Bekannt als Technologieführer im Bereich der DIN-Schienennetzteile, stößt Puls mit der Übernahme des Industriekundengeschäfts von Wiferion in ein neues Geschäftsfeld vor. Für Stefan Seidenzahl, Vice President Sales EMEA und Südostasien, eine ideale Ergänzung für das existierende Puls-Business.
Markt&Technik: Es kommt selten vor, dass ein mittleres Unternehmen etwas aus einem großen Automobilkonzern herauskauft. Puls hat das getan, Sie kaufen das existierende Geschäft von Wiferion. Das Startup aus Freiburg wurde erst im Sommer von einem Automobilhersteller gekauft. Wie kam es dazu, und warum ist Puls hier aktiv geworden?
Stefan Seidenzahl: Der Hintergrund liegt wohl darin, dass der Käufer zwar am technischen Know-how der vier Unternehmensgründer und der Entwicklungsabteilung interessiert war, aber kein Interesse an der Fortführung des existierenden Industriegeschäfts hatte. Puls hingegen ist stark in der Automatisierungstechnik und in der Intralogistik und verfügt über die Entwicklungskapazitäten und das Know-how, die Technik des drahtlosen Ladens weiterzuentwickeln. Ein »Perfect Match« also.
Wiferion ist ein Spezialist für drahtloses Laden, meines Wissens ein Marktsegment, indem Puls bislang nicht tätig war. Was verspricht sich Puls vom Einstieg in diese Technologie und auf diesen Markt?
Wiferion ist wie Puls ein Technologie- und Marktführer in seinem Produktbereich. Hohe Wirkungsgrade, im Fall Wiferion sind es 93 Prozent, sind Teil unser beider DNA. Und wir sind überzeugt. In den letzten Jahren gibt im Bereich der Intralogistik ein wachsendes Interesse an Wireless-Charging-Lösungen. Mit der Übernahme des Industrie-Geschäfts von Wiferion können wir uns nun zusätzlich zum DIN-Schienen-Segment und den neuen IP65-Stromversorgungen einen weiteren Markt mit großem globalem Wachstumspotenzial erschließen. Wir stehen also nicht still, sondern erweitern unser Angebot passend für Industriekunden. Aktuell liefern wir eine 3-kW-Lösung, und für 1 kW und 12 kW existieren schon Prototypen. Wir übernehmen alle IP-Rechte, die Mitarbeiter für das operative Geschäft sowie die für Sales, Marketing und die Applikationsunterstützung, die in Freiburg als einem neuen Puls-Standort verbleiben. Die Produktion der Wireless-Charging-Module erfolgt aktuell bei einem Fertigungsdienstleister. Für die Weiterentwicklung dieses Produktspektrums werden wir unser Entwicklerteam in Wien auf 100 Mitarbeiter annähernd verdoppeln. Da passt es gut, dass wir dort gerade die Räumlichkeiten verdoppeln konnten. Eine Produktion der Geräte kann perspektivisch auch in unserem Werk in Tschechien erfolgen.
Nun beschäftigen sich auch andere Unternehmen mit Wireless Charging im Industriebereich. Was ist so besonders an Wiferion?
Als Pionier hat Wiferion einen großen technologischen Vorsprung und hat das In-Process-Charging möglich gemacht. Konkret heißt das, dass automatisierte Flurförderfahrzeuge nicht zum Laden in eine Docking-Station fahren müssen, sondern die Akkus dieser Geräte während des laufenden Betriebs an verschiedenen Haltepunkten im Prozess, zum Beispiel beim Be- und Entladen, geladen werden. Für den Anwender ist das ein entscheidender Kostenvorteil, denn er kommt mit weniger Flurförderfahrzeugen aus, da immer alle im Einsatz sind.
Eine weitere Besonderheit ist der Ansatz, das als beratungsintensives Systemgeschäft zu betrachten. Auch bei unseren bisherigen Netzteilen verfolgen wir einen beratungsintensiven Ansatz, We Care, und deshalb passen beide Geschäfte optimal zusammen. Wir haben hier nicht nur die Chance eines erfolgreichen Image-Transfers, sondern auch die Möglichkeit, in Zukunft noch die eine oder andere Synergie zu heben. Ich denke auch, dass sich beide Aktivitäten bei neuen Kunden als Türöffner eignen, um auch unser anderes Produktportfolio ins Spiel zu bringen.
Von den Zukunftsaussichten zurück zur aktuellen Gegenwart. Wie stellt sich für Sie aus Vertriebssicht bisher das Geschäftsjahr 2023 dar? Entspricht es Ihren Erwartungen?
Wir sind aus den Versorgungsproblemen raus, das ist das Wichtigste! Wir konnten wieder zu unserem ursprünglichen Geschäftsmodell, der Lieferung ab Lager, zurückkommen. Da wir über 250 Standardprodukte im Portfolio führen, stellte das eine große Herausforderung dar, die auch heute noch nicht für jedes dieser Produkte im vollen Umfang gewährleistet ist. Im Vertrieb ging 2022 richtig die Post ab. Wir sind auch noch mit einem starken 1. Quartal ins Jahr 2023 gestartet, inzwischen ist es ruhiger geworden, da die Kunden wissen, sie können wieder ab Lager bestellen, sie müssen nicht mehr mit einem monatelangen Vorlauf planen.
Wo liegen aus Ihrer Sicht die entscheidenden Unterschiede zu 2022? Wann hat sich der Wandel für Sie abgezeichnet, und wann hat er sich dann wirklich manifestiert?
