieren zwischen tatsächlichem Kundenbedarf und der bereitgestellten Produktionskapazität.« – »Am meisten überrascht hat uns im letzten Jahr dann doch das Ausmaß der Überbestände, die durch die fehlenden ‚Golden Screws’ nach der Corona-Pandemie in Europa aufgelaufen sind«, bestätigt auch Ferdinand Leicher, Vice President Sales EMEA bei Bourns.
Die Konsequenz all dessen: »Anstieg der Cancellation-Requests beziehungsweise Push-out-Requests«, berichtet Maximilian Jakob, Division Director Device Solutions der Business Division bei Panasonic Industry Europe; »der Anstieg der Zinsen, die Rezession und die Inflation wirkten sich negativ auf den Investitionsgütermarkt aus, den bei Weitem größten Markt in Europa«. Was bedeutet all das für das noch junge Geschäftsjahr 2024? Wird sich die Lage wieder verbessern oder kann man das laufende Geschäftsjahr bereits abschreiben?
Bei Panasonic geht man davon aus, dass die Book-to-Bill weiterhin unter 1 bleiben wird; mit einer Normalisierung wird ab dem 3. Quartal 2024 gerechnet. Die optimistischsten Einschätzungen gehen davon aus, dass die Sicherheitslager noch im Laufe des 1. Quartals so weit abschmelzen werden, dass das normale Nachbestellungsgeschäft wieder in Schwung kommt. Die weniger optimistischen gehen davon aus, dass das Abschmelzen im schlimmsten Fall bis zum 3. Quartal 2024 dauern wird.
Entsprechend warnen Stimmen aus der Branche, dass die Kunden ihre Bedarfsentwicklung genau im Auge behalten sollten, um den Moment nicht zu versäumen, an dem sie wieder zur Erteilung normaler Folgeaufträge zurückkehren müssen. Sonst drohen Bullwhip-Effekte. Angesichts weltweit zurückgefahrener Produktionskapazitäten aufgrund gesunkener Nachfrage könnte eine sprunghaft wieder ansteigende Nachfrage zu einer Renaissance der Lieferengpässe führen. Die würden dann wohl noch massiver ausfallen als die letzte Allokation, so die Einschätzung auch großer Hersteller. Öffentlich zitieren lassen will sich damit aber niemand.
Mehr über die aktuelle Situation auf dem deutschen und europäischen Markt für passive Bauelemente erfahren Sie in unserem Schwerpunkt im E-Paper 10-11/2024 ab Seite 24.