Nach Einschätzung von Prof. Holger Borcherding, Professor für Leistungselektronik, Elektrische Antriebstechnik und EMV an der TH Ostwestfallen-Lippe, und Mitglieder der Open Direct Current Alliance, stehen Niederspannungs-DC-Netze kurz vor ihrem Roll-out in der Industrie. Welche Vorteile die DC-Technik biete, hätten Projekte im Rahmen von DC-Industrie I und II bewiesen. Gegenüber den letzten 10 Jahren, so sein Argument, habe sich vor allem in der Leistungselektronik einiges geändert. So seien die Bauelemente inzwischen so leistungsfähig und kostengünstig geworden, dass es zum ersten Mal seit 110 Jahren günstiger sei, auf der Niederspannungsebene mit Gleichstromnetzen zu arbeiten, anstatt mit Wechselspannungsnetzen. Dadurch würden sich ganz neue Einsparmöglichkeiten bezüglich der Energieaufnahme und der Ressourcen eröffnen.
In der Stromversorgungsbranche stand man den Entwicklungen und Projekten in Richtung Niederspannungs-DC-Netz in den vergangenen Jahren abwartend gegenüber, eine wirkliche Nachfrage von Kundenseite gäbe es bislang nicht. »Wir haben das Thema DC-Stromversorgung immer als spannend wahrgenommen«, so Heinemann, »aufgrund der Notwendigkeit eines nachhaltigen und ressourcenschonenden Handelns, wird es schwer einen Weg daran vorbei geben«. Bislang seien allerdings nur einige Leuchtturmprojekte umgesetzt worden. Ein Interesse daran sei auf jeden Fall zu spüren, »für die breite Umsetzung fehlt es nach unserer Einschätzung noch an den erforderlichen Komponenten und für einen vollumfänglichen Einsatz auch an der Standardisierung, beispielsweise in den Bereichen Gebäudetechnik und Brandschutz«.
»Natürlich lässt sich die Energieübertragung und -verteilung über Gleichstromnetze wesentlich energieeffizienter gestalten als über die bestehenden Wechselstromnetzte«, versichert Beretitsch, »wir haben bei Phoenix Contact unser neues Produktionsgebäude komplett in Gleichstromtechnik gebaut. Damit sammeln wir wertvolle Erfahrungen mit den zukünftigen 600- bis 1000-V-Systemen«. In den dort errichteten Gleichstromnetzen seien viele der eigenen Produkte von Phoenix Contact verbaut, »und wir stellen fest, dass inzwischen auch unsere Kunden zunehmend nach Produkten für DC-Anwendungen fragen«.
»Unter bestimmten Bedingungen werden manche Anlagen bereits innovativ mit 400- bis 800-V-(DC)-Technik versorgt«, so Walter, »da man von den Erneuerbaren direkt einspeisen will«. Bauseitig sei das eine komplexe Aufgabe, »aber es wäre sicherlich die Art der Einspeisung mit dem höchsten Wirkungsgrad, und wir haben bei Camtec Netzteile im Portfolio, die genau das können«. Ob sich daraus wirklich ein Trend entwickelt, müsse sich aber noch zeigen. Das Hauptproblem sieht er darin, »dass es dann irgendwann mindestens drei oder vier verschiedene Versorgungsnetze in einer Fabrikhalle geben wird, das macht die Sache komplex und die Investition teuer, da kaum ein Verbraucher aus dem Regal mit einem 800-V-(DC)-Netz kompatibel ist«. Genau darin, könnte die Krux liegen, so Walter, »aber in einigen Fällen macht es absolut Sinn, diesen Aufwand zu betreiben!«.
»DC-Netzte machen zur Minimierung von Verlusten natürlich Sinn, und werden bei Anwendungen mit großen Verbrauchern in einzelnen Projekten wie etwa Rechenzentren teilweise schon genutzt«, bestätigt auch Stocker, »bei unseren industriellen Kunden ist das in der Breite jedoch noch kein großes Thema«. Der Aufbau eines parallelen Gleichstromnetztes sei oftmals zu teuer, Normen und Standards fehlten noch: »Hier braucht es nach unserer Einschätzung noch mehr Zeit«.
Für Tenhumberg ist das DC-Grid in der industriellen Automatisierung aktuell noch ein Randthema, »mit dem wir uns allerdings intensiv beschäftigen, um zu gegebener Zeit die richtigen Produkte im Portfolio zu haben«.
Spannungen um 800 V (DC) am Eingang der Stromversorgungen sind aus seiner Sicht allerdings eine Herausforderung, gerade bei den Kondensatoren, »die man nicht auf die leichte Schulter nehmen darf«. Auch Püthe bestätigt, dass die Bestrebungen vorhanden seien, »es gibt auch einige Versuchslinien«. Jedoch sind die damit verbundenen Probleme aus seiner Sicht weiterhin nicht gelöst. »Entsprechende Arbeitsgruppen im ZVEI suchen Lösungen, wobei es letztlich bis auf weiteres eine hybride Struktur bleiben wird«.
Auch bei Arrow stellt man eine Veränderung beim Thema DC-Netze fest. »Auch wenn es nur eine leichte Veränderung ist«, so Saum, »so nehmen wir diese doch in jüngster Vergangenheit wahr«. Aus Sicht von Arrow, sind die DC-Stromversorgungen im Kommen und werden von Industrieteilnehmern nun häufiger in Erwägung gezogen. »Definitiv, immer öfter!«, so die Einschätzung von Pavlovic, »von einem Hype-Thema kommt es inzwischen vermehrt zu realistischen Projekten, die auch umgesetzt werden«. »Wir nehmen tatsächlich seitens unserer Kunden inzwischen mehr Interesse an diesem Thema wahr«, pflichtet auch Erl bei, »wir haben nun vereinzelte Kundenanfragen speziell für DC-Stromversorgungen mit 600- bis 800-V-(DC)-Eingang«. Kein Interesse seiner Kunden an DC-Netzen kann bisher Erdl feststellen: »Von Kundenseite gibt es bislang noch kaum Interesse an DC-Microgrids«.