Es gibt kein grüneres Verkehrsmittel als die Schiene. Ob nun auf klassisch elektrifizierten Strecken oder mit alternativen Antrieben wie Wasserstoff oder Batterieantrieb, Bahntechnik-Anbieter sehen sich bestens gerüstet für die Umsetzung der anstehenden Mobilitätswende.
In den kommenden Jahren wird die Schiene im Mittelpunkt der europäischen Verkehrspolitik stehen«, hatte Adina Vălean, EU-Kommissarin für Verkehr, anlässlich der Eröffnung der 13. InnoTrans in Berlin verkündet. Wie diese Pläne in den nächsten Jahren in die Wirklichkeit umgesetzt werden können, dafür bot die Weltleitmesse für Verkehrstechnologien eindrucksvolle Beispiele. So lautet denn auch der Branchentenor auf der Messe: »Wir stehen mit den passenden, skalierbaren Lösungen bereit; jetzt liegt es an Politik und Investoren, diese Pläne auch in die Tat umzusetzen!« Dr. Florian Eck, Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums, brachte es auf diesen Nenner: »Es herrscht Aufbruchstimmung in der Branche. Alle sind einhellig der Meinung, dass wir auf dem richtigen Weg in eine nachhaltige Zukunft sind – Hersteller, Politik, Betreiber und Kunden.«
Wie sehr die Entwicklung in der Bahntechnik in den vier Jahren seit der letzten InnoTrans 2018 fortgeschritten ist, zeigte sich am Beispiel des wasserstoffbetriebenen Personenzugs Coradia iLint von Alstom. Der Personenzug verkehrte während der Messetage zweimal täglich zwischen Berlin-Spandau und Berlin-Ostbahnhof. Batteriebetriebene Züge und solche mit Wasserstoffantrieb wurden zwar schon 2018 als nächster Schritt propagiert, so wie damals auch schon autonom fahrende Züge als das »Next Big Thing« galten, doch laut Dr. Stefan Gutschling, Geschäftsführer Fachverband Elektrobahnen und -fahrzeuge im ZVEI, sei die Branche inzwischen wirklich soweit, auch die entsprechenden Produkte zu liefern. Damit rücke auch die Erreichung einiger europäischer Ziele wie die Reduzierung der CO2-Emissionen in greifbare Nähe, »stellt die Bahn doch beim Thema Dekarbonisierung den größten Hebel dar, um die europäischen CO2-Ziele zu erreichen«.
Auf der InnoTrans wurde das durch verschiedene Beispiele belegt. So zeigte Stadler dort zum ersten Mal den mit Wasserstoff betriebenen Triebzug Flirt H2 für den amerikanischen Personenverkehr. Da in den USA nur wenige Bahnstrecken elektrifiziert sind, kommt Schienenfahrzeugen mit nachhaltigen Antrieben dort eine umso größere Bedeutung zu. Stadler hat bereits 2019 einen Flirt mit Wasserstoffantrieb an einen Kunden in Kalifornien verkauft. Nun unterschrieb Stadler ein Memorandum of Understanding mit der California State Transportation Agency und dem California Department of Transportation über die Lieferung von vier Wasserstoffzügen für Kalifornien. Der zukünftige Vertrag beinhaltet auch die Option für weitere 25 Fahrzeuge.
Neben Alstom und Stadler zeigte auch Siemens Mobility auf der Messe Flagge in Sachen Wasserstoffantrieb und stellte mit dem Mireo Plus H die nächste Generation von Wasserstoffzügen vor, sowie mit dem Mireo Plus B einen Zug mit einem modularen, leistungsfähigen Batteriesystem.
Das Thema Wasserstoff war aber auch an anderer Stelle präsent: So unterzeichneten der polnische Schienenfahrzeughersteller Pesa und der polnische Mineralölkonzern und Tankstellenbetreiber PKN Orlen eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit bei mit Wasserstoff betriebenen Schienenfahrzeugen. Gemeinsam werden sie ein Angebot für Eisenbahnverkehrsunternehmen entwickeln, das die Lieferung von Rollmaterial zusammen mit der Versorgung mit Wasserstoff und Systemen zur Betankung umfasst.
Nachhaltige Mobilität auf der Schiene in Zeiten des Klimawandels, der Digitalisierung und der Automatisierung, dieses Thema zog sich wie ein roter Faden durch die fünf thematischen Segmente der InnoTrans. Das besondere Interesse der Fachbesucher galt dabei vor allem der Schienenverkehrstechnik, der Schienenverkehrsinfrastruktur sowie dem 3,5 km umfassenden Gleis- und Freigelände.
Bei aller Freude über die grundsätzlich gute Stimmung in der Branche darf nicht außer Acht gelassen werden, »wer das alles zahlen soll«, wie es Alain Chapuis, CTO von Duagon, ausdrückt: »Natürlich gibt es viele Initiativen, die jetzt umgesetzt werden, aber die Bahnbetreiber stehen auch vor der grundsätzlichen Frage: Sollen sie ihr Geld in komplett neue Züge stecken oder wäre Retrofit ein passender Zwischenschritt, der zumindest mittelfristig eine Lösung bietet?«
Eine Möglichkeit, die Kosten zu reduzieren, wäre eine verstärkte Standardisierung auch von Komponenten und Subsystemen. An die Stelle proprietärer Produkte würden dann standardisierte, im Bedarfsfall kundenspezifisch anpassbare, modulare Produkte treten. Was auf Komponenten- und Subsystem-Ebene gilt, lässt sich auch auf ganze Züge übertragen. »In der Vergangenheit haben die Zugbetreiber nicht in die Zugarchitektur eingegriffen«, so Chapuis; »das ändert sich nun«. Den Grund sieht er unter anderem in der ständig steigenden Komplexität der Züge; die wenigsten Betreiber seien bereit, für unterschiedliche Zugsysteme jeweils eigenes Wartungspersonal vorzuhalten. »Das technische Wissen, das dazu nötig ist, nimmt eher ständig zu als ab.«