Schon vor dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine sagten Analysten für Komponenten und Subsysteme in diesem Jahr höhere Preissteigerungen als 2021 voraus. Die Auswirkungen des Ukrainekrieges in Form von Sanktionen und Sperrungen des Luftraums dürften diese Entwicklung noch beschleunigen.
Mit einem Plus von 25 Prozent stiegen die Preise für Rohstoffe und Industrieprodukte in Deutschland zum Jahresbeginn nach Angaben des Statistischen Bundesamtes so stark wie seit 1949 nicht mehr. Stärkster Preistreiber: der Energiesektor. Klammert man die Energiepreise aus, lagen die Erzeugerpreise nur um 12 Prozent über dem Vorjahreswert. Hohe Preissteigerungen gab es aber auch bei Vorleistungsgütern wie Metallen mit +36,9 Prozent.
Mit einer Abschwächung der Preissteigerung ist auch 2022 nicht zu rechnen, wie eine Umfrage der Markt&Technik unter Branchenverbänden und internationalen Analysten der Elektronikbranche ergab. Zudem dürften der Krieg in der Ukraine und die eingeleiteten Sanktionen des Westens gegen Russland dazu beitragen, dass die Inflation in Europa auf einem weit höheren Niveau bleibt als den von der EZB angestrebten 2 Prozent.
»Es gibt zwar Anzeichen dafür, dass sich die Engpässe in der Lieferkette allmählich auflösen, aber das bedeutet nicht das Ende der hohen Preise in der Lieferkette«, versichert Christian Lanng, CEO von Tradeshift. »Die Maßnahmen zur Sicherung der Lieferkette einschließlich der Erhöhung der Lagerbestände und der Diversifizierung der Lieferanten werden ihren Preis haben.«
»Angefangen bei der Rohstoffknappheit sowie damit verbunden extrem langen Vorlaufzeiten für Rohmaterialien und den daraus resultierenden steigenden Rohstoffpreisen über Schwierigkeiten beim Transport von Gütern bis hin zu den Auswirkungen von Covid-19 auf die weltweiten Lieferketten gibt es aktuell durch Arbeitsausfälle und Schwierigkeiten bei der Besetzung offener Stellen etliche Preistreiber am Markt, die alle zusammen auftreten«, so Ansgar Hein, erster Vorsitzender der SGET. »Preisanstiege von bis zu 40 Prozent bei Halbleitern setzen der kompletten Wertschöpfungskette zu und lassen sich nur bedingt durch Margenverzicht kompensieren.« Während sich der Preis eines Neuwagens im Mittel um 1 Prozent erhöht hat, sieht Hein in anderen Bereichen Preisanstiege bis 15 Prozent für Fertigprodukte.
»Wir haben eine Knappheit an fast allen Gütern, das gab es in der Form noch nie«, versichert ein Sprecher des Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik, kurz BME, »das treibt die Preise natürlich unglaublich in die Höhe«. Steigende Preise, so der Sprecher, »sind aber nicht der Auslöser für das Lieferkettenproblem, sondern umgekehrt«. In die aktuelle Entwicklung spielten viele Facetten hinein, etwa das Thema Seltene Erden oder Metalle im Allgemeinen; wie hier die weitere Entwicklung verlaufe, sei jedoch sehr schwer einzuschätzen, »da sich alle Rohstoffmärkte extrem volatil verhalten«. Aus Sicht des BME ist der Preis aber letztlich nicht das Problem: »Ein Einkäufer gibt lieber mehr Geld aus, wenn er das Produkt unbedingt braucht.«
Ob das immer so ist, hängt sicher auch vom Termindruck des Kunden ab und seiner Bereitschaft, Preisaufschläge zu akzeptieren. »Wir reden hier von 10-fachen bis 100-fachen Preissteigerungen für einzelne Komponenten«, erläutert denn auch Dr. C. Thomas Simmons, Geschäftsführer des AMA Verband für Sensorik und Messtechnik; »letztlich werden unsere Mitglieder die Preissteigerungen an ihre Anwender weitergeben müssen, da niemand diese enormen Einkaufspreise ohne Erhöhungen der Verkaufspreise abfangen kann.«
Mike Bähren, Leiter Betriebswirtschaft und Marktforschung bei Spectaris, dem deutschen Industrieverband für Optik, Photonik, Analysen- und Medizintechnik, ist skeptisch, inwieweit sich die Preissteigerungen an die Kunden weitergeben lassen: »In Gesprächen mit den Hauptlieferanten wird oftmals angestrebt, die geforderten Preiserhöhungen, sofern sie gerechtfertigt sind, zeitlich zu beschränken, um im Fall einer Normalisierung der Lieferketten zum alten Preisniveau zurückzukehren. Der Spielraum, kurz- bis mittelfristig die Preissteigerungen an die eigenen Kunden in einem nennenswerten Maße weiterzugeben, ist dagegen sehr gering.«
Für die Automobilindustrie, die es bislang gewohnt war, dass Preise jedes Jahr sinken, war 2021 ein außergewöhnliches Jahr, wie Phil Amsrud, Senior Principal Analyst Automotive bei IHS Markit, erläutert: »Ein Teil der Preiserhöhungen erfolgte in Average-Selling-Price-Erhöhungen, andere in Form von Last-Minute-Gebühren und anderen Servicegebühren, um die ASPs auf gleichem Niveau zu halten.« Das letzte Jahr war deshalb außergewöhnlich, denn es gab für die Automobilindustrie Preiserhöhungen innerhalb der Vertragslaufzeiten.
