Auf spektakuläre Weise vollzog die chinesische Staatsführung Anfang dieses Jahres eine 180-Grad-Kehrwende zu ihrer bis dahin geltenden Zero-Tolerance-Covid-Politik. Seitdem gibt es augenscheinlich keine Lockdowns mehr und keine unkalkulierbaren Verzögerungen in der Lieferkette. Doch wie sieht die Situation in China wirklich aus? Ist man zu einer »neuen Normalität« zurückgekehrt, laufen die Fabriken in China inzwischen wieder reibungslos?
»Mit Blick auf die Produktion in China kann ich nur sagen, es funktioniert zuverlässig und im Rahmen der versprochenen Zeit«, gibt Fischer seine bisherigen Erfahrungen wieder. »Von der Produktionsseite her gibt es keine Beeinträchtigungen mehr«, bestätigt auch Kagel. »Das läuft alles glatt und pünktlich. Von der Marktseite her kann ich das nicht so gut beurteilen, weil unser asiatischer Markt nicht so groß ist.«
Dass die Produktion nicht nur problemlos läuft, sondern seit dem Frühjahr 2022 sogar verdreifacht wurde, ist für Erdl »nicht nur eine superstarke Teamleistung, sondern auch unseren dortigen Zulieferern zu verdanken«. Ungeachtet dessen registriert er aber sowohl bei den eigenen Mitarbeitern als auch bei den Kunden eine gewisse Zurückhaltung. »In China war der Optimismus in den letzten Jahrzehnten immer sehr groß, das Land hat sich durch Zukunftsoffenheit ausgezeichnet. Diese Haltung hat in jüngster Zeit offenbar einen Dämpfer erhalten. »Ich sehe, dass die Chinesen beginnen, sich geopolitisch Sorgen zu machen.«
»Kapazitätsmäßig hat man in China derzeit überhaupt kein Problem«, erläutert Bier, »sie merken jetzt eben, wie stark sie schon vom Export abhängig geworden sind«. Offensichtich bekomme der Export Probleme auf der geopolitischen Seite. »Die chinesische Wirtschaft lebt schließlich vor allem von regionalen Subventionen und Subventionen in ihren Absatzmärkten.« Bislang, so sein Eindruck, habe das Brainwashing ganz gut funktioniert, »aber wenn deine Fertigung auf einmal nur noch zu 40 Prozent ausgelastet ist, fängst du natürlich an Fragen zu stellen«.
»In China wird die Schuld dafür auf den Westen geschoben«, so Erdl, »China hat ein starkes nationales Selbstbewusstsein entwickelt«. Was in Teilen sicherlich verständlich ist, sieht man sich die Inflationsprobleme der westlichen Welt im Vergleich zu China an. Da dürfte es wenig verwundern, dass man das Krisenmanagement der eigenen Regierung für besser hält als das des Westens. Eine Erfahrung, die auch Heinemann bestätigen kann. »Wenn man heute geschäftlich früheren Partnern gegenübersitzt, treten die inzwischen mit einem ganz anderen Selbstbewusstsein auf als vor der Pandemie.« Er führt das auf den aufgeheizten Systemwettbewerb der letzten Jahre zurück, »so allmählich beginnen sie nun aber die negativen Auswirkungen im Export zu spüren«.