Analysten Prognosen für 2024

»Halbleiterumsatz entschleunigt sich auf hohem Niveau«

22. Januar 2024, 14:30 Uhr | Engelbert Hopf, Iris Stroh, Karin Zühlke
© PhornpimonNutiprapun/stock.adobe

Wie entwickelt sich die Halbleiterindustrie im Jahr 2024? Dazu hat Markt&Technik Analysten und Experten befragt. Sie werfen einen Blick aufs neue Jahr - mit gemischten Gefühlen.

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So wirft Georg Steinberger, Vorsitzender des FBDi. e. V., aus Sicht der Distribution einen Blick in die Zukunft der Halbleiterdistribution: Nach einem Zeitraum ungebremsten Wachstums zeichnet sich eine deutliche Marktkonsolidierung ab. Die Vergangenheit zeigt, dass viele Aufträge bereits für die Zukunft platziert wurden, um Lieferengpässe zu vermeiden. Die Umsätze der europäischen Komponentendistribution sind in den letzten Jahren dramatisch gestiegen, hauptsächlich aufgrund von Post-Covid-Nachlaufeffekten, Preiserhöhungen und Panikkäufen:»Legt man die Zahlen von DMASS Europe zugrunde, die 85 Prozent Marktabdeckung vorweisen können, dann erreichte die europäische Komponentendistribution von 2020 bis 2023 ein Wachstum von rund 75 Prozent auf über 21 Milliarden Euro«, so Steinberger.

Steinberger betont, dass ein solches Wachstum nicht nachhaltig sei und eine Konsolidierung daher notwendig. »Der Umsatz entschleunigt sich auf hohem Niveau«, fasst Steinberger zusammen. Obwohl das Jahr 2023 noch leichtes Wachstum zeigt, wird das hohe Umsatzniveau in den folgenden Jahren voraussichtlich nicht beibehalten werden können. Die Komponentenindustrie, insbesondere die Halbleiterbranche, hat ihre eigene Dynamik und reagiert nicht immer parallel zur Gesamtwirtschaft. Die Aussichten für den europäischen Markt sind nach den Worten Steinbergers verhalten, insbesondere in Bezug auf den KI-Boom, der hauptsächlich in den USA und Asien stattfindet. Steinberger geht davon aus, dass Europa eher in den Bereichen Automotive und Industrial Wachstum verzeichnen wird.

Steinberger Georg
Georg Steinberger, FBDi: »Während die USA vom KI-Boom profitieren werden, wird Europa 2024 wohl vor allem in den Bereichen Automotive und Industrial Wachstum verzeichnen können.«
© FBDI

Und wie sehen die Analysten das Halbleiterwachstum in einem der größten Absatzbereiche, dem Automotive-Markt? Nach Einschätzung von Jérémie Bouchaud, Director for Autonomy, E/E & Semiconductor bei S&P Global Mobility, »wird das Halbleiterwachstum 2024 geringer ausfallen als in den letzten Jahren«. Bouchaud rechnet zwar nach wie vor mit einem zweistelligen Wachstum, »allerdings im unteren zweistelligen Bereich«. Wachstumstreiber seien der elektrische Antrieb, ADAS und das, was als Cross-Domain bezeichnet würde, also neue Rechnertypen, welche die neuen E/E-Architekturen unterstützen wie etwa Zentralrechner, zonale Controller, die mit dem Gateway verbunden sind. Schrumpfen werde dagegen der Markt für Halbleiter, die in den konventionellen Antriebsstrang wandern.

