EMEA: 22 % Weltmarktanteil bei Passiven

»KI-Server haben einen immensen Bedarf an Passiven Bauelementen«

18. November 2024, 14:30 Uhr | Engelbert Hopf
Ralph M. Bronold, EPCIA: »Aus Sicht der Mitgliedsfirmen ist der Ausblick im Automotive-Bereich bis mindestens Mitte 2025 sehr verhalten und wird vor allem durch die aktuelle Absatzschwäche bei den batterieelektrischen Fahrzeugen insbesondere in Deutschland geprägt.«
© EPCIA

Nach den Einbrüchen zu Beginn der Corona-Pandemie hat sich der Markt für passive Bauelemente in der EMEA-Region nach Einschätzung von Ralph M. Bronold, Präsident der EPCIA, wieder erholt.

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Für 2024 geht der europäische Branchenverband nun von hohen einstelligen Rückgängen aus. Der Mitgliederausblick auf 2025 ist verhalten. 

Markt&Technik: Herr Bronold, in Ihrer Funktion als Präsident der EPCIA (European Electronic Component Manufacturers’ Association), welche Bedeutung hat Europa Stand heute als Hersteller von passiven Bauelementen und als Anwendermarkt passiver Bauelemente im weltweiten Vergleich?

Ralph M. Bronold: Es gibt in Europa nach wie vor einige kleinere, zum Teil sogar familiengeführte Hersteller mit kompletter Wertschöpfungskette in Europa. Der Großteil unserer Mitgliedsfirmen, ebenso wie die nicht in der EPCIA organisierten Hersteller, sind allerdings internationale, meist nichteuropäische Unternehmen. Für die Hersteller von passiven Bauelementen stellt Europa aber nach wie vor einen wichtigen Absatzmarkt dar, insbesondere in den Segmenten Automotive- und Industrieelektronik. Europa, beziehungsweise wir sprechen hier von EMEA, repräsentiert fast 22 Prozent des globalen Marktes für passive Bauelemente. Dabei spielt hier nicht nur das reine Marktvolumen eine Rolle, sondern vor allem auch die Innovationskraft der in Europa ansässigen Kunden.

Gibt es einen Langzeittrend, der bezüglich der Produktionskapazitäten in Europa über die Jahre zu einem immer geringeren Weltmarktanteil führte, oder konnte sich Europa auf einem bestimmten Level stabilisieren? Und wie sieht die Zukunft aus?

In den vergangenen 20 bis 30 Jahren ist ein Großteil der früher in Europa existierenden Fertigungskapazität nach Asien abgewandert. Damit ist man dem Markt für Elektronik gefolgt, der sich in immer größerem Maße in Fernost und insbesondere in China etabliert hat. Heute repräsentiert zum Beispiel China etwa 40 Prozent des globalen Marktes für passive Bauelemente. Ähnlich wie die meisten anderen Regionen hatte auch der europäische Markt in den letzten Jahren mit deutlichen Schwankungen im Zeitraum von 2020 bis 2022 zu kämpfen. Trotzdem wuchs das Volumen im EMEA-Markt bis 2023 seit der Vor-Coronazeit um etwa 12 Prozent. Zwar liegen die endgültigen Zahlen noch nicht vor, aber es lässt sich schon jetzt absehen, dass wir im laufenden Kalenderjahr in EMEA leider mit einem Rückgang von etwa 9 Prozent gegenüber 2023 rechnen müssen.

Die EPCIA dient als Plattform aller in Europa produzierenden Hersteller passiver Bauelemente. Bezieht sich Europa dabei auf die EU oder allgemein auf den Kontinent Europa? Befinden sich die Produktionsstätten hauptsächlich auf EU-Gebiet oder außerhalb der EU-Staaten?

Die EPCIA versteht sich als Plattform aller in Europa in irgendeiner Weise aktiven Hersteller passiver Bauelemente. Eine Fertigung in Europa ist nicht zwingende Voraussetzung für eine Mitgliedschaft in der EPCIA. Die meisten europäischen Hersteller kommen aus EU-Ländern, es gibt aber auch einige kleinere Hersteller in europäischen Nicht-EU-Ländern. Darüber hinaus ist die EPCIA aber auch Plattform für universitäre Einrichtungen und nationale Verbände, sofern sich diese mit passiven Bauelementen beschäftigen.

