Es wäre ein Paukenschlag: Infineon Technologies wird einen diskreten 400-V-SiC-MOSFET auf den Markt bringen und damit in direkte Konkurrenz zu klassischen Silizum- und GaN-Leistungshalbleitern treten. Damit würden neue Anwendungsbereiche von den SiC-Vorteilen profitieren.
Eine wahre Zeitenwende im Bereich Wide-Bandgap-Leistungshalbleiter könnten Pläne von Infineon Technologies einleiten, nachdem Pläne zur Markteinführung eines 400-V-SiC-MOSFET bekannt wurden. Infineon bräche damit mit einem seit knapp eineinhalb Jahrzehnten vorgetragenen Mantra der Leistungshalbleiterbranche: Es macht keinen Sinn, SiC-Leistungshalbleiter mit Sperrspannungen unter 650 V anzubieten. Das natürliche Habitat der SiC-Leistungshalbleiter sei im Bereich hoher und höchster Spannungen anzusiedeln. Im Sperrspannungsbereich unter 650 V hätten dagegen klassische Silizium-Leistungshalbleiter und GaN-Bauteile zum Teil technische, aber vor allem preisliche Vorteile.
Nun also die Kehrtwende, im Laufe derer man sich nicht wundern würde, kämen in Zukunft auch noch SiC-MOSFETs mit 200 V Sperrspannung auf den Markt. Infineon spricht im Fall seines diskreten 400-V-CoolSiC-MOSFET, der in verschiedenen Gehäuseversionen auf den Markt kommen wird, von »coming soon«. In der Branche, das zeigt eine aktuelle Umfrage der Markt&Technik, geht man inzwischen davon aus, dass Infineon das neue Bauteil im Rahmen seines Wide-Bandgap-Developer-Forums 2024 am 16. April einem breiteren Publikum vorstellt. Nähere Angaben zu technischen Einzelheiten wollte Infineon auch auf Anfrage nicht machen.
In der Branche zeigt man sich überrascht von den Plänen, und – Stand heute – arbeitet offiziell niemand an einem vergleichbaren SiC-MOSFET oder plant gar eine zeitnahe Markteinführung. Während einige Branchenexperten wie etwa Dr. Martin Schulz, Global Principal Application Engineer bei Littelfuse Europe, »keinen technischen Vorteil von SiC gegenüber Si und GaN in diesem Spannungsbereich sieht, ebenso wenig wie einen kommerziellen«, weisen andere auf die technischen Schwierigkeiten hin, die zu überwinden wären, um so ein Bauteil zu realisieren. Prof. Dr. Leo Lorenz zeigt sich insofern überrascht, »als bei niedrigsperrenden SiC-Devices der Kanalwiderstand das dominierende Thema ist«. Er geht davon aus, dass es gelungen ist, durch entsprechendes Kanal-Engineering, etwa durch große Kanalweiten, was dann aber wieder die Kurzschluss-Beherrschung schwierig machen würde, einen neuen Weg zu finden. Er weist auch darauf hin, dass es beim Thema SiC nach wie vor Zuverlässigkeitsfragen beim Gate-Oxid und der Bipolardegradation gibt.
Andere stellen sich konkret die Frage, wofür so ein 400-V-SiC-MOSFET dann einsetzbar wäre. Aus Sicht von Florian Freund, Director Engineering DACH bei Arrow Electronics, »dürften damit viele Applikationen adressiert werden, die bis heute mit 400-V-Silizium-Transistoren arbeiten, und man in Zukunft eben die Vorteile von Wide-Bandgap-Transistoren nutzen will«. Er verweist dabei auf DC/DC-Anwendungen und Audioverstärker; »ich sehe aber auch immer häufiger Batteriekonstellationen, die Primärschalter in Sperrwandlertopologien von 400 V benötigen«. Ähnlich argumentiert Alfred Hesener, Senior Director Industrial & Consumer bei Navitas Semiconductor: »Es gibt Multilevel-Topologien für Umrichter, die mit 400 V Eingangsspannung arbeiten, aber nur Bauteile mit geringerer Durchbruchspannung benötigen.« Er hält aber auch Anwendungen in den USA und Japan, die mit 115 V AC laufen, als potenzielle Zielapplikationen für möglich.
