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Halbleiter für Automotive bleiben knapp

14. Januar 2022, 15:16 Uhr | Iris Stroh
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2021 ging der Automobilindustrie einiges an Geschäft verloren, weil die notwendigen Halbleiter fehlten. Das wird sich laut Jeremie Bouchaud, Director für Autonomy, E/E & Semiconductor bei IHS Markit, dieses und nächstes Jahr nicht ändern.

Im letzten Jahr konnten weltweit rund 9,5 Mio. Fahrzeuge aufgrund von Lieferengpässen nicht gebaut werden«, erklärt Bouchaud. Auch wenn Anfang 2021 so mancher OEM – zum Beispiel Toyota und Hyundai – noch besser durch die Krise kam, im Laufe der Zeit hat es alle erwischt. Denn auch die OEMs mit Lagerbeständen hatten nach drei Monaten anhaltender Krise leere Regale. »Seit Mitte 2021 waren alle OEMs gleichermaßen von Lieferengpässen betroffen«, so Bouchaud.

Halbleiterumsatz im Automotive-Umfeld steigt deutlich

Bouchaud schätzt, dass der Halbleiterumsatz im Automotive-Segment im letzten Jahr auf 49,4 Mrd. Dollar gestiegen ist. Das entspricht einem Plus von 26 Prozent gegenüber 2020. »Das ist ein neuer Rekord, und das trotz eines weltweiten Fahrzeugvolumens von lediglich 75 Mio. Autos, also 14 Mio. Fahrzeuge weniger als im Vorjahr. Für 2023 erwarten wir, dass der Halbleiterumsatz auf knapp 56 Mrd. Dollar steigen wird«, prognostiziert Bouchaud.

Wie viel Prozent des Umsatzzuwachses 2021 sind auf Preissteigerungen zurückzuführen, welchen Beitrag leistet der gestiegene Halbleiter-Content? Bouchaud: »Derzeit werden typischerweise Preissteigerungen zwischen 10 und 20 Prozent gemeldet.« Er fügt aber hinzu, dass diese Preissteigerungen sich erst seit Mai 2021 auf die Umsätze ausgewirkt haben, »sodass wir über das gesamte Jahr gerechnet von einer durchschnittlichen Preissteigerung in Höhe von 6 Prozent ausgehen«, erklärt Bouchaud weiter. Eine sehr seltene Entwicklung in der Automobilindustrie, denn typischerweise müssen die Halbleiterhersteller in diesem Segment mit Preissenkungen von 3 bis 4 Prozent pro Jahr zurechtkommen.

12 bis 13 Prozent des Umsatzzuwachses führt Bouchaud auf den gestiegenen Halbleiter-Content im Fahrzeug zurück, wobei er anmerkt, dass der Halbleiter-Content pro Auto in diesem Jahr sogar noch schneller anstieg als bisher üblich. Denn angesichts der Versorgungsprobleme haben die OEMs den Fahrzeugen des oberen Marktsegments mit höheren Gewinnspannen den Vorrang gegeben, sodass der Anteil der Fahrzeuge aus dem D- bis F-Segment gestiegen ist. Dazu kommt noch ein zweiter Punkt, der sich noch deutlich stärker auf den Halbleiterbedarf ausgewirkt hat: Der Anteil von Hybrid- und Elektrofahrzeugen ist ebenfalls schnell gestiegen. »Und diese Fahrzeuge weisen einen höheren Halbleiteranteil für den Antrieb, aber auch einen höheren Halbleiter-Content für Infotainment und ADAS auf«, fährt Bouchaud fort.

Das ergibt zusammen ein Umsatzplus von 18 bis 19 Prozent. Woher stammen die restlichen 7 bis 8 Prozent? Bouchaud nennt für das restliche Wachstum mehrere Faktoren. Dazu gehört zum Beispiel der sogenannte »Toilettenpapiereffekt«, also wenn OEMs und Tier-Ones mehr bestellen, als sie aktuell benötigen, um sicherzustellen, dass sie die Teile, die sie brauchen, auch erhalten. Dieses Verhalten wird besonders dann offensichtlich, wenn OEMs bzw. Tier-Ones in dem Moment ihre bestellten Volumina reduzieren, wenn sie von der bislang üblichen »Non-Commited« 12-Monatsbestellung in eine nicht stornierbare und nicht erstattbare Bestellung wechseln müssen.

