Seit Wochen ist zu lesen, dass sich die Lieferzeiten im Bauelementebereich wieder normalisieren, dass inzwischen fast alle Bauelemente wieder zu fast normalen Lieferzeiten erhältlich seien. Stimmt das? Welche Erfahrungen haben die Stromversorgungshersteller bei diesem Thema gemacht? »Wir stehen nicht mehr vor massiven Herausforderungen, aber wir stehen immer noch vor Herausforderungen«, beschreibt Kagel die aktuelle Lage. »Gerade im Bereich MOSFETs, aber auch ICs und Diskrete gibt es immer noch Produkte mit Lieferzeiten von 52 Wochen und mehr«, so der XP-Power Manager; »das gilt vor allem für Bauteile, die auch in den Automotive-Bereich gehen, und wir müssen immer noch Zuschläge zahlen, um bestimmte Bauelemente zu bekommen«.
»Was bisher schwer verfügbar war, ist nun wieder erhältlich«, pflichtet Kocevar bei, »aber es gibt immer die goldene Schraube!« Neben den üblichen Übeltätern wie MOSFETs und ICs gäbe es vereinzelt auch noch Probleme mit Kondensatoren. »Aber prinzipiell lässt sich festhalten: Die Lieferzeiten gehen langsam runter, aber die Preise bleiben hoch.« Zudem kommt man auch bei Autronic Steuer- und Regeltechnik nach wie vor nicht ohne Brokerkäufe aus.
»Es gibt nach wie vor Halbleiterhersteller, die haben ihre ganz eigene Philosophie, was die Belieferung betrifft«, fasst Püthe seine Erfahrungen der letzten drei Jahre zusammen. So gäbe es nach wie vor Hersteller, die sich dafür bezahlen lassen nachzusehen, ob sie in der Lage wären, ein bestimmtes Produkt zu einem bestimmten Zeitpunkt zu liefern. »Man bezahlt dann für diese Auskunft, ohne eine einzige Bestellung abgegeben zu haben.« Als entspannt würde er darum die Versorgungs- und Liefersituation aktuell noch nicht bezeichnen.
Was Fischer ärgert, ist, dass viele ICs im Laufe der Pandemie abgekündigt wurden, »das ist umso ärgerlicher, als wir uns um Ersatz für unsere laufenden Designs kümmern müssen«. Dass MOSFETs nach wie vor ein Problem sind, regt ihn dagegen deutlich weniger auf. Über alles betrachtet sei die Versorgungssituation seit Beginn des Jahres besser geworden, »das zeigt auch der Blick auf die Verfügbarkeits-Indizes der verschiedenen Bauteile an«.
Hübner, der lange Zeit in der Halbleiterbranche tätig war, gibt zu, dass die Halbleiterhersteller ein sehr exponiertes Ziel für die Unzufriedenheit der Stromversorgungshersteller seien. Angesichts der Investitionsvolumina in der Halbleiterbranche stelle man sich dort schlicht die Frage, womit der höchste Return on Investment erzielbar sei. Das seien häufig nicht die Bauteile, die in der Leistungselektronik zum Einsatz kämen. Er verweist aber auch darauf, »dass es andere Bauteile gibt wie etwa Wickelgüter, die uns auch Probleme machen«. Viele davon seien individuell gestaltet, »und es gibt nur wenige Hersteller, die sie in hohen Stückzahlen produzieren können«. Dass die Mehrzahl davon in China beheimatet ist, macht die Sache auch nicht leichter.
Der Unterschied zwischen Halbleitern und Wickelgütern liegt für Heinemann aber darin, »dass die Zyklen, bis die Produktion erhöht werden kann, bei Halbleitern deutlich länger ist als bei Wickelgütern«. Die Abhängigkeit von den Halbleitern wiege daher schwerer. Und die Abhängigkeit bei den Wickelgütern habe keine strategische Komponente, wendet Bier ein. Wenn Europa die Ansiedlung von Halbleiterwerken in Europa subventioniere, so Bier, »dann müssen wir darauf Einfluss nehmen, dass hier auch die Halbleiter produziert werden, die wir benötigen, sonst laufen wir in der nächsten Allokation wieder genau in dieselben Probleme«.
Die Auswirkungen der Abhängigkeiten im Halbleiterbereich seien heute schon erkennbar. Setze ich nun den chinesischen, den japanischen oder den amerikanischen IC ein?« Von dieser Entscheidung hängt es im Zweifelsfall ab, in welche Weltregion in ein Produkt verkaufen kann oder nicht. »Unabhängigkeit durch eine Technologie, die wir hier in Europa vor Ort haben, wäre da schon nicht ganz unwesentlich«, so Bier. »Um das zu erreichen, müssen wir uns als Branche aber an entsprechender Stelle Gehör verschaffen!«