Wie hoch ist heute noch die Zahl originär europäischer Hersteller in Ihrem Verband? Wie groß ist die Bedeutung internationaler Konzerne wie TDK, der Yageo-Gruppe oder Kyocera-AVX, um einige Beispiele zu nennen, für die Fertigung in Europa?

In der EPCIA sind heute noch drei originär europäische Hersteller vertreten. Andere, ursprünglich europäische Hersteller wie zum Beispiel Epcos sind inzwischen in internationale Firmen eingebettet. Damit haben die internationalen Konzerne für die Versorgung des europäischen Marktes für passive Bauelemente eine überragende Rolle. In gleicher Form spiegelt sich das auch bei der in Europa installierten Fertigungskapazität wider.

In den letzten Jahren wurde der European Chip Act verabschiedet. Seither werden Milliarden in den Bau neuer Halbleiter-Fabs investiert. Würden Sie sich ein ähnliches Programm auch für den Bereich passiver Bauelemente wünschen?

Im Bereich der passiven Bauelemente bewegen sich die notwendigen Investitionssummen in der Tat um Größenordnungen unterhalb derjenigen bei den Halbleitern. Deshalb würden derartige Förderprogramme vermutlich nicht zu rechtfertigen sein. Persönlich vermute ich, dass wir als Passive-Bauelemente-Industrie dafür in der öffentlichen und politischen Wahrnehmung auch nicht die notwendige Relevanz besitzen würden.

Thema Versorgungssicherheit: In wie hohem Maße ist die europäische Industrie heute nach Kenntnis der EPCIA abhängig von der Lieferung passiver Bauelemente etwa aus Asien und speziell China?

Europas Industrie, etwa im Bereich Automotive-, Industrie-, Medizin-, Haushalts- oder Telekommunikationselektronik, ist hochgradig von der Versorgung durch internationale Hersteller abhängig. Dabei spielen Hersteller aus China und Taiwan eine große und zunehmend stärkere Rolle. Dass sich damit ein inhärentes Problem für alle europäischen Abnehmer ergibt, hat man zuletzt in den Zeiten großer Bauelementeknappheit bis vor etwa eineinhalb Jahren gemerkt. Da wurden teilweise nicht nur bei den Halbleitern, sondern auch bei den Passiven viele Bauelemente-Kontingente auf die chinesischen Absatzmärkte gelenkt. Dies ging oft zulasten der europäischen Kunden, auch im Automotive- und Industriebereich.

Automotive dürfte der bei Weitem größte und umsatzstärkste Absatzmarkt für passive Bauelemente in Europa sein. Wie hoch ist der Anteil und wie hoch war er vor der Corona-Pandemie, also etwa 2019?

Automotive stellte 2023 mit 51 Prozent den größten Anteil in der EMEA-Region dar, gefolgt von der Industrieelektronik mit 34 Prozent. Relativ hat sich der Automotive-Anteil gegenüber der Vor-Corona-Zeit des Jahres 2019 um 1 bis 2 Prozentpunkte reduziert und war von einem massiven Einbruch 2020 und einer spürbaren Erholung 2021/2022 geprägt. Noch liegen die Zahlen für 2024 nicht vor, die EPCIA erwartet aber einen deutlichen Rückgang im Vergleich zum Vorjahr. Aus Sicht der Mitgliedsfirmen ist der Ausblick bis mindestens Mitte 2025 sehr verhalten und wird vor allem durch die aktuelle Absatzschwäche bei den batterieelektrischen Fahrzeugen, insbesondere in Deutschland, geprägt.

Vor allem stückzahlmäßig ist der Industrieelektronikmarkt deutlich kleiner als das Automotive-Segment. Einbrüche von 30 Prozent im Maschinen- und Anlagenbau dürften aber auch hier die Nachfrage nach passiven Bauelemente deutlich reduziert haben. Wie sieht der EPCIA hier die Lage? Gibt es passive Bauelemente, die besonders von der Flaute in der Industrieelektronik betroffen sind?

Im Jahr 2023 stellt der Industrieelektronikmarkt im EMEA-Raum mit etwa 1,9 Milliarden Euro Volumen und einem Anteil von 34 Prozent das zweitgrößte Marktsegment dar. Hier betrug die Veränderung gegenüber 2022 etwa –2 Prozent. Ähnlich wie im Automotive-Segment gab es erhebliche Verwerfungen zwischen dem starken Einbruch 2020 und den anschließen Boomjahren 2021 und 2022. Für 2024 sehen wir auch hier einen deutlichen Rückgang gegenüber dem Vorjahr. In Summe erwarten wir die größten Einbrüche bei den Kondensatoren und Widerständen. Induktive Bauelemente sind zwar auch rückläufig, scheinen aber in Summe etwas weniger betroffen zu sein.

