Interview mit Thomas Foj, Avnet Silica

»Wir agieren als Architekt zwischen Technologie und Applikation«

29. Juli 2025, 8:00 Uhr | Karin Zühlke
Thomas Foj, Avnet Silica: »Wir sind aktuell in einem dynamischen Umfeld, in dem Investitionen – sei es von Kunden oder Herstellern – wohlüberlegt sein müssen. Die Nachfrage zieht nicht so stark an wie von vielen Analysten vorhergesagt, gleichzeitig sind Investitionen selektiver geworden.«
© Avnet Silica

Avnet Silica will seine Position als Lösungsanbieter im industriellen Umfeld weiter ausbauen. Der Avnet Silica Trendliner dient dabei u. a als Impulsgeber für Kunden und Partner und gibt einen kompakten Überblick zu Lieferzeiten und Marktentwicklungen. Details erläutert Thomas Foj.

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Thomas Foj ist Vice President Supplier Management, Solutions & Digitalization bei Avnet Silica.

Markt&Technik: Ein Blick in Ihren aktuellen Avnet Silica Trendliner zeigt: Sie wollen das Momentum im industriellen Umfeld – insbesondere bei Robotik und Cobots – gezielt nutzen. Wie setzen Sie das konkret um?

Thomas Foj: Für uns ist das nicht nur ein technologischer Trend, sondern auch ein klarer Enabler. Darauf richten wir unsere Geschäftsmodelle und Differenzierung aus – besonders im industriellen Bereich.

Wenn wir über Robotik und Cobots sprechen, also über Roboter generell, geht es für uns zunächst um Technologiefokus und Partnernetzwerke. Wir arbeiten eng mit unseren Halbleiterherstellern zusammen. In diesem Rahmen bieten wir leistungsfähige MCUs, KI-fähige Sensorik und komplette Edge-AI-Plattformen für Robotikanwendungen an.

Unser Ziel ist es, nicht nur einzelne Komponenten bereitzustellen, sondern komplette, systemfähige Lösungen. Dazu gehören auch Machine-Learning-Stacks, Referenzdesigns und Tools. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Anwendungsberatung – gerade im Bereich Cobots.

Hier spielt die Echtzeitverarbeitung von Sensordaten eine zentrale Rolle, insbesondere in Bezug auf Sicherheitsfunktionen. Unsere Applikationsingenieure sind gezielt auf diese Use Cases geschult, um Kunden nicht nur technisch, sondern auch hinsichtlich Normen und funktionaler Sicherheit zu unterstützen. Kurz gesagt: Wir verstehen uns als Architekt zwischen Technologie und Anwendung – und entwickeln gemeinsam mit unseren Kunden smarte und sichere Robotiklösungen.

Die Nachfrage nach AI-Chips wächst deutlich. Welche Segmente – etwa GPUs oder spezialisierte Prozessoren – sehen Sie als besonders chancenreich und warum?

Wir beobachten die steigende Nachfrage nach KI-fähigen Chips sehr genau. Der Markt wächst stark – sowohl im High Performance Computing als auch im Embedded- und Edge-Bereich. Für uns als Distributor mit Fokus auf industrielle Anwendungen ergeben sich hier besonders interessante Chancen.

Ein Beispiel: Anwendungen wie industrielle Bildverarbeitung, Qualitätskontrolle oder Predictive Maintenance bieten großes Potenzial. Effiziente Chips mit integrierten KI-Beschleunigern sind hier entscheidend. Sie ermöglichen es, Intelligenz lokal, ohne Latenz und unabhängig von der Cloud, direkt beim Kunden einzusetzen – vor allem in der Fabrikautomatisierung.

Bei High-End-Bauteilen im industriellen Kontext sehen wir klassische GPUs eher im Rechenzentrumsumfeld. Allerdings nehmen auch CPU-basierte, KI-fähige Anwendungen zu – etwa bei digitalen Zwillingen, Simulation und Training. In diesen Bereichen unterstützen wir mit Embedded-Lösungen, die Technologie und Infrastruktur kombinieren.

Ein weiteres Thema im Trendliner: Lieferketten, Preise und Verfügbarkeiten. Sie zeigen, dass Speicherkomponenten wieder knapp werden und Preise steigen. Wie reagieren Sie darauf? Gibt es Maßnahmen wie Rahmenverträge oder Preisabsicherungen – sowohl für Kunden als auch gegenüber Herstellern?

