Ein gutes Datenblatt liefert für Bernhard Erdl, Gründer und CEO der Puls-Gruppe, dem Anwender nicht nur eine möglichst große Zahl von Daten, es macht auch deutlich, unter welchen Rahmenbedingungen die angegebenen Werte gelten – ein Aspekt, der leider häufig untergeht.
Markt&Technik: Ihre Keynote am zweiten Tag der Battery&Power World lautet: Datenblätter – Dichtung und Wahrheit. Sie implizieren damit, dass Datenblätter nicht immer aussagekräftige Daten enthalten. Eine Entwicklung, die sich in den letzten Jahren verstärkt hat?
Bernhard Erdl: Ja, ich würde das als eine Entwicklung kennzeichnen, die sich in den letzten Jahren verschärft hat, Stichwort: Specsmanship. Es wird so spezifiziert, dass es gut aussieht. Das mag zum einen dem Wettbewerbsdruck geschuldet sein, hat vielleicht aber auch damit zu tun, dass immer mehr Datenblätter datenbankgeneriert sind. Und Datenbanken »denken« eben anders als Menschen. Das Resultat: mangelnde Aussagefähigkeit. Häufig ist nur im Kleingedruckten zu finden, unter welchen Bedingungen die angegebenen Werte etwa hinsichtlich Temperatur gelten, ob es sich um typische Werte, Maximal- oder Minimalwerte handelt.
Datenblätter sollen eine Hilfestellung bei der Auswahl und beim Einsatz von Stromversorgungen bieten. Letztlich kommt es damit auf die Erfahrung des Anwenders an, diese »optimierten« Datenblätter richtig zu deuten?
Ein vollständiges und aussagekräftiges Datenblatt ist ein hervorragendes Schulungsmittel! Wenn es den jeweiligen Sachverhalt genau beschreibt, kann ich als Anwender entscheiden, ob das für mich relevant ist oder nicht. Bei welcher Temperatur, bei welcher Eingangsspannung gelten die angegebenen Werte? Wenn das Datenblatt keine genaue Beschreibung liefert, müsste der Anwender ein ziemlich umfassendes Hintergrundwissen haben, um das für seine Applikation Wesentliche aus den Daten herauszulesen.
Eine der am häufigsten falsch verstandenen Angaben ist sicherlich die MTBF. Was ist sie auf keinen Fall, und welche Rahmenbedingungen beeinflussen die MTBF massiv?
Auf keinen Fall ist die MTBF eine Lebensdauerangabe! Die MTBF hat nichts mit Verschleiß zu tun. Die MTBF ist eine Angabe zur Ausfallrate. Das Problem ist, dass die Angabe in Stunden erfolgt, was viele zu den eingangs erwähnten Fehlinterpretationen verleitet. Einer der größten Einflussfaktoren auf die MTBF ist natürlich die Temperatur. Es kommt entscheidend darauf an, unter welchen Rahmenbedingungen die Stromversorgung betrieben wird. Wird sie am Tag nur ein paar Mal benötigt oder ist sie im 24/7-Einsatz das komplette Jahr über? Und, ganz wichtig: MTBF-Berechnungen basieren auf Erfahrungswerten, sind also nur Annäherungen.
Neben der Temperatur spielt auch die Frage, welche Norm ich zur Ermittlung der MTBF heranziehe, eine große Rolle. Zur Wahl stehen da DIN EN/IEC 61700, MIL-HDBK-217, die Siemens-Norm SN 29500 oder Tecordia SR-332.
Die verschiedenen Normen verwenden verschiedene Kataloge und kommen deshalb auch zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Ohne eine Angabe der zugrunde gelegten Norm geht der Wert einer Spezifikation natürlich gegen Null.
Was sind nach Ihrer Erfahrung weitere beliebte Punkte, die bei den Angaben in Datenblättern mit Vorsicht zu genießen sind?
Natürlich der Wirkungsgrad! Jeder möchte da einen möglichst hohen Wirkungsgrad angeben. Häufig wird dann ein Maximalwert »von bis zu …« angegeben; als Anwender würde mich aber im Allgemeinen der Minimalwert mehr interessieren. Darüber hinaus wäre interessant, bei welcher Netzspannung und welcher Last der angegebene Wirkungsgrad gilt. Ein anderer Punkt, der oftmals sehr ungenau angeben wird, ist die Hold-up-Time. Häufig ist da von »typisch« die Rede, als Anwender würde mich aber vor allem interessieren, wie lange die minimale Hold-up-Time ist.
Bisher sprachen wir über Datenblatt-Angaben über das Gesamtgerät. Ist es nach Ihrer Einschätzung zielführend, dass der Anwender tiefer einsteigt und sich mit einzelnen, in der Stromversorgung eingesetzten kritischen Bauelementen auseinandersetzt? Und auf diese Weise die Angaben für das Gesamtgerät hinterfragt?
Nein, das halte ich nicht für realistisch. Eine Stromversorgung ist nicht nur die Summe aller Bauteileigenschaften. Das wird zu komplex, dazu müsste der Anwender wissen, wie die Bauteile in der Schaltung betrieben werden, mit welchen Sicherheitsreserven gearbeitet wird. Nein, ein Datenblatt, das ein Produkt gut beschreibt, ist völlig ausreichend, tiefer muss ein Interessent nicht einsteigen!
Wie genau sind die Angaben zum Belastungsprofil einer Stromversorgung Ihrer Erfahrung nach? Wird da nur ein Sweetspot betrachtet? Oder gehen auch ungünstige Belastungszustände in die Datenblätter ein?
Ich würde etwa eine Kurvenschar immer Einzelwerten gegenüber bevorzugen. Ich muss dem Anwender auch hier eine möglichst große Anzahl von Daten geben, damit er anhand derer abschätzen kann, ob das Gerät nun für seine Anwendung geeignet ist oder nicht.
Für wie aussagekräftig halten Sie die Angaben zur Einbauart in Datenblättern? Wird darauf in Datenblättern ausreichend eingegangen?
Da kann es beliebig komplex werden, schließlich gibt es keine Standardeinbauart für eine Stromversorgung. Bei Konvektionskühlung gibt es die verschiedensten Einflussfaktoren, und ich bin eigentlich noch nie auf einen Käufer getroffen, der mit einem Anemometer die Konvektionsbedingungen in seiner Applikation ausgemessen hat. Sie können das auch auf DIN-Schienengeräte ausdehnen und die Frage stellen, wie viel Platz muss zwischen den einzelnen Geräten sein, damit sich Luftkonvektion überhaupt ausbilden kann? Letztlich läuft das dann auf ein Beratungsgespräch hinaus, ein Datenblatt kann hier nur die Basics aufzeigen.
Abschließend: Auf welche Punkte sollte der Käufer im Datenblatt besonders achten, und wo ist auf jeden Fall der Blick ins Kleingedruckte angebracht?
Ganz ehrlich? Im Kleingedruckten steht häufig das Interessanteste! Da werden häufig Einschränkungen genannt oder die Betriebsbedingungen für die im Datenblatt genannten Daten. Ich würde empfehlen, die Datenblätter verschiedener Hersteller zu vergleichen, dann fallen einem bereits die deutlichsten Unterschiede auf. Ein kritisches Hinterfragen angegebener Werte ist der beste Schutz vor späterem Ärger. Ein besonderes Augenmerk würde ich auf Zuverlässigkeitsthemen legen. Mein Fazit: Gute Datenblätter helfen Systementwicklern, Überspezifizierungen zu vermeiden und damit Zeit und Kosten zu sparen.