Roundtable zum Lieferkettengesetz

Gut gemeint, schlecht gemacht!

17. Juni 2024, 13:00 Uhr | Karin Zühlke
Diskussionspunkte gab es viele beim Runden Tisch zum Thema »Supply-Chain«.
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Anlässlich des Markt&Technik-Spitzentreffens diskutierten Manager aus der Elektronik-Industrie im interdisziplinären Round Table "Supply Chain" unter anderem über das jüngst finalisierte EU-Lieferkettengesetz.

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Dabei waren sich die Diskussionsteilnehmer weitgehend einig: »Das Gesetz ist gut gemeint, aber im Detail schlecht gemacht.« 

Zum Hintergrund: Am 24. April hat das EU-Parlament mit großer Mehrheit für das umstrittene EU-Lieferkettengesetz gestimmt. Deutschland hat sich bei der Abstimmung enthalten. Das Datum für das Votum kam nicht von ungefähr und sollte Signalwirkung haben. Denn am 24. April 2013 kollabierte der neunstöckige Fabrikkomplex Rana Plaza in Indien und forderte tausende Menschenleben. Die Arbeiter hatten vor allem Kleidung für den Export hergestellt, etwa für europäische Unternehmen wie Primark, Benetton, Mango, C&A und KiK. Das Lieferkettengesetz soll künftig dabei helfen, solche Vorfälle zu vermeiden. Angestoßen wurde das EU-Lieferkettengesetz durch NGOs (Non-Governmental Organisations; Deutsch: Nichtregierungsorganisationen). Dabei handelt es sich um unabhängige, nichtstaatliche und meist international ausgerichtete Organisationen, die keine Gewinnziele verfolgen. Ein prominentes Beispiel ist Amnesty International.

Das Gesetz sieht eine Berücksichtigung der gesamten Wertschöpfungskette vor und legt eine zivilrechtliche Haftung fest. Unternehmen sind nicht nur für ihre direkten Vertragspartner verantwortlich, sondern auch für deren Zulieferer. Die Handlungsmöglichkeiten der Unternehmen sind begrenzt, und die Kontrolle gestaltet sich schwierig, besonders je weiter man in der Lieferkette zurückgeht. Allerdings soll das Gesetz erst ab 2032 (!) vollständig in Kraft treten – und auch nur für Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz über 450 Millionen Euro. Somit betrifft das EU-Lieferkettengesetz nur noch etwa 5500 Unternehmen in der EU, also nur ein Drittel der ursprünglich geplanten Anzahl.

Lieferkette ist nicht gleich Lieferkette

Die Facetten des EU-Lieferkettengesetzes sind vielschichtig, wie die Manager beim Roundtable »Supply-Chain« feststellen. Während alle Diskussionsteilnehmer dessen grundsätzliche ethische Bedeutung hervorheben, regt sich auch deutliche Kritik an der Ausgestaltung des Gesetzes. Ein wesentlicher Kritikpunkt: Lieferketten unterschiedlicher Branchen sind meist nicht vergleichbar.

Feiner Xaver
Xaver Feiner, Zollner Elektronik: »Es werden alle EU-Regularien gleichermaßen über alle Industrien gestülpt. Die EU differenziert nicht.«
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»In der Mode- und Textilindustrie gibt es absolute Befürworter des Lieferkettengesetzes«, erklärt Xaver Feiner, Vice President Marketing & Sales bei Zollner Elektronik. »Denn in dieser Industrie verbucht man das Gesetz im Hinblick auf Forced Labour als Erfolg.« Aber, so Feiner weiter, eine Lieferkette in der Textilindustrie sei bei Weitem nicht so komplex wie die Lieferketten der Elektronik-Industrie. »Dennoch werden alle EU-Regularien gleichermaßen über alle Industrien gestülpt. Die EU differenziert nicht. Für unsere Industrie ist das Gesetz eine große Herausforderung, weil unsere Lieferketten viel diffiziler sind. Positiv betrachtet sind derartige Regularen aber auch ein massiver Treiber der Digitalisierung, denn ohne Digitalisierung könnten wir all die geforderten Informationen gar nicht mehr beschaffen. Wir investieren daher massiv in die Vernetzung bzw. Digitalisierung.« – »Eine mögliche Lösung könnte die Implementierung von Blockchain-Technologie sein, um Transparenz entlang der gesamten Lieferkette sicherzustellen«, ergänzt Andreas Mangler, Director Strategic Marketing von Rutronik. »Aber auch die würde massiv Ressourcen, nämlich Energie, benötigen, um über die vielen Wertschöpfungsschritte nachvollziehen zu können, von der Kobaltmiene bis zur verbauten Batterie im Fahrzeug, um nur ein Beispiel zu nennen.«

