»Auch wenn es in den letzten Monaten immer wieder Lichtblicke bei Standardbauteilen sowohl im passiven wie im aktiven Bereich gab, verschwanden diese Hoffnungsschimmer auch immer sehr rasch«, rekapituliert Thomas Widdel, Geschäftsführer von Eplax, die letzten Monate. »Aktuell müssen wir nahezu jedes Bauteil in Preis und Verfügbarkeit individuell bewerten und überwachen.« Wie einige andere Befragte macht er darauf aufmerksam, dass der Fokus nicht nur auf den Folgen des Ukraine-Krieges für die Lieferkette kleben dürfe, »in China gibt es derzeit einen Lockdown in der chinesischen Region Shenzhen«. Omikron dürfte für den Produktionsstandort China und die Zuverlässigkeit der Lieferkette auf absehbare Zeit eine Herausforderung darstellen. Der Auftragsbestand bei Eplax liegt derzeit bei gut 24 Monaten.
»Wir haben weiterhin eine Situation der Zuteilung«, beschreibt Oliver Walter, CEO der Camtec Power Supplies seine Wahrnehmung des Marktes. »Wenn irgendwo ein Loch gestopft wird, geht schon ein weiteres auf.« Das habe tiefgreifende Folgen: »In der Vergangenheit hat der Auftragseingang den Jahresumsatz eines Unternehmens bestimmt, heute ist es die Materialverfügbarkeit.« Bei all den Klagen vieler Hersteller über die Lieferzuverlässigkeit von Bauelemente-Herstellern und Distributoren hebt Walter eine Produktgruppe positiv hervor: »Im Schnitt waren die Hersteller von SiC-MOSFETs die pünktlichsten Lieferanten!« Toshibas Ankündigung des verstärkten Engagements im Leistungshalbleiter-Bereich bewertet er vorsichtig: »Aus unserer Sicht hat Toshiba seine Schwerpunkte im Bereich Umrichter, Automotive und E-Mobility gesetzt. Sollte sich das in Zukunft auf andere Bereiche ausweiten, wäre dies ein echter Zugewinn!«
Eine Sondersituation scheint beim französischen Hersteller Gaia Converter zu herrschen. »Durch eine deutliche Steigerung der Beschaffungsaufwendungen sind Lieferverzögerungen durch Materialmangel bei uns komplett ausgeblieben«, versichert Christian Bernard, Leiter des Vertriebsbüros Deutschland der Gaia Converter. Unabhängig davon bewertet Bernard die Beschaffungssituation 2022 als sehr anspruchsvoll, »mit einer Entspannung rechnen wir nicht«. Wie Bernard bestätigt, hat der Wegfall der Märkte in Belarus, Russland und der Ukraine »einen direkten Einfluss auf unsere Geschäftsentwicklung«. Er geht aber auch davon aus, »dass langfristig der angestrebte höhere Sicherheitsstandard der europäischen Nationen zu einer höheren Nachfrage nach unseren Produkten führen wird«.
»Der Auftragshorizont hat sich zuletzt um mehrere Monate nach hinten ausgeweitet«, beschreibt Frank Cubasch, Geschäftsführer der Magic Power Technology, die Geschäftsentwicklung der letzten Zeit. »Der Umsatz folgt dann dementsprechend zeitverzögert mit den Lieferzeiten der Bauteile; das war auch so abzusehen und ist keine Überraschung.« Zum Thema MOSFETs meint Cubasch: »Wir haben gesehen, dass speziell kleinere Hersteller eine höhere Flexibilität und Liefertermintreue aufweisen als die großen Player.« Beim Thema Lieferengpässe bei Elkos erläutert er, »dass wir im Einzelfall auch gezwungen sind, mittels Ersatztypen auf Alternativen umzusteigen, um unsere Lieferzeiten zu sichern«. Aber auch das sei nicht ganz einfach, da bei Anbietern hochwertiger Elkos die Luft dünn werde; »dazu kommt noch, dass manche Elkos in den Zulassungen festgeschrieben sind«.
Fazit: Mit einer schlagartigen Entspannung der Situation dürfte im Stromversorgungsbereich weder 2022 noch 2023 zu rechnen sein. Aktuelle Ereignisse wie der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine, die Sanktionen des Westens und die sich abzeichnende Omikron-Welle in China sprechen gegen eine Entspannung in den Logistikketten. Aktuell erscheint eher eine langsame Entspannung der Lieferkette bei gleichbleibend hohem Auftragseingang 2023 wahrscheinlich.
Branchenindex
Nix war’s mit der erhofften Entspannung
»Der Bauch meint 0, das Herz meint 3 und der Kopf meint +1,5. Ich denke, das sagt alles über die derzeitige Gefühlslage am Markt aus«, meinte einer der Befragten anlässlich der traditionellen Abfrage des Stimmungs-Index in der deutschen Stromversorgungsbranche. Erwies sich die Stimmung im 2. Halbjahr 2021 dann doch im Nachgang mit 2,6 deutlich besser als prognostiziert (1,88), ist die Stimmung aktuell mit 1,83 Punkten deutlich unter den im Herbst letzten Jahres erwarteten 2,11 Punkten geblieben. Es dürfte wohl auch dem Überfall Russlands auf die Ukraine geschuldet sein, dass sich die Stimmung für die zweite Jahreshälfte 2022 aktuell bei 1,76 Index-Punkten bewegt.
Der Krieg und die gegen Russland gerichteten Sanktionen dürften die internationalen Lieferketten noch in den nächsten Monaten unter zusätzlichen Druck setzen. Fazit: Auftragslage phantastisch – Branchenstimmung auf einem Niveau wie etwa in der zweiten Jahreshälfte 2016.