Nach Informationen von IHS Markit trafen die Preiserhöhungen aber nicht alle Produktkategorien. So sollen einige SoC-Lieferanten ihre ASPs 2021 nicht erhöht haben; dagegen waren bei MCUs zweistellige Preiserhöhungen zu verzeichnen. Aus Sicht von Amsrud bestand das größte Problem 2021 darin, dass die Nachfrage das Angebot überstieg und die Automobilindustrie mit anderen Märkten konkurrieren musste. Vor allem vor dem Hintergrund der anhaltenden Inflation rechnet Amsrud damit, dass der Aufwärtstrend bei den Kosten im Halbleiterbereich der Automobilindustrie auch 2022 anhält oder zumindest auf dem selben Niveau wie 2021 bleiben wird. »Im letzten Jahr hatte die Lieferkette einen großen Verhandlungsspielraum; die OEMs und die Tier-One-Unternehmen werden versuchen, diesen Einfluss zu verringern.«
Heruntergebrochen auf einzelne Produktgruppen aus dem Elektronikspektrum sehen die Analysten durchaus unterschiedliche Entwicklungen. So geht etwa Manuel Tagliavini, Senior Associate und Principal Analyst MEMS and Sensors bei Omdia, davon aus, dass der Krieg in der Ukraine, einem der Hauptlieferanten für Neon-Gas, das in der Halbleiterfertigung benötigt wird, sich nicht preistreibend auf die Halbleiterpreise auswirken wird, weil der Kostenanteil des Neon-Gases an den Gesamtkosten der Halbleiterfertigung zu gering ist. Vor dem Hintergrund von Rohmaterialverfügbarkeit und steigenden Energiepreisen rechnet er aber damit, dass es bei photoelektrischen Sensoren, die Laseremitter beinhalten, Preissteigerungen von 8 bis 18 Prozent gegenüber dem letzten Jahr möglich sind.
Dr. Dimitrios Damianos, Senior Technology & Market Analyst der Photonics & Sensing Division von Yole Développement, macht für die Preissteigerungen des letzten Jahres im MEMS-Bereich neben den gestiegenen Rohmaterialien und Wafer-Preisen auch Allokations-Effekte in einigen Foundries verantwortlich. Im Bereich Automotive-MEMS trugen die verringerten Bestellvolumina der Automobilhersteller zu höheren Preisen bei. Für das laufende Jahr rechnet Dr. Damianos mit maximal einstelligen Preiserhöhungen.
Seine Kollegin, Dr. Ana Villamor, Team Lead Analyst für Power Electronics bei Yole Développement, führt die Preiserhöhungen im Leistungshalbleiterbereich unter anderem auf einen gegenüber 2019 um bis zu 30 Prozent gestiegenen ASP für Silizium-Wafer zurück. Bezogen auf IGBTs und MOSFETs schlug sich das nach ihrer Darstellung in einem um 10 Prozent gestiegenen ASP gegenüber 2020 nieder. Vor dem Hintergrund des Ausbaus der Fertigungskapazitäten könnte der ASP bei Leistungshalbleitern 2022 geringer als 2021 ausfallen; »auf der anderen Seite werden sich gestiegene Rohmaterialpreise auf das Packaging niederschlagen«.
Im Bereich Stromversorgungen berichtet Dinesh Kithany, Gründer und Chief Analyst Wireless Power & Power Supplies bei WAWT, von Preissteigerungen von bis zu 35 Prozent, die jedoch nicht im vollen Umfang an den Markt weitergegeben wurden. AC/DC-Hersteller waren von dieser Entwicklung stärker betroffen als Hersteller von DC/DC-Wandlern. Einige OEMs, so Kithany, gingen bei ihren Kostenreduzierungen sogar so weit, dass sie einzelne Features ihrer Geräte wegließen, um Kosten zu sparen. Für das laufende Jahr rechnet er mit einer Fortsetzung der Preissteigerungen im Bereich von 20 bis 25 Prozent für die Stromversorgungshersteller; dies dürfte allerdings erst in der zweiten Jahreshälfte 2022 passieren.