Dreistelliges Plus in einem Jahr

RISC-V-Markt wächst rasant

8. Juli 2024, 15:00 Uhr | Iris Stroh
Calista Redmond, RISC-V International: »RISC-V hat viele Vorteile. Dazu gehört einerseits das enorme Marktpotenzial, sodass sich Investitionen durchaus lohnen. Andererseits weist die ISA wichtige technische Möglichkeiten auf, die Innnovationen erst ermöglichen, und RISC-V steht für eine weltweite Zusammenarbeit im Rahmen der Community.«
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Auf dem diesjährigen RISC-V Summit Europe 2024 in München zeigte sich Calista Redmond, CEO von RISC-V International, gut gelaunt – kein Wunder, denn RISC-V wächst und wächst und wächst.

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Laut ihrer Aussage ist der Umsatz auf dem gesamten RISC-V-SoC-Markt im letzten Jahr auf 6,1 Mrd. Dollar angewachsen. Das entspricht einem gigantischen Plus von 276,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und es soll rasant weitergehen. Sie prognostiziert, dass bis 2030 eine durchschnittliche Wachstumsrate von 47,4 Prozent erreicht werden wird, was 2030 einem Gesamtvolumen von 92,7 Mrd. Dollar entspräche. Für diese Wachstumsraten macht Redmond diverse Dinge verantwortlich. Zum einen sei RISC-V mittlerweile eine globale Standard-ISA (Instruction-Set-Architecture, Befehlssatzarchitektur), die in fast jedem Design zu finden ist. Zum anderen ermögliche sie dank der offenen Architektur eine weltweite Zusammenarbeit, auf die sich die Entwickler auch langfristig verlassen können, denn die ISA ist festgeschrieben, was auch für die Erweiterungen (Extensions) der ISA gilt. Laut Redmond steigt die Anzahl der Mitglieder bei RISC-V International weiter an, und »viele bereits bestehende Mitglieder steigen noch tiefer in RISC-V ein«, erklärt sie weiter.

Als Beispiel nennt sie unter anderem Google. Das Unternehmen hatte Ende 2022 angekündigt, dass Patches für RISC-V akzeptiert würden; im Herbst 2023 wiederum ließ das Unternehmen verlauten, dass RISC-V komplett in Android unterstützt werden soll. Zwar folgte im Frühjahr 2024 wieder ein Rückzug, aber Google betonte auch zu diesem Zeitpunkt, dass RISC-V-Architekturen weiterhin unterstützt werden sollen. Redmond weiter: »Nvidia war früher ein strategischer Partner, heute ist das Unternehmen ein Premium-Mitglied.« Auch das Anfang des Jahres gegründete Unternehmen Quintauris, bei dem sich Bosch, Infineon, Nordic, NXP und Qualcomm zusammengeschlossen haben, um einen RISC-V-Spezialisten zu gründen, ist für Redmond ein Beweis dafür, dass RISC-V seine Erfolgsgeschichte fortsetzt.

Dass inzwischen auch nicht mehr über einzelne Cores gesprochen wird, sondern über SoCs, ist für sie ebenfalls ein Indiz dafür, dass RISC-V längst den Kinderschuhen entwachsen ist. Redmond weiter: »Länder und Kontinente erkennen, dass eine Zusammenarbeit auf Basis von RISC-V entscheidend ist.« Und auch wenn die meisten multinationalen Konzerne bereits in eine andere Architektur investiert hätten, seien sie dennoch an RISC-V interessiert, beispielsweise um ihre Rechenzentren umweltfreundlicher zu gestalten oder weil sie sehr daran interessiert sind, nicht an einen bestimmten Anbieter gebunden zu sein – das gelte für die Lieferkette, aber auch für die strategische Roadmap dieser Unternehmen. Und klar: Auch in der Forschung ist RISC-V überaus beliebt, hier wird Zusammenarbeit seit jeher groß geschrieben, dementsprechend ist dieser Bereich auch genau der, der laut Redmond bei RISC-V am stärksten wächst.

Redmond Calista von RISC-V-International Auf dem diesjährigen RISC-V Summit Europe 2024 in München
Calista Redmond von RISC-V-International auf dem diesjährigen RISC-V Summit Europe 2024 in München
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Aber nicht nur Redmond glaubt an die Zukunft von RISC-V. Auch Edward Wilford, Senior Principal Analyst bei Omdia, ist überzeugt, dass die ISA glänzenden Zeiten entgegengeht. Das stärkste Wachstum soll im Automobilsektor erfolgen, wobei der industrielle Bereich die größte Anwendung für diese Technologie bleiben wird. So sollen bereits in diesem Jahr 30 Prozent aller RISC-Prozessoren in industriellen Geräten stecken, Tendenz steigend: »Zwischen 2020 und 2025 erwarten wir im IoT für RISC-V-Prozessoren eine durchschnittliche Wachstumsrate von 80 Prozent«, so Wilford weiter.