Die erneute Allokation bei Speicherkomponenten unterstreicht ihre aktuelle Bedeutung. Umso wichtiger ist es, ein vorausschauendes Supply-Chain-Management zu betreiben – mit dem Ziel, unseren Kunden Verlässlichkeit zu bieten. Ohne diese Verlässlichkeit können sie ihre eigene Lieferkette kaum sinnvoll planen.

Konkret setzen wir auf langfristige Forecast-Planung und Rahmenverträge. Gemeinsam mit unseren Kunden analysieren wir Forecast-Trends und treten frühzeitig mit den Herstellern in Kontakt, um Liefermengen abzusichern. So schaffen wir bei kritischen Bauteilen – wie aktuell im Memory-Bereich – mehr Planungssicherheit.

Zudem bieten wir Preisabsicherungsmodelle an. Wo es wirtschaftlich sinnvoll ist, vereinbaren wir feste Preise über längere Zeiträume, zum Beispiel quartalsweise oder über individuelle Kontingente. Für strategisch wichtige Projekte legen wir gezielt Lagerbestände an, um kurzfristige Schwankungen abzufedern.

Unser Ziel ist es, nicht nur auf Entwicklungen zu reagieren, sondern die Lieferkette gemeinsam mit Kunden und Herstellern aktiv zu gestalten – mit mehr Transparenz und besserem Risikomanagement.

Auffällig ist: Hochleistungsprodukte bleiben stark gefragt, aber die Bestelleingänge sind verhalten. Wie erklären Sie sich das – und welche Auswirkungen hat das auf Ihre Prognosen?

Wir erleben aktuell ein interessantes Paradox. Die strukturelle Nachfrage nach Hochleistungsprodukten ist ungebrochen. Gleichzeitig zeigen sich Kunden bei Bestellungen deutlich zurückhaltender als früher.

Das liegt unter anderem daran, dass viele Kunden nach der massiven Beschaffungswelle der letzten Jahre – ausgelöst durch Allokationen – nun ihre Lagerbestände bereinigen. Dieser Prozess ist weiterhin spürbar. Hinzu kommen geopolitische Spannungen, volatile Endmärkte und inflationsbedingte Investitionszurückhaltung. Viele Orders erfolgen daher kurzfristig und weniger kontinuierlich. Außerdem beobachten wir längere Entscheidungszyklen bei komplexen Projekten – insbesondere im High-End-Bereich, etwa bei AI-Edge-Plattformen mit leistungsfähigen MCUs oder FPGAs. Kunden prüfen intensiver, ob sich ein Design technologisch und wirtschaftlich lohnt, bevor sie in größere Volumina gehen.

Wir setzen deshalb auf einen differenzierten Ansatz: Bei Standardprodukten agieren wir selektiv und kurzfristig. Bei strategischen High-Performance-Komponenten – etwa in Schlüsselprojekten bei Automotive, Robotik oder KI – sichern wir proaktiv Kapazitäten und stimmen uns eng mit Herstellern und Kunden ab. So schaffen wir ein Gleichgewicht zwischen Verfügbarkeit und Planungssicherheit.

[»Europa will sich unabhängiger und strategisch sicherer aufstellen«

Der EMEA-Markt, insbesondere der deutschsprachige Raum, soll laut dem Avnet Silica Trendliner 2025 um 3,2 % wachsen. Welche Rolle spielt dieser Markt in Ihrer regionalen Strategie – und welche Sektoren, wie früher etwa Automotive, treiben das Wachstum?

Unsere regionale Strategie konzentriert sich auf Segmente wie Smart City und Smart Industry. Hier im deutschsprachigen Raum betrifft das konkret Anwendungen wie Automatisierung, Robotik, Steuerungstechnik, Asset Tracking oder Energy Management – also Bereiche, die in Europa stark nachgefragt sind.

Dabei bieten wir nicht nur Komponenten, sondern komplette Lösungsarchitekturen, inklusive Softwarelösungen und Systemintegration an. Sie hatten Automotive angesprochen – ja, die Dynamik ist dort weiter vorhanden, auch wenn sie nicht mehr den Schwung früherer Jahre hat. Trotzdem wächst der Bereich, getrieben durch den steigenden Halbleiteranteil in Fahrzeugen. Ein starker Treiber ist hier insbesondere die Elektromobilität, die über das klassische Auto hinaus auch im Bereich Transportation zunehmend Einfluss gewinnt.

Wie reagieren Sie auf den Trend zur geopolitisch bedingten Dezentralisierung von Halbleiterfertigung – etwa durch lokale Produktionskapazitäten in Europa? Bringt das Vorteile oder auch Herausforderungen für Avnet Silica?

