Von einer kurzzeitigen Abkühlung eines durch die Allokation überhitzten Marktes spricht Peter Sontheimer, Senior Vice President der Division Industry von Semikron Danfoss und Managing Director von Semikron Danfoss International, mit Blick auf den Leistungshalbleitermarkt.
Markt&Technik: Nach der Europawahl wurde klar, dass die Europäische Kommission China mit Schutzzöllen auf Elektrofahrzeuge droht, falls man sich nicht bis zum 4. Juli anderweitig einigt. Wie stehen Sie zum Thema Schutzzölle?
Peter Sontheimer: Grundsätzlich glaube ich an die freie Marktwirtschaft. Abschottung führt nie zu etwas Gutem. Fairer Wettbewerb sollte dazu führen, dass wir uns alle weiterentwickeln. Dass das nicht immer möglich ist, zeigt das Beispiel Russland. Seit dem Angriff auf die Ukraine sind Geschäfte mit Russland unmöglich geworden. Einfuhrzölle gibt es auch in China schon seit Langem, etwa für Power-Module, nur wurden die bislang nicht im vollen Umfang umgesetzt. Mein Fazit zu dem Thema: Der Traum vom globalen Dorf scheint endgültig vorbei zu sein, für die Zukunft hilft es wohl nur, wenn wir uns zeitnah aufmachen, neue, sinnvolle regionale Lösungen aufzubauen.
Bleiben wir in China. Sie wollten 2024 in Nanjing eine Produktionsstätte eröffnen. Wie weit sind Sie dort inzwischen und was werden Sie in Nanjing produzieren?
Aktuell sind wir in Nanjing noch nicht so weit. Die von mir geleitete Division Industrie wird mit einer MiniSkiiP-Fertigung von Zhuhai nach Nanjing umziehen. Voraussichtlich zum März 2025 wird diese Produktionslinie dann entsprechend qualifiziert sein.
China und das Thema Derisiking: Sollte es doch zu Schutzzöllen kommen, sehen Sie dann Ihre Chinapläne in der Gesamtheit gefährdet oder gehen Sie davon aus, dass sich die Gegenmaßnahmen auf die Automobilindustrie beschränken?
Wir erzielen etwa 200 Millionen Euro unseres Umsatzes in China. Wir haben also etwas zu verlieren, wenn die Wirtschaftsbeziehungen mit China eskalieren. Ich sehe aber ein anderes Szenario. In den nächsten zehn Jahren wird unsere Branche stark wachsen! Wir sehen Wachstumsraten, wie wir sie bisher in der Power-Branche nicht gekannt haben. Es gibt inzwischen in China Wettbewerb, den es dort vor einigen Jahren noch nicht gab. Ich halte das für eine legitime Entwicklung. China versucht seinen Footprint im Bereich Leistungselektronik aufzubauen. Ich glaube, wir werden unseren Fair Share an diesem außergewöhnlichen Wachstum in China erhalten. Chinesische Kunden sind pragmatisch, für sie entscheiden Leistung, Performance und Service. Wir müssen lernen, wie das Geschäft in China läuft, wir müssen agil und schnell sein! Ich kenne bislang keine Vorschriften in China, die uns in unserem Wachstum dort einengen würden.
Sie haben im letzten Jahr davon gesprochen, 10 Prozent des Umsatzes in den Ausbau der Fertigungskapazitäten zu stecken. Gilt das auch für 2024?
In den kommenden Jahren werden wir diese Summe jedes Jahr in den Ausbau unserer weltweiten Fertigungskapazitäten und unserer Technologien stecken. Wir tun das auch aktuell im laufenden Jahr.
Sie wollten bereits in diesem Jahr mit der Serienproduktion des eMPack beginnen. Ist das schon geschehen? Haben sich die aktuellen Schwierigkeiten der Automobilbranche in Ihren Modulabrufen niedergeschlagen?
Wir werden die Produktion im 4. Quartal dieses Jahres starten, das ist der Plan. Von Schwierigkeiten der Automobilbranche spüren wir bislang nichts. Unsere Kunden sind nach wie vor im Plan mit ihrer Markteinführung und machen Druck. Unsere DCM- und eMPack-Produkte helfen ihnen hier in puncto Diversifizierung und Performance.
Steht für 2026 weiter die Zahl von 800 Millionen Euro Umsatz durch Automotive-Leistungsmodule bei Semikron Danfoss im Raum? Halten Sie an der Zahl fest?
Wir haben die Umsätze in diesem Bereich 2023 verdoppelt und wir werden sie 2024 verdoppeln. Ich halte die genannten ehrgeizigen Ziele weiterhin für realistisch. Wir sind noch absolut auf dem Wachstumspfad. Wir werden dann schon 2026 mehr als zwei Jahre in der Serienproduktion sein. Ich sehe derzeit keinen Grund, etwas an unserer Zukunftsplanung zu ändern.
Wenn Sie zurückblicken, sind Sie in diesem Jahr mit einem vergleichbaren Plus von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr ins neue Jahr gestartet wie 2023? Oder haben Sie die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen spürbar eingebremst?
