Was erwarten in Deutschland ansässige beziehungsweise aktive Distributoren von einer neuen Bundesregierung? Markt&Technik hat CEOs und Manager aus der Branche befragt.
Die Distributionsbranche ist in ihrer Sandwich-Position in der Lieferkette zwischen Herstellern und Kunden ein veritabler Gradmesser für die Schmerzpunkte der deutschen Elektronikindustrie und darüber hinaus.
Deutschland steht am Scheideweg: Um als Wirtschaftsmacht zu bestehen, braucht es dringend politische Maßnahmen, die nicht nur das heutige Geschäft stützen, sondern die Weichen für die Zukunft stellen und Innovation fördern, so der Tenor der Befragten.
»Die deutsche und europäische Wirtschaft braucht jetzt Stabilität«, bringt es Bert Schukat, Geschäftsführer von Schukat electronic, auf den Punkt. »Kurzfristige Schnellschüsse wie plötzlich eingeführte oder abgeschaffte Subventionen sind wenig hilfreich.«
Die Wunschliste der Distributoren ist lang: »Unternehmer sein, bedeutet, etwas zu unternehmen – nicht abzuwarten, sondern aktiv zu handeln«, sagt Ralf Bühler, CEO von Conrad. »In dieser Hinsicht ist es entscheidend, dass die Politik Rahmenbedingungen schafft, die es den Unternehmen ermöglichen, schnell und agil auf Herausforderungen zu reagieren«.
Investitionen in die digitale Infrastruktur und Schlüsselindustrien stehen ebenso auf der Agenda der befragten Distributoren wie die Unterstützung des Mittelstands. Besonders die Halbleiterproduktion müsse in Europa ausgebaut werden, um von globalen Lieferketten unabhängig zu werden. »Die deutsche Regierung muss sich klar für den deutschen Mittelstand aussprechen und ihn unterstützen. Ansonsten werden die Umsätze immer mehr aus Deutschland abwandern. Dies gilt vor allem für die modernen Applikationen wie KI etc.«, konkretisiert indes Michael Denner, Geschäftsführer von Gudeco.
Und Jörg Strughold, President Global Components EMEA von Arrow, meint: »Das Sondervermögen, die damit zusammenhängenden geplanten Investitionen in die Infrastruktur und Energiewirtschaft sowie die Anpassung des Verteidigungshaushalts werden sicherlich ein Stimulus für die deutsche Wirtschaft sein.«
Deutliche Kritik hagelt es von mehreren Seiten an der Bürokratie. »Ein großes Problem sind das überbordende Reporting, die langwierigen Genehmigungsverfahren, die Investitionen und Innovationen oft erheblich verzögern«, findet Holger Ruban, CEO von Bürklin.
Hier muss die Politik dringend entschlacken und für mehr Geschwindigkeit sorgen, lautet der einhellige Tenor. »Generell gilt es, ein Umfeld zu schaffen, in dem Unternehmen agil sein können und der Markt attraktiv für Fachkräfte ist«, fordert Strughold.
Ein gemeinsames Anliegen der Unternehmer ist die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Produktion; kaum verwunderlich, schließlich ist das die Kernzielgruppe der Distributoren. Doch wird die hiesige Fertigung zunehmend von den hohen Energiepreisen bedroht, wie Andreas Mangler, Director Strategic Marketing von Rutronik, erklärt: »Ohne wettbewerbsfähige Energiepreise wird es schwierig, Produktionsstätten in Deutschland zu halten. Niedrigere Energiekosten sind zwingend erforderlich, um für eine Sicherstellung des Produktionsstandorts zu sorgen. Außerdem muss es Anreize geben, um weitere Abwanderungen der Produktionsstätten ins Ausland zu vermeiden.«
Thomas Gerhardt, Geschäftsführer von Glyn, geht noch einen Schritt weiter und verdeutlicht, warum das bisherige Erfolgsmodell inzwischen auf tönernen Füßen steht beziehungsweise neu gedacht werden muss: »Unser sehr erfolgreiches Geschäftsmodell der vergangenen Jahrzehnte steht unter Druck. Wir haben günstige Energie in Russland gekauft und damit Produkte für die Entwicklung der chinesischen Volkswirtschaft geliefert. Dieser Aufbauprozess sowie der Know-how-Transfer sind schon sehr weit vorangeschritten, und die günstige Energie kaufen die Chinesen jetzt selbst bei den Russen. Wir werden uns also wohl ein Stück weit wieder neu erfinden müssen. Dafür brauchen wir nicht Austerität, Bürokratie und Vier-Tage-Woche, sondern Investition, Innovation und Leistungsbereitschaft. Darin liegen auch Chancen, und denen sollte sich die Politik jetzt widmen. Ich bin zuversichtlich, dass das bereits erkannt wurde und in diese Richtung geht.«
»Europa muss als starke Einheit auftreten«
Ein Umdenken fordert Bühler aber nicht nur von der Politik, sondern auch in den brancheneigenen Reihen: »Unternehmen in Europa sollten nicht gegeneinander, sondern miteinander agieren.« Während große internationale Player den Markt zunehmend dominieren, sei es entscheidend, dass europäische Unternehmen kooperieren, statt sich gegenseitig zu bekämpfen. »Erfolgreiche Distributoren sind tief in ihren lokalen Märkten verankert, doch der Trend zur Konsolidierung ist klar erkennbar. Besonders große internationale Player aus den USA übernehmen immer mehr europäische Unternehmen, was den Druck auf die lokalen Akteure verstärkt und es ihnen erschwert zu wachsen und zu investieren. Europa muss als starke Einheit auftreten«, resümiert Bühler.
»Wichtigster Exportmarkt USA muss erhalten bleiben«
Fazit: Die Zukunft des Landes liegt in der Hand der Politik – und es ist an der Zeit, den Kurs zu ändern: »Wenn es CDU und SPD gelingt, eine stabile Regierung zu bilden und signifikante Investitionsprogramme für Infrastruktur, Verteidigung und Umwelt zu starten, wird sich die Stimmung verbessern«, ist Gerhardt überzeugt. »Und man muss wohl hoffen, dass die amerikanische Administration nur mit Zöllen droht, um einige Dinge neu zu regeln.« Sonst, fürchtet Gerhardt, könnte es schwieriger werden. Jedenfalls, meint Schukat, sollte die neue Bundesregierung mit geschickter und vorausschauender Diplomatie dafür Sorge tragen, dass der bisher wichtigste Exportmarkt – die USA – der deutschen Wirtschaft erhalten bleibt.
Mehr über die Stimmung in der Distributionsbranche lesen Sie im Stimmungsbarometer Distribution.