Wie eine schlechte Situation noch schlechter werden kann, zeigt sich derzeit am deutschen Leistungshalbleitermarkt. Gegenüber dem Herbst 2021 sind die Lieferzeiten noch einmal gestiegen und liegen nun zwischen 26 und 104 Wochen.
Das erste Quartal 2022 war weiterhin von Lieferengpässen und -verschiebungen geprägt«, beschreibt Jochen Krause, Geschäftsführer von Hy-Line Power Components, die Entwicklung der ersten drei Monate dieses Jahres auf dem deutschen Leistungshalbleiter-Markt. Und er ergänzt: »Aufgrund von Lieferzeiten und Verfügbarkeit konnte der hohe Auftragseingang aus dem zweiten Halbjahr 2021 bisher noch nicht in Umsatz umgewandelt werden.«
»An der komplexen Marktsituation hat sich im 1. Quartal 2022 nichts verändert«, bestätigt auch Harald Kasteleiner, Business Unit Manager Analog&Power bei Glyn. »Von einer Entspannung der Lieferzeiten sind wir trotz stetiger Produktionserweiterungen unserer Hersteller noch ein ganzes Stück entfernt.« – »In Zusammenarbeit mit unseren Herstellern sind wir oftmals in der Lage, unseren Kunden eine Teilmenge zu liefern und so zumindest die gravierendsten Engpässe abzumildern«, beschreibt Udo Blaga, Power Expert bei Avnet Silica, die Situation der letzten Wochen. Nach seiner Einschätzung dürften die Lieferzeiten auch über das Jahr 2023 hinaus hoch bleiben.
»Das 1. Quartal war im Wesentlichen eine Fortführung des Jahres 2021«, pflichtet Tobias Herrmann, Global Business Development Manager bei Finepower bei, »wobei die Allokation in manchen Produktbereichen die Situation sogar noch etwas verschärft hat«. Aufgrund der Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern kann Finepower bei MOSFETs und Dioden seinen Kunden zum Teil Lieferzeiten zwischen 20 und 25 Wochen anbieten; »teilweise konnten wir sogar Engpässe unserer Kunden innerhalb von acht Wochen auffangen«.
Und wie sieht man die Situation der letzten Monate bei den Leistungshalbleiter-Herstellern selbst? »Wir registrieren weiterhin eine starke Nachfrage, insbesondere in den für Deutschland wichtigen Märkten Automotive und Industrie«, gibt Dr. Dirk Wittorf, Senior Director Strategic Marketing bei Nexperia, seine Beobachtungen wieder. »Wir sind dabei, unsere Produktionskapazitäten in allen Produktbereichen weiter auszubauen, doch durch die anhaltend hohe Nachfrage konnten wir die Lieferzeiten noch nicht nennenswert senken.«
»Das 1. Quartal 2022 hat sich so fortgesetzt, wie 2021 aufgehört hat«, bestätigt auch Thomas Grasshoff, Head of Strategic Marketing bei Semikron. »Wir fordern unsere Kunden deshalb derzeit dazu auf, ihre Bestellungen für 2023 zu platzieren, damit wir Materialbedarfe planen können und mögliche Engpässe frühzeitig abschätzen können.« Aufgrund der Bestellsituation, so fügt er hinzu, »gehen die Lieferzeiten eher nach oben«.
»Aufgrund der weiterhin eingeschränkten Lieferkette und guter Nachfrage bleibt der Markt auch weiterhin stark«, berichtet Alastair Whitehead, Vice President Business Marketing Semiconductors bei Vishay; »wir verzeichnen weiterhin eine große Nachfrage nach MOSMETs und eine gute Auftragslage«. Und ergänzt: »Die Vorlaufzeiten stehen weiterhin unter Druck und haben sich verlängert.«
»Wir sind im 1. Quartal 2022 nochmals deutlich gewachsen«, erläutert Stefan Staeding, Managing Director EMEA bei Monolithic Power Systems. »Damit setzt sich das signifikante Wachstum des letzten Jahres fort, das durch eine Erweiterung der Kapazitäten möglich wurde.« Abhängig vom Produkt bewegen sich die Lieferzeiten bei Monolithic Power Systems nach seinen Worten derzeit zwischen fünf und zwölf Monate.
»Unsere Book-to-Bill Ratio ist unverändert hoch und könnte noch deutlich höher sein«, versichert Bernd Riemann, Senior Field Application Engineer Europe bei Alpha and Omega Semiconductor, »wenn wir alle Aufträge annehmen könnten!« Allerdings gibt er auch zu, »dass in Allokationszeiten eine Book-to-Bill Ratio eher bedeutungslos ist«. Auch in seinem Fall liegen die aktuellen Lieferzeiten für MOSFETs und IGBTs zwischen 36 und 50 Wochen; »lediglich bei TVS-Dioden liegen unsere Standardlieferzeiten darunter«.
Auch beim SiC-Spezialisten Wolfspeed kreisen die größten Herausforderungen der letzten Monate um die Themen Fertigungskapazität und Lieferzeiten. Alejandro Esquivel, EMEA Power Module Technical Marketing Manager Automotive, versichert, dass die Lieferzeiten seit dem Vorjahr nicht gestiegen sind: »Angesichts der Tatsache, dass der Bedarf schneller gestiegen ist, als wir das erwartet haben, erweisen sich unsere fortlaufenden massiven Erweiterungen der Fertigungskapazitäten als genau die richtige Antwort auf die Marktentwicklung.«
»Speziell in Europa haben wir im 1. Quartal dieses Jahres bereits das Gesamtpandemiejahr 2020 übertroffen«, freut sich Marcus Lippert, Business Development Manager bei StarPower Europe. Er ist zuversichtlich, dass es StarPower im Gesamtjahr 2022 gelingen wird, das sehr gute Ergebnis von 2021 noch einmal zu verdoppeln. »Auch wenn unsere Lieferzeiten gestiegen sind, bewegen wir uns aktuell noch für Standardprodukte in einem Fenster von 16 bis 20 Wochen.« Die Europaniederlassung des chinesischen Herstellers gewinnt aktuell aufgrund der Knappheit am Markt sehr viel Neugeschäft, wie Lippert versichert.
Doch worauf sind die anhaltenden Schwierigkeiten in der Leistungshalbleiter-Produktion zurückzuführen? »Aus meiner Sicht finden sich die größten Herausforderungen derzeit im Bereich der Front-End-Kapazitäten, bei den Wafern und Störungen der Produktionsketten, die ja ein weltweit vernetztes System darstellen«, gibt Florian Freund, Director Engineering Central Europe bei Arrow Electronics, seine Einschätzung wieder.
Doch was sind das für konkrete Störungen und Probleme?
»Die Schwierigkeiten liegen derzeit vielerorts darin, dass geplante Erweiterungen nur verzögert stattfinden können, da sich die Liefertermine für Fertigungs-Equipment sehr weit nach hinten verschoben haben«, meint Riemann. Staeding verweist auf die Probleme im Bereich der Wafer-Verfügbarkeit. Auch Whitehead sieht das Hauptproblem bei den Wafer-Fertigungskapazitäten: »Sie sind nach wie vor sehr knapp und wirken sich in vielen Produktbereichen am stärksten aus.« Zudem könne die Logistik kurzfristig durch Covid-Schließungen oder -Beschränkungen beeinträchtigt werden, »das gilt sowohl beim internen Prozess als auch beim externen Versand von Fertigwaren«.