Am stärksten wachsen im Automotive-Segment werden 2024laut Bouchaud Speicher-ICs. Ihr Anteil am gesamten Halbleiterumsatz im Auto wird sich in diesem Jahr auf fast 30Prozent belaufen. So werden insbesondere die DRAM-Märkte zulegen, jedoch DDR4 und LPDDR4, die immer noch in großen Mengen in Fahrzeugen verwendet werden, das Ende ihres Zyklus erreichen. Die Kapazitäten sind knapp, die Preise haben 2023 ihre Talsohle erreicht, und dementsprechend werden die Umsätze 2024 in die Höhe schnellen. Am zweitschnellsten, so Bouchaud, werden in diesem Jahr diskrete SiC-Leistungshalbleiter wachsen, der Analyst geht von einem Plus von fast 20Prozent aus.

Richard Eden, Omdia
Richard Eden, Omdia: »In den nächsten Jahren werden die Lieferketten von SiC und GaN von 150- auf 200-mm-Wafer umgestellt. Das bedeutet fast doppelt so viele Bauelemente pro Wafer.«
© Omdia

Ist davon auszugehen, dass es auch in diesem Jahr wieder zu Lieferengpässen kommt? »Nicht in diesem Jahr«, so Bouchaud, »aber es besteht definitiv das Risiko, dass es erneut zu Lieferengpässen kommt, wenn die weltweite Halbleiternachfrage außerhalb der Automotive-Branche wieder anzieht«. Entspannend wirke sich dabei aus, dass die Markteinführung einer Reihe von Elektrofahrzeugen, die eigentlich 2024 auf den Markt kommen sollten, inzwischen auf 2025 verschoben wurde. Dagegen sieht Bouchaud gute Chancen dafür, dass Lieferengpässe im Halbleiterbereich 2025 wieder in die Schlagzeilen rücken. Das Bestreben von OEMs und Tier-Ones, massiven Druck auf ihre Chip-Lieferanten auszuüben, um wieder zum früheren Preisniveau zurückzukehren, könnte sich dann gegen die Automotive-Branche wenden, wenn die Bedarfe anderer Chip-Abnehmer wieder steigen.Dann könnte sich die Automobilindustrie wieder ganz schnell am Ende der Warteschlange wiederfinden, wie schon 2020.

Jeremie Bouchaud
Jérémie Bouchaud, S&P Global Mobility: »Das Halbleiterwachstum im Automotive-Bereiche wird 2024 geringer ausfallen als in den letzten Jahren; wir rechnen mit einem Wachstum im unteren zweistelligen Bereich.«
© S&P Global

Wie bereits von Bouchaud erwähnt, fallen SiC-Leistungshalbleiter im Automotive-Bereich durch die zweithöchste Wachstumsrate auf. Ein Umstand, den auch Richard Eden, Senior Principal Analyst für Power Semiconductors bei Omdia bestätigt. Eden weist aber auch darauf hin, dass die Nachfrage nach SiC-Komponenten auch im Bereich erneuerbarer Energien deutlich steigt, und hebt dabei unter anderem das PV-Segment mit seinen Wechselrichtern hervor. Aber auch im Industriebereich steigt der Bedarf an SiC und in Zukunft wohl auch an GaN kontinuierlich.

Die Sorgen, dass die weltweiten Produktionskapazitäten für SiC eventuell nicht mit dem boomenden Bedarf Schritt halten können, lassen nach den Eindrücken von Eden und seinem Team inzwischen nach. So haben mehrere SiC-Wafer-Lieferanten kürzlich Kapazitätserweiterungen angekündigt. Zudem werden die Wafer-Produktionskapazitäten in Zukunft dadurch gesteigert, dass die Unternehmen verstärkt dazu übergehen werden, die zur Verfügung stehenden Wafer-Splitting-Technologien zum Einsatz zu bringen. Auch der anstehende Übergang von 150-mm- auf 200-mm-SiC-Wafer dürfte nachhaltig zur Produktionssteigerung in der Branche beitragen. Im Bereich der GaN-Leistungshalbleiter vollzieht sich inzwischen nach Darstellung der Omdia-Analysten der Übergang von reinen Ladestecker-Anwendungen hin zu Anwendungen im Industrie- und Automotive-Bereich. 


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