Das ist eine sehr gute Frage. Wir sehen darin keinen kurzfristigen Trend, sondern einen langfristigen Paradigmenwechsel – mit dem Ziel, die Versorgungssicherheit in Europa zu stärken. Initiativen wie der EU Chips Act und Investitionen von GlobalFoundries, STMicroelectronics oder Infineon in europäische Werke zeigen klar: Europa will sich unabhängiger und strategisch sicherer aufstellen – gerade bei sicherheitskritischen oder hochspezialisierten Komponenten.

Sobald diese Werke aktiv sind, eröffnet uns das die Möglichkeit, Waren direkt aus der Region zu beziehen. Gleichzeitig sehen wir auch eine Veränderung auf Kundenseite. Vor allem aus Automotive und Industrie hören wir immer häufiger die Nachfrage nach »Europe-based Sources«. Dabei spielen Risikoüberlegungen und ESG-Vorgaben eine große Rolle. Wir reagieren, indem wir Second-Source-fähige Alternativen identifizieren und die Lieferkette transparenter gestalten.

Unter dem Strich bringt die regionale Fertigung klare Vorteile: kürzere Wege, mehr Flexibilität und die Chance, die Innovationsgeschwindigkeit in Europa zu erhöhen. Wir als Distributor verstehen uns hier als Bindeglied zwischen lokalen Produktionskapazitäten und europäischen Kunden.

Der Trendliner zeigt starkes Wachstum in Segmenten wie elektrifizierte Antriebe, ADAS und Automotive HPC. Welche Produkt- oder Plattforminitiativen verfolgen Sie hier?

Das sind aktuell die drei zentralen Wachstumstreiber im Automotive-Bereich. Sie reichen von funktionaler Sicherheit über hohe Rechenleistung bis hin zur Energieeffizienz.

Beim Thema Elektrifizierung liegt unser Fokus auf leistungsstarken Halbleitern, Sensorik und Steuerungskomponenten – speziell im Bereich Battery Management und Motorsteuerung. Wir arbeiten eng mit Herstellern zusammen, um unseren Kunden maßgeschneiderte Plattformen und Reference Designs anzubieten und ihre Entwicklungszeiten zu verkürzen.

ADAS erfordert eine Kombination aus High-Performance-SoCs, spezialisierter KI-Beschleunigung und robusten Sensorlösungen – für Radar, Lidar oder Kameras. Wir unterstützen mit modularen Evaluierungsboards und einem Software-Ökosystem, das die Produktentwicklung und Zertifizierung erleichtert.

Bei Automotive HPC unterstützen wir insbesondere im Speicherbereich, bei Netzwerktechnologien wie Automotive Ethernet und Versorgungssystemen – ergänzt durch Supply-Chain-Lösungen, damit die Komponenten dort ankommen, wo sie gebraucht werden.

Und wie sieht es im industriellen Bereich aus – Sensorik, Leistungselektronik und Konnektivität bleiben ja starke Wachstumstreiber. Wie entwickeln Sie Ihr Portfolio hier weiter?

Sensorik, Leistungselektronik und Konnektivität sind zentrale Treiber, speziell durch Industrie 4.0, Automatisierung und Smart Factory.

Bei Sensorik erweitern wir unser Angebot an robusten Systemen kontinuierlich – etwa MEMS-Sensoren für Bildverarbeitung, Umgebungs- oder Drucksensorik. Wir setzen dabei auf Hersteller, die neben Hardware auch smarte Datenverarbeitung integrieren, weil das für unsere Kunden entscheidend ist.

Im Bereich Leistungselektronik liegt unser Fokus auf Effizienz – etwa mit SiC- und GaN-basierten Halbleitern, wie sie in modernen Industrieantrieben oder Wechselrichtern zum Einsatz kommen. Hier haben wir mit unserer Kampagne Powering the Shift einen klaren Schwerpunkt gesetzt.

Bei der Konnektivität bauen wir unser Portfolio für Industrial Ethernet, Wireless-Protokolle und IIoT-Gateways konsequent aus. Wichtig ist uns dabei die Integration in ganzheitliche Automatisierungslösungen mit Fokus auf Software und Security.

Der weltweite Halbleitermarkt soll bis 2026 jährlich um 6,8 % wachsen. Welche strategischen Entscheidungen leiten Sie daraus ab – und wo liegen Ihre Investitionsschwerpunkte?

