Es ist inzwischen ein eingespieltes Procedere: Namhafte Vertreter der Wirtschaft, Industrie und ihrer Verbände beklagen aktuelle Zustände in diesem Land und fordern Veränderungen. Kanzler Scholz tut das in der Regel als klassische Klagen der Wirtschaft ab, sein Mantra dabei: Klagen seien das Lied des Kaufmanns. Doch nicht nur in der großen Politik, auch in Gesprächen mit Repräsentanten der Elektronikbranche, auf Messen, bei Recherchen oder wie hier bei Diskussionsrunden, wird Kritik an politischen Versäumnissen und an Missständen immer deutlicher artikuliert. »Ich glaube kaum, dass frühere Regierungen wirklich besser waren«, meint Erdl, Puls, dazu, »aber jetzt, wo uns externe Faktoren belasten, wie das wegfallende billige Öl und Gas aus Russland sowie der wegbrechende Markt China, bietet sich die Regierung als Schuldiger natürlich an«. Erdl schiebt nach, »man muss natürlich auch zugeben, dass sie alles andere als eine gute Figur machen – das haben die Vorgängerregierungen häufig auch nicht gemacht, aber da ging es uns allen noch gut!«. Erdl verweist auch darauf, »dass die industriepolitischen Versäumnisse, die wir heute beklagen, ja schon früher gemacht wurden – wir haben fast keine Halbleiterindustrie mehr in Deutschland und Europa, die Solarindustrie wurde kaputt gemacht – das sind alles keine Fehler der Ampel-Koalition, das liegt weiter zurück«. »Was uns nervt, und was sich auf die Regierung abbildet, ist der wuchernde Bürokratismus, aber diese Themen kommen vor allem von der EU. Ein Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist ein Werk der Merkel-Regierung, seine Umsetzung wirkt sich jetzt aber auf die aktuelle Regierung aus, die da den Prellbock geben muss.« Püthes Fazit: »Nach dem Nichtstun der letzten Jahrzehnte ist die neue Ampel-Regierung mit zu viel Aktionismus in ihrer Anfangszeit in den Brunnen gefallen.« »Glaubt man den Analysten«, so Heinemann, Block Transformatoren-Elektronik, »dann war die letzte gute Tat, die von der Politik für die Wirtschaft kam, unter Kanzler Schröder die Einführung von Hartz 4«. Wenn seitdem nicht mehr viel passiert sei, »komme ich eben irgendwann in die Situation, wo es bergab geht und die Stimmung im Land in den Keller rutscht«. Gäbe es ein klar definiertes Ziel und ginge es spürbar bergauf, so Heinemann, »wären die Leute wohl auch bereit, sich eher am Riemen zu reißen und den Gürtel auch mal enger zu schnallen«. Aus Sicht von Bier, Recom, liegt das Hauptproblem in der mangelnden Stringenz: »Wir werden uns in unserer demokratischen Gesellschaft immer auf Kompromisse einlassen müssen. Kompromisse sind ja an sich nichts Schlimmes. Aber wenn man sich für einen Kompromiss entscheidet, muss ich diese Entscheidung auch stringent durchziehen!« Eine Leistungsgesellschaft könne nicht mehr ausgeben, als sie einnehme, »und der Wandel zu einer alternden Gesellschaft beschleunigt das Ganze noch«. Aus Biers Sicht ist zu vielen unklar, »dass wir mit unseren Produkten und dem damit verbundenen Wohlstand abhängig von den Exportmärkten sind«. Über Jahrzehnte hätten europäische Unternehmen ihren Kunden überall auf der Welt verklickern können, »dass sie so viel effektiver seien als andere, aber das gilt heute nicht mehr in diesem Maße, da müssen wir in Zukunft anders ansetzen«. Von der Politik erwartet er darum Kommunikation und Stringenz, wie Europa aus dieser Situation wieder herauskomme. »Denn andere sind inzwischen effektiver, und wir haben die höheren Preise aufgrund hoher Energie- und Personalkosten – das wird langfristig nicht funktionieren!« »Der Wohlstand, den wir heute verwalten, den haben wir ja selbst geschaffen«, so Kalfhaus, Syko, »und wir leben aktuell in einer Industriegesellschaft, die abgebaut wird, und nicht in einer Transfer- oder Sozialgesellschaft, die aufgebaut wird«. Er verweist auf eine TV-Diskussion mit Ricarda Lang, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, die in der Diskussion darauf verweist, dass sich ihre Großeltern totgearbeitet hätten und ihre Eltern darunter litten, das sie so viel arbeiten müssten – ihre rhetorische Frage an das Fernsehpublikum lautete: Wollen wir das? »Nö, natürlich nicht«, habe Kalfhaus damals vor dem Fernseher zu seiner Frau gesagt, moniert aber, dass einigen Politikern ganz offensichtlich nicht klar sei, worauf der Wohlstand basiere, den sie verwalten. Widdel, Eplax, sieht das als Ergebnis des gesellschaftlichen Wandels: »Die Baby-Boomer, die noch um ihren Arbeitsplatz kämpfen mussten, um einen zu ergattern, gibt es heute nicht mehr.« Heute könnten sich junge Menschen aussuchen, wo und wie sie arbeiten wollten. Daro, Fortec Power, verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass er häufig den Eindruck habe, »dass Work-Life-Balance bedeute, dass die Leute darunter vor allem die Balance im Life verstehen, und die Arbeit müsse sich dem eben anpassen«. Wie wichtig Kommunikation und Stringenz in der Politik sind, wird für Bier, Recom, auch an einem anderen Beispiel deutlich, das mit der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Europa zusammenhängt. »Wir beschäftigen an unserem Standort Gmunden in Österreich Mitarbeiter aus 27 Nationen, und ich kann mich dann im Herbst damit rumschlagen, dass bei der anstehenden Wahl in Österreich eine rechte Partei, die FPÖ, sehr viele Stimmen bekommen wird. Als verantwortlicher Politiker muss ich aber klarstellen, dass es eine gute Sache ist, wenn Leute zu uns kommen, um uns dabei zu unterstützen, unsere Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, die helfen, unsere Wirtschaftskraft zu stärken!« Vielleicht sollte man zur Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit sich das Schweizer Lösungsmodell näher ansehen. Püthe, als Bodenseeanwohner nahe an der Schweiz, verweist auf das dortige Ziel, »mit deutlich weniger Menschen im Land die Produktivität zu erhöhen, dazu hat man Geld in die Hand genommen und massiv in die Automation investiert«. Aus seiner Sicht scheint das der einzige Weg aus der Misere zu sein. |