Dass Omdia Prozessoren als Maßstab für den Vergleich von RISC-V und anderen Prozessorarchitekturen wählt, begründet er folgendermaßen: »Es ist schwierig, eine nützliche Kennzahl zu finden, mit der man die verschiedenen Architekturen vergleichen kann, denn wenn man nur die Haupt-Cores zählt, sieht es so aus, als hätte Arm diesen unüberwindbaren Vorteil. Und wenn man nur die Kerne zählt, kommt man auf Entwicklungen wie von Esperanto, deren ET-SoC-1-Chip über mehr als tausend RISC-V-Kerne haben. Beides gibt nicht die Entwicklungen wieder. Wir zählen Prozessoren, weil das der beste Indikator ist, mit dem wir zeigen können, wie sich die Designs verändern«, so Wilford.

Aus seiner Sicht ist RISC-V am sinnvollsten, wenn es sich um neuartige Anwendungen handelt, bei denen ein Entwickler nicht bereits ein bestehendes Arm-Produkt im Einsatz hat. Und das ist nicht schlecht für RISC-V, denn mit dem Aufstieg von KI werde viel Neuland erschlossen, »und all das hat Potenzial für RISC-V«, so die Überzeugung von Wilford. KI stelle eine enorme Chance für RISC-V dar.

Omdia prognostiziert, dass zwischen 2024 und 2030 die Auslieferungen von RISC-V-basierten Prozessoren um fast 50 Prozent pro Jahr zunehmen werden und im Jahr 2030 bei 17 Milliarden Prozessoren liegen werden. Es wird erwartet, dass 46 Prozent dieser Prozessoren in industriellen Anwendungen zu finden sein werden, obwohl das größte Wachstum während des Prognosezeitraums wie bereits gesagt im Automobilsegment zu verzeichnen sein wird; hier erwartet er einen Zuwachs von 66 Prozent pro Jahr. »Die Automobilindustrie befindet sich in einem rasanten Wandel, und Halbleiter sind für jedes Element dieses Wandels entscheidend«, so Wilford. »RISC-V hat einzigartige, wünschenswerte Aspekte für die Automobilindustrie – sie kann ihre Designs mit RISC-V auf eine Art und Weise besitzen, wie es mit einer lizenzierten ISA nicht möglich ist, und in Gesprächen in der Industrie wird dies wirklich als ein wichtiges Element hervorgehoben.« Gleichzeitig prognostiziert Omdia eine starke Zunahme des Einsatzes von KI in Automobilanwendungen, wobei autonomes Fahren, fortschrittliche Fahrerassistenzsysteme (ADAS) und Infotainment im Fahrzeug (IVI) KI nutzen werden, um jedes System leistungsfähiger zu machen. »Es besteht kein Zweifel, dass KI einer der größten Treiber für die Einführung von RISC-V in vielen Segmenten sein wird; die Effizienz und Skalierbarkeit von RISC-V eignet sich hervorragend für die Entwicklung von Prozessoren zur Durchführung von KI-Operationen«, so Wilford.

Dr. Philipp Tomsich, Gründer und Chief Technologist von Vrull und Vice Chair of the Technical Steering Committee bei RISC-V International, argumentiert in dieselbe Richtung wie Wilford: »RISC-V ermöglicht das freie Hinzufügen domänenspezifischer Beschleuniger. Wenn ein Entwickler x86 nutzt, hat er die Freiheit, zwischen AMD und Intel zu wählen. Bei Arm hat er die Freiheit, entweder einen fertigen Kern zu wählen oder eine Architekturlizenz zu erwerben, aber damit ist keine wirklich freie domänenspezifische Trennung möglich. Mit RISC-V hat der Entwickler alle Freiheiten und kann alles tun, was für seinen speziellen Anwendungsfall notwendig ist. Und das ist genau der Punkt, an dem RISC-V voll zur Geltung kommt. RISC-V bietet die Flexibilität, die RISC-V-Cores anzupassen. Wir können spezifische Erweiterungen hinzufügen, wir können verschiedene Matrixerweiterungen haben. Wir können den Kern so optimieren, dass er sich hervorragend für Transformatoren und CNNs eignet. Alles ist möglich.«

Geopolitische Strömungen – ein Problem für RISC-V?

Chinesische Firmen setzen bereits seit längerer Zeit auf RISC-V, sicherlich auch deshalb, weil sie damit weniger oder keine Befürchtung haben müssen, dass ihnen der Zugang zu Arm vielleicht doch noch untersagt werden könnte. Die Frage ist aber, inwieweit das auch für die Zukunft zutrifft. Während des RISC-V Summit Europe 2024 kam nämlich die Frage auf, ob die US-Regierung nicht auch bei RISC-V eingreifen könnte. Die Beispiele, in denen die US-Regierung den Handel mit chinesischen Unternehmen untersagt, sind bekanntermaßen vielfältig. Anfang dieses Jahres hatte beispielsweise die niederländische Regierung dem Lithografie-Experten ASML bestimmte Exportlizenzen für das Geschäft mit China entzogen. Auch hier gab es Vorwürfe aus den USA, dass Peking die Technologie für militärische Zwecke nutzt.

Wie beurteilt RISC-V International die Lage, gibt es bereits Strategien auf Organisationsebene, um auf eventuelle Eingriffe seitens der USA zu reagieren? Tomsich erklärt: »Wir haben einen Council für Regierungsangelegenheiten, der bereits aktiv ist.« Ob es zu Eingriffen kommen kann, will er nicht vorhersagen, er betont aber abschließend, dass RISC-V International die Kommunikationskanäle offenhalten wird und versucht, sicherzustellen, dass die Grundlage dafür nicht verloren geht.


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