Dennoch könnte sich das Gesetz auch als Innovationstreiber im Hinblick auf die Digitalisierung der Lieferketten erweisen. Immer wieder kritisieren Experten, dass die Firmen im Hinblick auf ihre Supply-Chain noch viel zu wenig innovationsfreudig und zu wenig vernetzt agieren. Man müsse sehen, was für uns als Industrie sinnvoll ist und wo unsere Industrie sozusagen nur Kollateralschaden des Gesetzes ist, merkt Georg Steinberger an, Vorstandsvorsitzender des FBDi. Zudem bekräftigt Andreas Mangler wie auch andere Teilnehmer der Runde, dass zusätzliche Personal-Ressourcen für die Umsetzung der Berichtspflichten notwendig sein werden, die nicht direkt auf die Wertschöpfung einzahlen. »Und zusätzliche Bürokratie ist eben immer ein Nachteil im globalen Wettbewerb«, stellt Dietmar Jäger fest, Leiter der Global Distributor Division von TDK.

Globales Vorbild oder Damoklesschwert für Europas Wirtschaft?

Auch Sven Krumpel, CEO von Codico, sieht das Gesetz kritisch, vor allem weil es ein weltweit singuläres Werk ist. Er argumentiert, dass Europa am Ende möglicherweise allein dasteht, wenn es um die konsequente Umsetzung geht und Europa Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen muss: »Damit schafft sich Europa selber ab!«

Jörg Strughold, President EMEA Components von Arrow, weist hingegen auf die relativ langen Implementierungsfristen des Gesetzes hin: »Man hat letztlich keine Wahl und muss den gesetzlichen Vorgaben Folge leisten. Insofern ist die Diskussion müßig. Jeder Teilnehmer an der Lieferkette muss die gleichen Regularien erfüllen und seinen Teil der Hausaufgabe machen.« Und er kann dem Ganzen durchaus etwas Positives abgewinnen: Strughold nennt als Beispiel den digitalen Produktpass, der durch derartige Vorgaben forciert werden könnte.

Fischer Sebastian
Sebastian Fischer, Traco Power: »Haftungsrisiken für eine dritte Partei zu übernehmen finde ich relativ absurd.«
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Nach Ansicht einiger Teilnehmer könnte das Lieferkettengesetz weltweit eine Art Vorreiterrolle übernehmen, ähnlich wie es bei REACH oder auch RoHS der Fall gewesen sei. »Ich gehe davon aus, dass sich dies einem Push/Pull-Prinzip folgend weltweit entwickeln wird«, meint Hermann Reiter, Global Strategic Business Development & Supplier Management von DigiKey. Und überdies gibt es in den USA bereits das Forced-Labour-Gesetz, das Firmen bei Verdacht auf Zwangsarbeit in ihren Produkt-Lieferketten mit Einfuhrbeschränkungen in die USA konfrontiert, schildert Rüdiger Scheel, Vice President Mobility von Murata. »Das ist allerdings kein Lieferketten-Gesetz im eigentlichen Sinne, sondern Protektionismus durch die Hintertüre, denn allein der Verdacht reicht für Sanktionen aus.« So könne man immer die »chinesische Karte« spielen.

Das Damoklesschwert des Gesetzes sehen einige Teilnehmer wie Sebastian Fischer, Geschäftsführer von Traco Power Deutschland, im erhöhten Haftungsrisiko: »Ich persönlich finde nicht einmal, dass das Lieferkettengesetz gut gemeint bzw. gedacht ist. Denn Haftungsrisiken für eine dritte Partei zu übernehmen finde ich relativ absurd. Wir alle sind natürlich daran interessiert, dass Menschenrechte eingehalten werden und wir sorgsam mit unseren Ressourcen umgehen. Aber aus meiner Sicht sollte die EU nicht so tief in den Wirtschaftskreislauf eingreifen. Es ist fraglich, ob damit letztlich etwas gewonnen wird. Ich gehe eher davon aus, dass man schlussendlich irgendwelche Zertifikate hin und herschickt.«

Hermann Reiter indes verweist auch auf die Vorteile des europäischen Haftungsprinzips, nach dem nur der tatsächlich entstandene Schaden bemessen wird, im Vergleich zum US-amerikanischen Modell, das auch bei bekanntermaßen absurden bzw. fiktiven Fällen wie »Katze in der Mikrowelle« einen Schadenersatzanspruch gewährt.

Steinberger befürchtet schlussendlich, dass das EU-Lieferkettengesetz vor einer ungewissen Zukunft steht, insbesondere mit Blick auf die nächste EU-Kommission. »Ich befürchte, dass viele der geplanten Maßnahmen wie das Lieferkettengesetz und auch der Green Deal massiv abgeschwächt werden könnten, weil zukünftige Entscheidungsträger möglicherweise kein Interesse daran haben, die soziale Verantwortung weiter zu forcieren. Eine solche Entwicklung wäre äußerst bedenklich für unsere globale Wettbewerbsfähigkeit.«


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