Noch deutet nichts auf einen Einbruch oder auch nur auf eine deutliche Abflachung der Nachfrage im Stromversorgungsbereich hin. Für die Kunden bedeutet das: Die hohen Lieferzeiten haben wohl auch 2023 Bestand, und Preisstabilität wird es aller Voraussicht nach auch im nächsten Jahr nicht geben.
Aktuell geben weder die Umsatzentwicklung noch der Auftragseingang im Stromversorgungsbereich bei vielen Unternehmen einen Hinweis darauf, dass sich zeitnah Lieferzeiten, Komponentenversorgung oder auch Frachtraten ändern könnten. »Bezogen auf den Zeitraum Januar bis September hat sich unser Auftragseingang um 60 Prozent gegenüber dem Vorjahr erhöht«, berichtet Sebastian Fischer, Geschäftsführer der Traco Electronic. »Im selben Zeitraum konnten wir unseren Umsatz zudem um 45 Prozent gegenüber dem Vorjahr steigern.«
»Wir sehen bis jetzt keine elementaren Veränderungen in der Bedarfsplanung unserer Kunden«, gibt Hermann Püthe, Geschäftsführender Gesellschafter der inpotron Schaltnetzteile, zu Protokoll, »was uns aktuell ehrlich gesagt ein wenig positiv überrascht«. Etwas überrascht ist Püthe auch von der weiter ungebrochenen Bereitschaft, Neuprojekte anzustoßen; »entsprechend hoch ist auch der Bestelleingang«. Denn natürlich bekommt der inpotron-Chef in Gesprächen mit Wirtschaftspartnern mit, dass durch die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vielerorts sämtliche Ausgaben neu überdacht werden.
Etwas, das auch Fischer nicht entgangen ist: »Abseits der reinen Zahlen merken wir natürlich in den Gesprächen mit unseren Kunden auch die Unsicherheit und die Anspannung am Markt angesichts der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung.« Schließlich gäbe es kaum jemanden, der nicht mit einer Rezession rechne. »Die Frage ist nur: Wann geht es richtig los, und wie tief wird der Einschnitt?« – »Wir wissen aus unseren Kundengesprächen und den Wirtschaftsnachrichten, dass das Geschäftsklima in den letzten Wochen etwas nachgegeben hat«, bestätigt Gustav Erl, General Manager TDK-Lambda Germany; »es ist aber auch unmöglich, in so kurzen Zeiträumen angemessen zu reagieren«.
Nach Auskunft von Karsten Bier, CEO von Recom, hat sich in den letzten Wochen durchaus etwas verändert, »wir sehen vermehrt Push-outs von Lieferungen«. Die Supply Chain, so seine Sichtweise, »ist nach wie vor gestört, da hat sich noch keine Verbesserung gezeigt«. Auffällig ist für ihn allerdings, dass sich in den letzten Wochen und Monaten die Anfragen nach No-China-Produkten spürbar erhöht haben. Beim Blick auf die erwartete Entwicklung im nächsten Jahr spricht er »von der Fortsetzung der Achterbahnfahrt der jüngsten Vergangenheit«. Bier rechnet für Recom 2023 mit einem moderaten Wachstum des Auftragseingangs. »Allerdings bleiben internationale Handelsbarrieren und die Covid-Politik auch 2023 die größten Risiken für die Entwicklung des internationalen Stromversorgungsmarktes.«
Püthe erwartet aufgrund der bisherigen Rückmeldungen seiner Kunden »auch 2023 weiteres Wachstum, das allerdings weniger stark ausfallen wird als in diesem Jahr«. Er begründet das mit der weiter fortschreitenden Digitalisierung, die sich nicht aufhalten lasse, und der Tatsache, dass der Mangel an Fachkräften weiter zur Automation treibe. »Ich gehe davon aus, dass die Gebäudeinstallation mit Systemtechnik auch 2023 weiter wachsen wird; mit einem Einbruch in diesem Bereich rechne ich erst Ende nächsten Jahres.«
Bei auch 2023 voraussichtlich weiter volatiler Marktlage äußert sich Erl optimistisch, was die Geschäftsentwicklung im nächsten Jahr angeht: »Letztlich erwarten wir eine Normalisierung des Marktes; getrieben wird diese Entwicklung durch die Verbesserung von Verfügbarkeiten und sich in diesem Zusammenhang auch wieder reduzierenden Lieferzeiten.« Dass TDK-Lambda von dieser Entwicklung auf dem europäischen Markt stark profitieren wird, begründet er mit der »starken und vielseitigen Produktpalette, die wir zum Teil auch hier auf der electronica durch eine Reihe von Neuvorstellungen weiter ausbauen werden«. Für ihn die Basis für eine starke Positionierung und weiteres gutes Wachstum für TDK-Lambda in bekannten und neuen Märkten.