Marktspezifisch fokussieren wir uns auf wachstumsstarke und innovationsgetriebene Segmente – Smart City, Smart Industry, Automotive – stark beeinflusst durch künstliche Intelligenz. Parallel bauen wir unsere Struktur in Europa aus, etwa mit unserem neuen Logistikzentrum in Bernburg bei Magdeburg. Damit sichern wir Versorgungssicherheit, Lieferfähigkeit und Nähe zum Kunden.

Ein weiterer Aspekt ist Nachhaltigkeit. ESG wird für unsere Kunden zunehmend zum Wettbewerbsfaktor. Daher integrieren wir ökologische und soziale Standards in unsere Lieferkettenstrategie, unter anderem durch Partnerschaften mit entsprechenden Herstellern.

Der EU-PMI sinkt, aber die Fabrikproduktion liegt erstmals seit zwei Jahren wieder über 50. Wie beeinflusst diese Lage Ihre Planung?

Das ist eine anspruchsvolle, aber auch chancenreiche Lage. Der sinkende PMI signalisiert Unsicherheit, was Investitionen betrifft – die Unternehmen agieren vorsichtig. Gleichzeitig sehen wir, dass Fabrikproduktion, besonders im Automatisierungsbereich, wieder an Fahrt gewinnt.

Der direkte Dialog mit unseren Kunden ist dabei entscheidend. Wir unterstützen mit maßgeschneiderten Risikoanalysen und Absicherungsmodellen. Und auch wenn es kurzfristige Herausforderungen gibt, sehen wir darin langfristige Chancen – und begleiten unsere Kunden mit innovativen Produkten und Services.

Das Zinsumfeld kühlt sich ab – das kann Investitionen beflügeln. Spüren Sie das schon?

Wir hatten diesen Schritt erwartet. In einem Hochzinsumfeld überlegen sich Kunden Investitionen doppelt. Sinkende Zinsen schaffen wieder Spielraum. Projekte, die wirtschaftlich auf Eis lagen, werden wieder aufgenommen – besonders im Bereich Automatisierung, Robotik und KI-Lösungen. Und damit steigt auch wieder die Nachfrage nach spezialisierten Halbleitern und integrierten Lösungen.

Industrial- und EMS-Kunden bestellen wieder, nachdem Lagerbestände abgebaut wurden. Wie reagieren Sie mit Ihrer Lieferkette darauf – und sind das kurzfristige oder langfristige Trends?

Wir sehen erste Signale der Markterholung. Die Bestellungen steigen leicht, aber wellenartig. Deshalb setzen wir auf drei Hebel: Erstens, Kapazitäts-Engagement mit Herstellern – durch enge Partnerschaften und Rahmenverträge sichern wir uns bevorzugte Kapazitäten, speziell bei knappen Bauteilen. Zweitens, strategische Pufferlagerung – etwa bei stark nachgefragten Komponenten. Drittens, transparente Kommunikation – ein enger Austausch mit den Kunden zur besseren Planung.

Was wird in den nächsten 12 bis 18 Monaten den Unterschied machen – Technologie, Tempo oder Partnerschaften?

Die kurze Antwort: ein Mix, kombiniert mit KI-Implementierung. Die lange Antwort: Technologie bleibt die Basis – ob bei AI, Edge-Computing oder Leistungselektronik. Tempo ist entscheidend, denn wer schneller entwickelt und skaliert, gewinnt. Und Partnerschaften sind der Multiplikator. Wenn Sie schnell vorankommen wollen, gehen Sie allein. Wenn Sie weit kommen wollen, gehen Sie gemeinsam. Deshalb sehen wir uns als integrierter Partner, der alle drei Aspekte – Technologie, Tempo und Partnerschaft – miteinander verbindet, um unsere Kunden in diesem dynamischen Marktumfeld erfolgreich zu machen.

Abschließend gefragt: Rechnen Sie kurzfristig mit einem deutlichen Aufschwung?

Wir sind aktuell in einem dynamischen Umfeld, in dem Investitionen – sei es von Kunden oder Herstellern – wohlüberlegt sein müssen. Die Nachfrage zieht nicht so stark an wie von vielen Analysten vorhergesagt, gleichzeitig sind Investitionen selektiver geworden. Wir befinden uns in einer Art Aufholprozess. Was bleibt: Der Halbleiteranteil in Applikationen wird weiter steigen. Die Integration von Hardware und Software wird zunehmen. Wir freuen uns, dass wir bei Avnet Silica – mit einem starken Portfolio und umfassenden Services – unseren Beitrag dazu leisten können.


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