Eine Entspannung der Liefersituation im Consumer-Bereich bedeutet nicht, dass sich auch im Bereich der Industrieelektronik die Versorgungslage schlagartig verbessert. Zu diesem Ergebnis kommt unsere aktuelle Umfrage unter führenden Stromversorgungsspezialisten in der DACH-Region
»Die Bauteile für die Consumer- und die Industriemärkte sind doch sehr unterschiedlich«, so Bernhard Erdl, Gründer und Präsident der Puls-Gruppe, »viele Industriebauteile sind daher immer noch sehr kritisch«. »Wir setzen in unseren Schaltnetzteilen Material ein, welches in einem Consumer-Produkt schon durch seine Wertigkeit und seinen Preis keinen Einsatz finden würde«, versichert Oliver Walter, CEO der Camtec Power Supplies.
»Der Consumer-Markt arbeitet mit anderen Bauteilgrößen und Leistungen«, bestätigt auch Giovanni Rodio, Vertriebsleiter der Autronic Steuer- und Regeltechnik. Kai Heinemann, Geschäftsleiter Entwicklung und Produktmanagement bei der Block Transformatoren-Elektronik, beantwortet die Frage, ob sich die Versorgungssituation für die Hersteller von Stromversorgungen in den vergangenen Monaten verbessert habe, mit einem klaren Jein: »Chipwiderstände, MLCCs, Standarddioden und -transistoren gehen schon wieder ganz gut, aber alles rund um Power, etwa Dioden und MOSFETs, ist weiterhin schlecht.«
Während sich also einerseits die Situation punktuell zu entspannen beginnt, sieht es bei kritischen Bauteilen weiterhin schlecht aus. »Wir stellen eine gewisse Entspannung für Wickelgüter, Leiterplatten und Komponenten der Verbindungstechnik fest«, gibt Hermann Püthe, Geschäftsführender Gesellschafter der inpotron Schaltnetzteile zu Protokoll, »aber unsere wahren Sorgenkinder sind nach wie vor die MOSFETs, hier gibt es teilweise immer noch Lieferzeiten von bis zu 90 Wochen!« Nicht ganz so extrem ist die Situation bei Puls.
»MOSFETs sind immer noch problematisch, wir haben aktuell 50 Wochen Lieferzeit«, bestätigt Erdl. Den entscheidenden Grund für diese unveränderte Situation sieht Uwe Saum, Market Development Engineer Manager Power CE, bei Arrow Electronics darin, »dass MOSFETs Schlüsselbausteine in vielen aktuellen Wachstumsmärkten sind, und die Nachfrage nach wie vor sehr hoch ist. Eine Entspannung ist nicht in Sicht. Es ist daher wichtig, die Aufträge weiter über mindestens 18, oder besser noch 24 Monate im Voraus zu platzieren«.
Thomas Widdel, Geschäftsführer der zur Cosel-Gruppe gehörenden Eplax drückt es diplomatisch aus: »Das ist sehr stark abhängig von den jeweiligen Produkten. Was wir bestellen, erhalten wir letztlich auch, allerdings nicht immer zu den gewünschten Lieferterminen.«
Ähnlich drückt sich Gerhard Reifner, Prokurist und Head of Corporate Supply Chain Management & IMS bei Recom aus: »Die aktuelle Lage bei den Lieferzeiten für MOSFETs ist stabil auf hohem Niveau.« Was nicht heißt, dass es nicht auch mal untypische Ausnahmen gibt – »Lieferprobleme sind bei MOSFETs weiterhin vorhanden«, meint Rodio, »ganz selten kommt es allerdings vor, dass auch mal Bauteile auf dem Hof stehen, die auf 2024/25 bestätigt waren«.
Auch wenn bei allen Befragten die Book-to-Bill-Rate seit dem letzten Jahr gesunken ist, Sorgen macht sich darüber noch niemand, zu groß sind aktuell die Auftragspolster, die teilweise für über ein Jahr hinaus für eine ausgelastete Produktion sorgen würden. Aber belastende Faktoren wie hohe Inflation, hohe Energiepreise, hohe Zinsen und ein im Vergleich zum Dollar weiter schwacher Euro sind schließlich weiterhin präsent, und könnten sich in den nächsten Monaten negativ auf die Branche auswirken.
»Ich persönlich rechne mit einem schwächeren Geschäft insbesondere ab der Jahresmitte«, gibt Sebastian Fischer, Geschäftsführer Traco Electronic, seine Einschätzung für den weiteren Verlauf des Geschäftsjahres 2023 zu Protokoll. »Ab August ist der Bestand der getätigten Abrufe rückläufig«, bestätigt auch Püthe, »sollten die Bestellabrufe ab August nicht im üblichen Umfang erfolgen, dann hätten wir eine Rezession in der Elektrobranche – wovon ich jedoch aktuell nicht ausgehe«.
Auf wenig Freude bei den Kunden dürften auch die Antworten auf die Frage nach Preiserhöhungen für 2023 stoßen. »Ohne Preiserhöhungen wird es auch in diesem Jahr nicht gehen«, meint Heinemann. Fischer verweist auf die preistreibende Rolle des schwachen Euro für Produkte, die aus Asien nach Europa eingeführt werden, und rechnet ebenfalls mit steigenden Preisen. Wenn Preiserhöhungen notwendig werden, so Widdel, »dann sind die im Allgemeinen durch Vorlieferanten verursacht«. »Da die Inflation immer noch sehr stark ist«, so Erdl, »wissen wir nicht, wie lange wir Preiserhöhungen werden vermeiden können, auch wenn wir alles dafür tun«.
Mehr über aktuelle Entwicklungen und Trends des Stromversorgungsmarktes in der DACH-Region erfahren Sie in unserem Themen-Special ab Seite 24 des E-Papers der Ausgabe 11/12-2023.