Dass man in der aktuellen Situation auch im Bereich der Stromversorgungs-Distribution noch weit von der Normalität entfernt ist, zeigen folgende Statements: »Wir sind noch weit, weit weg von Normal«, versichert etwa Frank Stocker, Field Application Engineer Power Supplies bei Schukat electronic. Konkret spricht er von einer Unterdeckung des Lagers im Stromversorgungsbereich von 30 bis 40 Prozent. »Es ist einfach so, dass wir nach wie vor nicht genügend Ware bekommen, um unsere Lager wieder zu 100 Prozent aufzufüllen.« Dass sich auch unter dem Eindruck der sich in den letzten Wochen verändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen daran in Kürze etwas ändern wird, glaubt er nicht; »wie das 2023/24 weitergehen wird, müssen wir erst noch sehen«.
Bei Stromversorgungs-Distributoren, die sich ausschließlich dem Projektgeschäft widmen, sieht es etwas anders aus. »Wir hatten auch in der Vergangenheit eigentlich kein klassisches Lager«, erklärt Andreas Hanausek, Product Marketing & Applications Active Components bei Codico. »Wir hatten ein kleines Lager, um Muster zu verkaufen oder auch mal den Bau von Kleinserien zu ermöglichen.« Vielmehr sei ihr Hauptgeschäft das Projektgeschäft, bei dem Codico als Logistikpartner zwischen Hersteller und Kunde für einen möglichst reibungslosen Warenverkehr zwischen den beiden Seiten sorgt. Natürlich kann auch über diesen Kanal nur das reibungslos geliefert werden, was verfügbar ist.
»Ein freies Lager an Netzteilen haben auch wir in der Vergangenheit kaum gehabt«, bestätigt denn auch Jens Egbers, Manager FAE-Team bei MEV Elektronik Service. Ein klassisches Lager habe man nur für die konfigurierbaren Stromversorgungen unterhalten, die MEV vertreibt. Aber auch dieses Lager ist inzwischen leer – »was reinkommt und was wir selbst konfigurieren, ist nach einer Woche auch schon wieder verbaut und weg beim Kunden!«.
Doch die Stromversorgungs-Distribution kämpft nicht nur mit deutlich reduzierten Lagerbeständen, sie müssen sich auch mit einem veränderten Verhalten auf der Kundenseite auseinandersetzen. »Zwar sehen wir, dass sich die Situation durchaus langsam verbessert«, beschreibt Thomas Merkel, Product Marketing Manager bei Hy-Line Power Components, die Veränderung, »aber ein Großteil der Ressourcen bei den Kunden ist immer noch dadurch gebunden, dass sichergestellt werden muss, dass die Produktion läuft«. Für den Stromversorgungs-Distributor bedeutet das, dass er immer häufiger als Problemlöser in Projekte einsteigt, indem er den Kunden kurzfristig Alternativen aufzeigt. »Ich will nicht sagen, dass wir uns vom Design-in- zum Redesign-Partner entwickelt haben, aber ganz von der Hand zu weisen ist diese Entwicklung nicht.«
»Wir sind inzwischen viel mehr im Reaktionsmodus als früher«, hat auch Egbers den Eindruck. »Weil es eben massive Probleme mit den Bestandsprojekten gibt, kommt bei den vielen Gesprächen, die wir dazu führen, immer wieder vor, dass das neue Projekt, über das man mit dem Kunden eigentlich sprechen wollte, dann eben auf der Strecke bleibt.« Es gäbe einfach zu viele separate Baustellen, und statt wirklich neue Projekte aufzutun, verstärke man eben seine Bemühungen um Redesigns.
Unter dem Eindruck der Verwerfungen in den Lieferketten arbeiten viele Kunden heute mit deutlich längeren Planungshorizonten als früher, schließlich wurden sie dazu auch von den Stromversorgungsspezialisten spätestens zu Beginn der Corona-Pandemie aufgefordert. So verwundert es letztlich auch nicht, dass Hersteller und Distributoren im Stromversorgungsbereich heute Planungshorizonte ihrer Kunden nennen, die sich in etwa zwischen ein und zwei Jahren bewegen. Das hat dazu geführt, dass sowohl Stromversorgungs-Hersteller als auch -Distributoren über prall gefüllte Auftragsbücher verfügen.
Angesichts der sich mit Macht verändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stellt sich aber letztlich die Frage, wie gesund und belastungsfähig dieses Auftragsniveau ist. »Wenn der Einbruch wie von vielen erwartet wirklich kommt«, so Egbers, »wird es wirklich spannend, denn es gibt durchaus Kunden, die bis 2024 vorgeplant und bestellt haben«.