Entscheidet sich die EU-Kommission für die Umsetzung des »EU Chip Act«, werden in den nächsten Jahren wohl mehr als 30 Milliarden Euro in Europa in den Bau neuer Halbleiter-Fabs investiert.
Am 8. Februar 2022 will die EU-Kommission mit dem »EU Chips Act« ein neues Gesetz zur Förderung von Europas Chip-Industrie vorlegen. Mehr als 30 Milliarden Euro sollen bereitgestellt werden, um hochmoderne Halbleiter-Fabs in Europa anzusiedeln sowie Forschungseinrichtungen und innovative Firmen zu stärken. So soll der Produktionsanteil der Halbleiter, die in Europa gefertigt werden, von derzeit rund 10 Prozent auf 20 Prozent bis 2030 ansteigen.
Doch wie ist dieses Vorhaben im globalen Vergleich einzuschätzen? Frank Bösenberg, Managing Director von Silicon Saxony, sieht einen höheren Finanzierungsbedarf: »Global betrachtet werden Investitionen in die Halbleiterindustrie mit Kofinanzierungen zwischen 20 und 40 Prozent unterstützt. Um auf dieser Ebene wettbewerbsfähig zu bleiben, sollte sich also auch die Kofinanzierung auf europäischem Gebiet in diesem Rahmen bewegen.« Eine erste Orientierung, welche Gesamtsumme die EU zur Erreichung ihres Plans in die Hand nehmen müsste, liefert für Bösenberg der US Chip Act: »Die dort genannten mehr als 50 Milliarden Dollar bieten eine erste Orientierung für die auch für die EU notwendige Größenordnung.«
Dabei scheint die Ausgangslage in Europa auf den ersten Blick gar nicht so schlecht zu sein, zumindest von der absoluten Zahl der Fabs her. Laut Christian Dieseldorff, Senior Analyst des Market Data Teams der SEMI, gab es Ende 2021 in Europa (ohne den Nahen Osten) 151 Halbleiterfabriken. 40 davon befinden sich in Deutschland. In allen Fällen, so Dieseldorff, handelt es sich um Volumen-Fabs; F&E-Anlagen sowie Pilotprojekte wurden nicht mitgezählt: »Zu beachten ist, dass diese Zahl auch EPI-Fabs sowie Fabs in Osteuropa, der Türkei und Russland einschließt, von denen einige für militärische Zwecke genutzt werden und über die nur wenige Informationen verfügbar sind.«
Knapp zwei Drittel dieser 151 Fabs arbeiten mit Wafer-Scheiben, die einen Durchmesser von weniger als 200 mm aufweisen. »In 43 dieser Fabs werden 200-mm-Wafer prozessiert und neun sind 300-mm-Fabs«, so Dieseldorff. »In acht Fabs wird mit Prozessen gearbeitet, die eine Strukturbreite von 65 nm und darunter nutzen; die derzeit fortschrittlichste Geometrie ist 14 nm. Der ganze Rest nutzt noch ältere Prozesse.« Und was produzieren sie damit? In 42 dieser Fabs, so die SEMI-Analyse, werden diskrete Bauelemente hergestellt. Im Allgemeinen werden diese Fabs für eine Kombination von diskreten/Power-, diskreten/optoelektronischen Komponenten oder diskreten/LEDs genutzt. Daneben machen Fabriken, die sich auf Analog, Foundry-Dienstleistungen sowie MEMS & Sensoren konzentrieren, die große Mehrheit aus.
Fertigungstechnologien bis zu Strukturbreiten von 2 nm und darunter sollen in den nächsten Jahren internationale Player wie Intel, TSMC oder Samsung nach Europa bringen. Geschehen soll das im Rahmen von IPCEI-Projekten (Important Projects of Common European Interest). Dafür laufen derzeit die Eingabefristen. Orientiert man sich an dem Verfahren zur Ansiedlung von Batteriefertigungen in Europa, darf man davon ausgehen, dass dieses Verfahren wohl ein bis eineinhalb Jahre dauern dürfte. Setzt man voraus, dass sich die Ansiedlung neuer Fabs mindestens in der Größe bewegt wie zuletzt bei Infineons neuem 300-mm-Werk in Villach, dann vergehen zwischen Bekanntgabe der Investition und dem Beginn der Produktion fast dreieinhalb Jahre. Zusätzliche Investitionen anlässlich der aktuellen Engpässe auf dem Halbleitermarkt sorgten für einen früheren Produktionsbeginn, sonst wären es wohl eher vier Jahre geworden.
Vor diesem Hintergrund ist wohl davon auszugehen, dass neue Giga-Fabs, die in Europa errichtet werden sollen, frühestens Ende 2025, Anfang 2026 in Produktion gehen werden. Wie realistisch angesichts dieser Tatsache das Erreichen eines weltweiten Produktionsanteils von 20 Prozent ist, bleibt dahingestellt. In der aktuellen regionalen Planung der bereits in Europa und in Deutschland tätigen Halbleiterhersteller spielen die jüngsten Planungen der EU noch keine Rolle. So fiel die Entscheidung von Vishay, am Standort Itzehoe in diesem Jahr mit dem Bau einer 300-mm-Fab zu beginnen, nach den Worten von CEO und President Dr. Gerald Paul unabhängig von den EU-Plänen: »Unsere Motivation liegt in der verbesserten Versorgung unserer europäischen Automotive-Kunden mit MOSFETs.« Gespräche über staatliche Zuschüsse werden derzeit unter anderem mit Schleswig-Holstein geführt. Eine Entscheidung, so Dr. Paul, sei aktuell aber noch nicht gefallen.
Entscheidungen über den Bau neuer Fabs in Europa bzw. Deutschland werden bei Infineon Technologies ab dem 1. April dieses Jahres die Sache des neuen CEO Jochen Hanebeck sein. Erste Entscheidungen zum Ausbau der Produktionskapazitäten werden aber voraussichtlich nicht Europa betreffen.
STMicroelectronics will 2022 zwischen 3,4 und 3,6 Milliarden Dollar in Kapazitätserweiterungen und Mix-Änderungen bestehender Fabs investieren, vor allem in die Wafer Fabs in Crolles, Singapur und Catania. Auf den Ausbau der bestehenden Kapazitäten will sich auch Texas Instruments in Freising nach Auskunft von Andreas Schwaiger, Vice President und Geschäftsführer der TI-Niederlassung in Deutschland, konzentrieren: »Wir investieren in neue Technologien zur Automatisierung, in Prozessmodernisierung und selektive Kapazitätserweiterungen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.«
Ganz ähnlich die Situation in Hamburg bei Nexperia: Dort wird die Umstellung auf 200-mm-Fertigungslinien vorangetrieben. Diese Investitionen erfolgen aber, wie Nexperia betont, unabhängig von EU-Maßnahmen und stehen im Einklang mit der Strategie des Unternehmens, global zu wachsen. Die grundsätzliche Bereitschaft für den Bau einer SiC-Fab in Europa, vielleicht auch in Deutschland, hatte Gregg Lowe, CEO von Wolfspeed, Ende letzten Jahres im Interview betont: »Eine Wofspeed Fab in Europa ist absolut realistisch.« Für die Finanzierung dieser 200-mm-SiC-Fab dürften dann aller Voraussicht nach die Möglichkeiten des neuen »EU Chips Act« gelten.
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