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Jeremie Bouchaud, IHS Markit: »Der Automobilmarkt wird also auch weiterhin nicht von der Nachfrage bestimmt werden, sondern auch in den Jahren 2022 und 2023 von Produktionsbeschränkungen geprägt sein. Die verschiedenen Halbleiter im Fahrzeug, ihre Häufigkeit und die dafür benötigten Prozesstechnologien.«
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Ein zweiter Grund besteht darin, dass Chips im Produktionsprozess aufgrund von Lieferengpässen in anderen Bereichen hängenbleiben. Wenn zum Beispiel eine ECU mit 50 Chips wegen einem fehlenden Halbleiter nicht gefertigt werden kann, werden die anderen 49 Chips trotzdem produziert. »Das Auto wird dennoch nicht fertig, was zur Folge hat, dass mittlerweile viele fast fertige Fahrzeuge auf Parkplätzen stehen und darauf warten, dass eine ECU produziert werden kann«, erklärt Bouchaud weiter. Als dritten Punkt verweist er auf die Tatsache, dass einige »Tier-Ones Lagerbestände aufgebaut haben. Das zeigt sich daran, dass sie, selbst als ihre eigenen OEM-Kunden ihre Bestellungen nach unten korrigiert haben, an ihren Aufträgen festgehalten haben.«

MCUs und Analog-ICs bereiten Probleme

In den ersten Monaten der Lieferengpässe waren die Mikrocontroller (mehrere zehn MCUs pro Fahrzeug) das größte Problem. »Dass es diese Produktgruppe als erstes traf, lag daran, dass sie oft auf proprietären Architekturen wie beispielsweise RH von Renesas oder Tricore von Infineon basieren. Das bedeutet, dass es nahezu unmöglich ist, diese MCUs für eine ECU aus zwei Quellen zu beziehen. Das bedeutet eine verringerte Flexibilität in der Lieferkette, wenn Einschränkungen auftreten«, erklärt Bouchaud. Aber mittlerweile sind auch Analog-ICs ein Problem. Bouchaud: »In jedem Auto sitzen Hunderte von Analog-ICs, sie werden in jeder ECU beispielsweise für das Power Management und für die Bus-Transceiver benötigt. Analog-ICs sind aber auch für die Signalaufbereitung jedes Sensorsignals, für Audioschaltungen, für Treiber von Elektromotoren, für LEDs, Display-Treiber etc. notwendig.« Der Bedarf an Analog-ICs ist nicht nur im Automotive-Segment hoch, sondern auch in anderen Segmenten wie beispielsweise Mobiltelefone, sei es für das HF-Front-End, das Power Management, die Verarbeitung von Sensordaten, High-End-Audio und kontaktloses Bezahlen.

Analog-ICs werden typischerweise mithilfe von ausgereiften Prozesstechnologien, also Prozessen mit Strukturgrößen zwischen 90 und 300 nm, gefertigt. Bouchaud: »Bei diesen ausgereiften Prozesstechnologien gibt es ein strukturelles Kapazitätsproblem, denn die meisten der Investitionen in Kapazitätserweiterungen, knapp 80 Prozent der CapEx im letzten und in diesem Jahr, fließen in fortschrittlichere Prozessknoten. Diese werden aber nur für wenige Chips im Fahrzeug benötigt. 15 Prozent des CapEx geht in ausgereifte Prozesse, die aber wiederum für 90 Prozent der Chips im Fahrzeug zum Einsatz kommen.«

Damit aber nicht genug, denn Bouchaud fügt noch hinzu: »Zumindest von Juni bis Oktober traten bei fast allen Chips Probleme auf, abgesehen von einigen Nischentypen wie MEMS-Sensoren, hier scheint es weniger Probleme zu geben.« Denn neben den Problemen in Hinblick auf die Front-End-Kapazitäten waren auch die Back-End-Kapazitäten, und zwar für alle Chips, aufgrund des Lockdowns in Südostasien von Juni bis Oktober negativ beeinträchtigt.


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  2. Wird 2022 überhaupt nicht besser?

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