Thomas Grasshoff, Head of Strategy und Senior Director bei Semikron Danfoss, macht darauf aufmerksam, »dass gerade bei Klimageräten und Wärmepumpen die regulatorischen Anforderungen bezüglich Energieeffizienz hochgesetzt wurden und SiC-Bausteine dort zur Verlustleistungsoptimierung sicher eine Option sind«. Je nach Betriebspunkt ließen sich mit SiC-Bauteilen im 400-V-Bereich die Verluste um 30 bis 50 Prozent reduzieren. Udo Blaga, Technical Application Engineer Power bei Avnet Silica, weist darauf hin, dass unterhalb der batteriegetriebenen Fahrzeuge mit 400- bis 800-V-DC-Bus der Markt für Light-BEVs wachse. »Bei diesen dürfte die DC-Bus-Spannung um 100 bis 300 V liegen; dort würden dann 400-V-SiC-MOSFETs ihre Anwendung finden«. Dr. Dirk Wittorf, Vice President Corporate Strategy & Chief of Staff bei Nexperia, setzt bei den Anwendungen für einen 400-V-SiC-MOSFET auf »kostenoptimierte Lösungen für Wallbox-Charger im 110-V-AC-Bereich, das würde zum Beispiel für den amerikanischen Markt sprechen«. Nexperia, betont er, adressiere weiterhin SiC-Anwendungen mit Sperrspannungen über 650 V und GaN-Ânwendungen bis 650 V Sperrspannung.
Bei STMicroelectronics sieht man ein Potenzial für 400-V-SiC-MOSFETs in Hochleistungsstromversorgungen für Telekommunikations- und Datencenter-Anwendungen. In seinem Statement legt ST Wert auf die Feststellung, »dass es im Sperrspannungsbereich unter 650 V nach unserer Analyse keine Ron-Area-Vorteile gibt, unabhängig von der eingesetzten Bauelementestruktur«. ST will den Markt aber weiter beobachten, ob sich in Zukunft eventuell technische oder kommerzielle Gründe für einen 400-V-SiC-MOSFET eröffnen.
Die Analysten bei S&P Global beschäftigen sich in erster Linie mit dem Automotive-Markt, und so verwundert es nicht, dass Jungho Lee, Senior Research Analyst for Automotive Electronics bei S&P Global Mobility, auch auf Light-BEVs kommt, wenn er an die Möglichkeiten eines 400-V-SiC-MOSFET denkt. Er weist aber darauf hin, dass der Markt für Elektrofahrzeuge, die mit Systemspannungen von weniger als 200 V arbeiten, im letzten Jahr nur 3 Prozent des gesamten Elektrofahrzeugmarktes ausmachte, und 2036 wohl nur noch 2 Prozent. Im Fall von Elektroautos mit 300 V Systemspannung geht er von einem Marktanteil von 11 Prozent im letzten Jahr und einem voraussichtlichen Marktanteil von 5 Prozent im Jahr 2036 aus. Er liefert auch eine interessante Vermutung für die »Entstehung« der 400-V-Varianten: »Es könnte sein, dass Infineon sie vom Rand eines SiC-Wafers nimmt. Die Erklärung könnte sein, dass die Randchips in der Regel keine gute Ausbeute bei niedrigerer Durchbruchsspannung haben, was vor allem auf den Epitaxieschicht-Wachstumsprozess und den Ionenimplantationsprozess zurückzuführen ist. Daher würden die Chips aus der Mitte des Wafers als 650-V-Klasse und die Randchips als 400-V-Klasse verkauft.«
Lässt man frühere Aussagen zur Abgrenzung gegenüber niedrigeren Sperrspannungen einmal außer Acht, was würde für den Einsatz von 400-V-SiC-MOSFETs sprechen? Sie lassen sich bei höheren Chiptemperaturen bis 200 °C betreiben, das ist mit heutigen GaN- oder Silizium-Chips gar nicht oder kaum möglich. Im RDS(on) sind SiC-MOSFETs temperaturstabiler, das würde den Einsatz relativ kleiner SiC-Dies ermöglichen. SiC erlaubt aufgrund seiner besseren Kurzschlussfestigkeit konventionelle Schaltungen beim Thema Überstromschutz. Applikationsspezifisch kann auch eine bestimmte Gate-Threshold-Spannung oder die Avalanche-Festigkeit den Ausschlag dafür geben, dass Entwickler die Vorteile von SiC hinsichtlich hohen Temperaturen und kompakten Bauweisen für ihre 400-V-Applikation nutzen wollen. Näheres dazu wird sicher nach der offiziellen Vorstellung und Markteinführung der 400-V-CoolSiC-MOSFETs von Infineon zu erfahren sein.