Murata hat gerade einen Rekord für den kleinsten MLCC aufgestellt. Welche technischen Trends sind aus Sicht des EPCIA wichtig für den Absatzmarkt Europa? Haben Sie hier aktuelle Beispiele?

Für die Hauptmärkte in Europa, die Automotive- und Industrieelektronik, geht es wahrscheinlich weniger um die größtmögliche Reduzierung der Bauelementegrößen, wie es etwa im Bereich Mobilfunk zwingend notwendig ist. Viel wichtiger ist es, dem Kunden ein gutes Gesamtpaket anzubieten. Dabei spielen Zuverlässigkeit, Qualität und Temperaturverhalten der Bauelemente bei vernünftiger Bauelementegröße und die bestmögliche Anpassung an die modernen Halbleiter, Stichwort »SiC und GaN«, eine sehr große Rolle. Natürlich wird erwartet, dass man das auch zu einem konkurrenzfähigen Preis liefern kann.

Seit Jahrzehnten wird versucht, passive Bauelemente durch Halbleiter zu ersetzen. Es hat nicht funktioniert, die Zahl der produzierten Bauteile stieg exponentiell. Sehen Sie in Zukunft noch die Gefahr, dass es doch noch zu einer Substitution kommen könnte?

Wie Sie es hier richtig dargestellt haben: Es gibt durchaus Verdrängung von passiven Bauelemente durch entsprechende Halbleiter an gewissen Einsatzstellen. Unter dem Strich sind jedoch an anderen Stellen noch mehr Einsatzmöglichkeiten hinzugekommen. Um nur ein aktuelles Beispiel zu nennen: Im Bereich der künstlichen Intelligenz benötigt man beispielsweise für einen KI-Server natürlich leistungsstarke Halbleiter, aber um die Chips herum eben auch ungefähr 11.000 MLCCs, 400 Induktivitäten, 140 Hybrid-Polymer-Alu-Elkos und weitere Bauelemente, insbesondere auch in der Stromversorgung. Auch an anderer Stelle sehen unsere Kunden die Lösung mit passiven Bauelementen immer noch als beste Lösung im Sinne des Gesamtpaketes.

Mit dem EPCIA Student Award engagieren Sie sich für die Nachwuchsförderung. Angesichts des Ingenieurmangels, welche Trigger können Sie setzen, damit sich junge Menschen für das »unsexy« Thema passive Bauelemente beschäftigen?

Wir haben das EPCIA Student Award Program vor drei Jahren aufgelegt, um Studenten und Doktoranden in Europa für das Thema »Passive« zu interessieren und gegebenenfalls für eine spätere Tätigkeit in unserer Industrie zu begeistern. Zur Erlangung eines Awards muss man sich mit der Abschlussarbeit, die natürlich etwas mit passiven Bauelementen zu tun haben sollte, bei der EPCIA bewerben. Der Student Award war – und ist – verbunden mit einer attraktiven Geldprämie, der Möglichkeit, die Arbeit in einem größeren Rahmen öffentlichkeitswirksam zu präsentieren, und natürlich auch mit der Chance, potenzielle Arbeitgeber aus dem Bereich der Passiven persönlich kennenzulernen. Wir müssen nach drei Jahren allerdings erkennen, dass wir bisher nicht den gewünschten Erfolg erzielen konnten. Bei den Studierenden sehen wir ferner einen sinkenden Anteil in den Fächern Elektrotechnik und Elektronik, einen abnehmenden Anteil der europäischen Studenten innerhalb der Studierenden und sicherlich auch ein weiterhin relativ geringes Interesse an den scheinbar »unsexy« passiven Bauelementen. Um diese Problematik zu adressieren, überarbeiten wir derzeit die Teilnahmebedingungen für den Student Award, um den möglichen Bewerberkreis zu vergrößern. Dabei soll auch die Attraktivität unserer Mitgliedsfirmen als potenzielle Arbeitgeber noch stärker herausgestellt werden. Wir hoffen, dass wir damit in den kommenden Jahren noch mehr Studenten für die Passive-Bauelemente-Industrie gewinnen können.


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