2023 waren es sogar plus 47 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum 2022. In diesem Jahr ist das etwas zäher. In der Allokationsphase haben die Kunden 2023 längerfristig bestellt, das merken wir jetzt. Aktuell herrscht so etwas wie Saure-Gurken-Zeit. Aber ich gehe davon aus, dass diejenigen, die sich jetzt noch über ihre Läger beklagen, schon in einigen Monaten wieder froh darüber sein werden, wenn sie etwas mehr auf Lager haben. Wenn wir die Absatzmärkte vergleichen, dann läuft Industrie derzeit gebremst, der Automotive-Bereich wächst dagegen weiter.
Hat sich durch die Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eigentlich die interne Verteilung zwischen Industrie, Stacks und Automotive bei Ihnen verändert?
Nicht wirklich. Unser Industrieanteil liegt immer noch bei über 50 Prozent. Auf das Geschäft mit den Stacks entfallen 25 Prozent, und Automotive wächst weiter. Das war vor zwei Jahren noch etwas anders. In diesem Jahr wird Automotive weiter zulegen, aber ohne dass wir deshalb in anderen Bereichen schrumpfen. Mittel- bis langfristig nimmt der Umsatzanteil von Automotive auch bei uns deutlich mehr Raum ein als letztes Jahr.
Das einschneidendste Ereignis des Jahres 2022 war sicher die Cyber-Attacke auf Semikron. Haben Sie inzwischen weitere solcher Attacken auf Ihr Unternehmen registriert?
Die Angriffe gehen weiter, wie in der gesamten Industrie, aber anders als 2022 kommen sie heute nicht mehr rein. Wir haben unsere Sicherheitsmaßnahmen grundlegend verändert und fühlen uns heute sehr gut gerüstet!
Zu Ihren Investitionsplänen gehörte im letzten Jahr auch der Aufbau einer zweiten DCM-Linie in Utica, Ihrem Werk im Bundesstaat New York. Hat die Produktion dort bereits begonnen? Fertigen Sie dort explizit für den amerikanischen Markt?
Ja, die Produktion läuft dort bereits. Der Fokus unserer Fertigung dort liegt auf Amerika, wir liefern aber auch bei Bedarf Produkte zurück nach Europa. Wir befinden uns mit dem Werk in unmittelbarer Nachbarschaft zu Wolfspeed, wodurch der Wettbewerb um Arbeitskräfte schon intensiv ist, uns aber auch hilft. Unser Ziel ist es, vom Standort Utica aus Amerika als Power-Modul-Land zu entwickeln. In den 1990er-Jahren wurde das, was es bis dahin in Amerika an Industrie-Produktion gab, vor allem nach Asien verlagert. Wir müssen diesen Markt also in Amerika erst wieder neu entwickeln. Mit Produkten wie SemiX und Semitrans10 gelingt uns das bislang sehr gut. Wir haben vor Ort in Utica noch viel Platz, um die Fertigung zu erweitern. Außerdem rampen wir dort aktuell DCM-Produktionslinien hoch und sind mit der Entwicklung und der Nachfrage sehr zufrieden.
Sie haben im letzten Jahr die Aufnahme des neuen 1200-V-IGBT von Rohm in Ihr Modul-Business bekannt gegeben und eine Verlängerung der Liefervereinbarungen mit Infineon hinsichtlich IGBTs und Dioden. Stehen derzeit noch weitere Vereinbarungen vor dem Abschluss?
Renesas, Rohm, Mitsubishi und Infineon sind im IGBT-Bereich unsere wesentlichen Partner, wenn es um den Einsatz von anwendungsspezifischen IGBTs in Modulen geht. Und dabei wird es nicht bleiben in der Zukunft. Im Fall von Rohm beziehen sich diese Liefervereinbarungen neben IGBTs auch auf SiC-MOSFETs. Generell arbeiten wir aber bei SiC-MOSFETs mit allen namhaften Anbietern zusammen, die in Serienproduktion sind oder in Vorbereitung dafür.
Thema SiC-Supply-Chain: Sehen Sie da 2024 eine bessere Situation als im letzten Jahr? Mit wie vielen SiC-Spezialisten arbeiten Sie derzeit zusammen? Wird es da noch Ergänzungen geben?
Wie schon erwähnt arbeiten wir bei SiC mit Rohm zusammen, aber auch mit anderen großen Anbietern. Die überhitzte Situation der letzten zwei Jahre liegt hinter uns. Die Lieferzeiten haben sich wieder verkürzt, die Verfügbarkeit ist wieder da. Das Durchschnaufen aktuell ist nur eine kurzfristige Seitwärtsbewegung des Marktes. Der Zwang zur Dekarbonisierung wird den Bedarf an Leistungselektronik in Zukunft noch weiter erhöhen, denken Sie auch an die neu entstehenden Märkte der Energiespeicher. Aber auch das Hype-Thema AI wird den Bedarf an Leistungselektronik weiter pushen, da der Bedaf an elektrischer Energie auch dadurch erheblich steigen wird. Die Weltpolitik kann diese Entwicklung durch ungeschicktes Agieren vielleicht etwas bremsen, aufhalten kann sie sie aber nicht mehr.
Das Interview führte Engelbert Hopf.