»Beim Export aus Deutschland läuft es nach unserer Beobachtung aktuell reibungslos«, berichtet Alexander Gerfer, CEO von Würth Elektronik eiSos; »Verzögerungen registrieren wir vereinzelt beim Import in die EU«. Gerfer sieht darin vor allem ein Problem für die EU-Firmen, »die bisher wenig Erfahrungen mit Lieferungen aus Drittländern hatten, was benötigte Zertifikate und Dienstleister für die Einfuhrabwicklung angeht«. – »Dass der Brexit kommen würde, wussten wir ja nicht erst seit gestern«, stellt Camtec-CEO Oliver Walter nüchtern fest. »Es gibt zwar ein paar Formalitäten, an die wir uns alle gewöhnen müssen, aber in zwei Monaten ist das Usus und dann werden sich auch wieder die Lieferzeiten normalisieren.«
Von großen aktuellen Problemen einer termingerechten Lieferung nach Großbritannien berichtet dagegen Wolfgang Reichelt, Managing Director und CEO der Block Transformatoren-Elektronik: »Das größte Problem ist die Zollabfertigung. In den letzten Wochen haben unsere Spediteure teilweise die Frachtannahme für England abgelehnt, da sie die Ware nach England nicht abgefertigt bekommen.«
Papierner Verzollungsprozess
»Trotz erhöhter Lagerbestände in unserem europäischen Zentrallager waren gerade bei den ersten Sendungen vor und nach dem Jahreswechsel massive Lieferverzögerungen nicht zu verhindern«, gibt Gustav Erl, General Manager TDK-Lambda Germany zu. »Sowohl unsere Spediteure als auch wir haben uns auf die veränderte Situation gut vorbereitet; das Nadelöhr ist aber im Verzollungsprozess erkennbar, und darauf können wir überhaupt keinen Einfluss nehmen!« Nach seiner Auskunft sind derzeit Abfertigungszeiten von sieben bis zehn Tagen die Regel.
Kommt dann noch hinzu, dass ein großer deutscher Logistikdienstleister derzeit nicht in der Lage ist, Ware „elektronisch“ abzuwickeln, wie Jörg Traum, Geschäftsführer Emtron electronic, berichtet, wird das Ganze auch nicht leichter. Er weist auch darauf hin, dass Großbritannien Einfuhrzölle von 3,3 Prozent auf Stromversorgungen erhebt. Ausgenommen davon sind Stromversorgungen, die in der EU hergestellt werden. Dies gilt aber nicht für in die EU eingeführte und verzollte Ware aus Drittländern wie Japan oder China. »Im freien Warenverkehr vor dem Brexit war das kein Thema«, so Traum.
Aktuell leiden unter der Situation vor allem die Kunden, so Thomas Irl, bei ODU für den Vertrieb in Europa zuständig: »Wir registrieren derzeit Lieferverzögerungen bis zu über einer Woche. Es wird zwar allmählich besser, aber mit einer Entspannung der Situation rechnen wir erst zum Ende des 1. Quartals«.
Keith Moore, CEO von Pickering, erinnert angesichts der jetzigen Situation, »dass stark exportorientierte Elektronikunternehmen wie Pickering mit komplexeren Lieferketten gegen den Brexit waren. Sie scheinen bisher ganz gut zurechtzukommen, vor allem, wenn sie bereits über eine EU-basierte Infrastruktur verfügen. Aber Fischer und Landwirte, die sehr für den Brexit waren, leiden nun ironischerweise enorm – so ist das Leben!«
Mikkel Hippe Brun, Mitbegründer und Senior Vice President Greater China bei Tradeshift, verweist noch einmal darauf, dass die langwierigen Brexit-Verhandlungen den Unternehmen kaum Zeit ließen, sich auf die Realitäten einzustellen, wie die Handelsbeziehungen ab dem 1. Januar 2021 aussehen würden. Wie viele andere weist er auch darauf hin, dass die Covid-19-Pandemie die Situation noch zusätzlich erschwert habe: »Wenn es physisch nicht möglich ist, papierbasierte Dokumente zu erstellen und zu verarbeiten, bleibt die Ware in den Häfen liegen, und die Lieferanten werden nicht bezahlt, weil die Rechnungen in den Shared Services Centern verstauben.« Diskussionen zwischen der EU und Großbritannien deuten laut Brun derzeit aber darauf hin, »dass wir uns auf eine Vereinfachung der aktuellen Regeln zubewegen«.