Wir mussten uns im letzten Jahr mit einer Gemengelage auseinandersetzen. Da waren immer noch die Zero-Covid-Maßnahmen in China, da gab es immer noch anhaltende Versorgungsengpässe, es war unklar, welche weiteren Auswirkungen der Überfall Russlands auf die Ukraine haben würde. Darüber hinaus war für uns sehr schwer einzuschätzen, was ist auf Kundenseite wirklicher Bedarf und was sind Bestellungen, die aus Gründen der Versorgungsabsicherung getätigt werden? Unsere Politik war, keinem zu erlauben, plötzlich ein x-Faches seines bisherigen Bedarfs zu bestellen. Da wir die interne Vorgabe haben, für drei Monate im Voraus auf Lager zu produzieren, konnten wir die Versorgungsprobleme zu Beginn mit unserem Lager überbrücken, aber irgendwann ging das dann nicht mehr.
Puls bedient in erster Linie den Maschinen- und Anlagenbau sowie die Prozessindustrie. Laut VDMA kämpfen die deutschen Hersteller aktuell mit massiven Exportproblemen. Wie nehmen Sie das wahr?
Im Wesentlichen geht es hier um die bekannten deutschen Standortfaktoren. Dass sich die in einer Hochzinsphase mit hoher Inflation, steigenden Löhnen und hohen Kosten für Industriestrom nicht unbedingt positiv auswirken, ist klar. Mit unserem Fokus auf Märkte wie Prozesstechnik, Intralogistik oder auch Renewable liegt der Fokus ganz klar auf Wachstum.
Gibt es Anwendungsbereiche für Puls-Stromversorgungen, die sich für Sie in letzter Zeit besonders gut entwickelt haben? Gibt es gleichzeitig Branchen, in denen Sie eine wachsende Zurückhaltung registrieren?
In dieser konkreten Form eigentlich nicht. Wir haben da bereits vor Jahren ein ganz hilfreiches Tool entwickelt, einen Energiekostenrechner. Egal wie es einer Branche geht, wenn man den Verantwortlichen die Möglichkeit bietet, einen Kostenfaktor in ihrer Kalkulation spürbar zu drücken, werden sie zugreifen. Mithilfe dieses Energiekostenrechners lässt sich unwiderlegbar nachweisen, dass sich eine Investition in unsere Netzteile innerhalb kürzester Zeit durch Amortisierung auszahlt.
Bernhard Erdl, der Gründer von Puls, meinte vor Kurzem, die Geschäftsentwicklung in Südkorea und Singapur verlaufe sehr gut, Japan sei dagegen weiterhin eine Herausforderung. Worin bestehen die großen Unterschiede dieser regionalen Märkte?
In Korea entwickelt sich beispielsweise das Ausstattungsgeschäft für neue Linien zur Batteriefertigung gut, aber auch Lösungen für Energy-Storage boomen dort derzeit. Wir arbeiten in Korea mit einem Distributor zusammen, der unter anderem eine enge Zusammenarbeit mit Hyundai pflegt. Allgemein könnte man sagen, dass Koreaner sehr experimentierfreudig sind, was sich für uns in einer Vielzahl neuer Applikationsideen niederschlägt. In Japan muss man einfach akzeptieren, dass es ihre Art ist, das Geschäft im Land mit lokalen Leuten nach ihren eigenen Vorstellungen aufzuziehen. Das nimmt mehr Zeit in Anspruch, schlägt sich dann aber auch in sehr nachhaltigem Geschäft nieder. Einer unserer größten Erfolge, die wir auf diese Art in Japan erzielt haben, ist die Tatsache, dass wir bereits verschiedene Projekte erfolgreich mit Toyota realisieren konnten. Japanische Anwender lieben unsere Technologie!
Noch eine Frage zu den Preissteigerungen der letzten Jahre. Eigentlich ist das Gift für den Vertrieb. Kunden erwarten vielmehr mit steigenden Stückzahlen Rabattierungen. Wie sind Sie mit der Situation umgegangen?
Als Branche müssen wir wettbewerbsfähig bleiben. In einer Situation, in der wir auf der einen Seite immer knapper werdende Güter haben und auf der anderen Seite eine stetig steigende Nachfrage, kommt man um Preiserhöhungen gar nicht herum. Das war ein Branchen- oder Industrie-Problem, kein Puls-Problem. So wurde das auch von Kunden gesehen. Wir haben die Preise da erhöht, wo es wirklich notwendig war, und haben das auch transparent kommuniziert. Wir können nicht alle Kostensteigerung auf unsere Kappe nehmen, sonst sind wir am Ende nicht mehr wettbewerbsfähig.
Technisch befindet sich Deutschland seit fast drei Monaten in einer Rezession. Die Aussichten auf Wirtschaftswachstum 2024 schwinden. Welche Umsatzziele streben Sie für Puls 2023 an? Mit welcher Umsatzerwartung gehen Sie in das Geschäftsjahr 2024?
Ganz ehrlich, es hat mich überrascht, wie gut wir in das Jahr 2023 gekommen sind und wie gut das 1. Quartal verlief. Man muss aber auch dazu sagen, dass wir in den letzten zwei Jahren um jeweils über 25 Prozent gewachsen sind. Das wird sich in diesem Jahr nicht wiederholen, wir werden eher auf hohem Niveau stagnieren. Im letzten Jahr lag der Umsatz der Puls-Gruppe bei rund 250 Millionen Euro. Für 2024 gehen wir wieder davon aus, deutlich stärker als der Markt zu wachsen, und halten ein Umsatzvolumen von 280 bis 300 Millionen Euro für möglich.
Wird dazu dann bereits das Wireless-Charging-Geschäft beitragen?
Vorerst nur in einem sehr geringen Umfang. Aber wir planen, dass der Umsatzanteil der neuen Business-Unit Puls Wireless bis zum Ende dieses Jahrzehnts eine zweistellige Prozentzahl sein wird.