Die rasche Formulierung eines tragfähigen ökologisch-ökonomischen Gesamtkonzepts für die anstehende Umsetzung des Green Deals der EU fordert Karsten Bier, CEO von Recom, von der neuen deutschen Bundesregierung.
Markt&Technik: Herr Bier, in Deutschland, ihrem wichtigsten Absatzmarkt, wurde Ende September gewählt. Welche Erwartungen haben Sie als Unternehmer an die neue Bundesregierung?
Karsten Bier: Ich bin mit dem Ergebnis der Wahl aus Unternehmersicht zufrieden. Eine mögliche Rot-Rot-Grün-Koalition wurde abgewendet. Ich denke, das Ergebnis ist herausfordernd und zwingt die Verantwortlichen zu neuen Konzepten und Konstellationen. Die größte Herausforderung dürfte sein, ökonomische Realisierungsmöglichkeiten für notwendige ökologische Veränderungen auszuloten. Ich denke auch, dass sich in der überwiegenden Entscheidung der Erstwähler für Grüne und FDP der Fachkräftemangel in Deutschland abbildet. Die jungen Leute wollen Konzepte für die Zukunft, die mithelfen, ihren Lebensplan umzusetzen. Das wird nur gelingen, wenn alle an einem Strang ziehen und man sich nicht in Alte und Junge auseinanderdividieren lässt.
Sie haben in Österreich, auch wenn Kanzler Sebastian Kurz nun zurücktreten musste, bereits Erfahrungen mit einer schwarz-grünen Regierung sammeln können. Wie lautet da Ihr bisheriges Fazit aus Unternehmersicht?
Ich denke, wir haben da bisher sehr gute Erfahrungen gemacht. Zu den Glanzstücken der aktuellen österreichischen Regierung gehört bisher sicherlich die ökologische Steuerreform! In dieser Regierungskonstellation sind die Grünen gefordert, ökologische Ziele vom Wirtschaftsaspekt her zu formulieren. Auf der anderen Seite ist der Industrie klar, dass die angestrebten Umweltziele nicht zum Nulltarif zu haben sind. Das neue Denken muss sich aber dergestalt niederschlagen, dass etwas nur dann ökologisch sein kann, wenn es auch eine ökonomische Relevanz hat. Man darf Ökologie nicht nur den Marketingleuten überlassen! Sie muss flankiert werden von guten holistischen Konzepten.
Aber geht es in Zukunft nicht nur um Ökologie im Einklang mit ökonomischen Prinzipien, sondern auch darum, sich in Europa verstärkt für ein Szenario abschottender Märkte wie China und die USA vorzubereiten?
Richtig, eigentlich stehen wir da vor einem Paradoxon. Wir produzieren in der DACH-Region und in Europa bislang vor allem für den Export. Als Konsequenz dessen ist unsere Supply Chain überwiegend dort aufgestellt, wo die großen Consumer-Kunden sind – in Asien. Welche Auswirkungen das hat, zeigt aktuell die Situation auf dem Halbleitermarkt. Vom Weltmarktvolumen von rund 425 Milliarden Dollar entfallen mehr als die Hälfte des Umsatzes auf acht oder neun Unternehmen. Nur etwa 10 Prozent entfallen auf die Elektronikindustrie in Europa, die sich vor allem auf Automotive und Industrieelektronik konzentriert. Jetzt wird darüber diskutiert, mit Milliardenunterstützung der EU die europäische Halbleiterindustrie zu subventionieren. Die dabei genannten Summen sind in meinen Augen lächerlich im Vergleich zu den Summen, welche die USA, Korea und China dazu in die Hand nehmen! Wichtig ist, dass es in Europa in Zukunft wieder einen engeren Zusammenhang zwischen End-Applikation und Supply Chain gibt. Brüssel muss die Investitionen in die europäische Infrastruktur und die damit einhergehenden End-Applikationen vorantreiben, um eine werthaltige Supply Chain zu etablieren.
Bedeutet das von verschiedenen Seiten postulierte Ende der Globalisierung dann auch das Ende der dynamischen Wachstumsraten der letzten zwei Jahrzehnte?
Globalisierung ist schlicht nicht mehr identisch mit endlosem Wachstum. Die ökologischen Folgen einer ungehemmten Globalisierung werden nicht mehr widerspruchslos hingenommen, und da ist ein monströser CO2-Fußabdruck nur ein Teil des Problems. Die Zukunft wird meiner Einschätzung nach in der Glokalisierung, also das Anpassen der Globalisierung an die lokalen Realitäten, liegen. Aber Technologieführerschaft ist eben nur mit einem eigenen Absatzmarkt realisierbar. Für die Realisierung dieses Ansatzes brauchen wir jetzt aber ökologisch-ökonomische Leitlinien. Wir müssen hier die Federführung ergreifen und ein zukunftsgerichtetes Konzept erarbeiten!
Unter dem Eindruck der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie ist nicht nur die Elektronikbranche nahe an ihre Belastungsgrenze gekommen. Wirft das nicht auch grundsätzliche Fragen auf?
Wir kommen aus dem ständigen Krisenmanagement nicht mehr heraus, die Krise ist zu einem Dauerzustand geworden. Gleichzeitig wurde uns unsere massive geopolitische Abhängigkeit vor Augen geführt. Schaut man sich die diversen Just-in-Time-Konzepte der Wirtschaft an, dann funktionieren die aber nur unter stabilen Rahmenbedingungen! Bei der Lösung dieser Probleme muss man die jüngere Generation aber mitnehmen, sie muss Teil des Lösungskonzeptes sein. Jedem muss klar sein: Grün kommt zu einem Preis. Dafür brauchen wir eine Art grünen Marschallplan.
Recom hat als global agierendes Unternehmen in den letzten zwei Jahrzehnten extrem von der Globalisierung und multilateralen Handelsbeziehungen profitiert. Wie stellen Sie sich den anstehenden Veränderungen?
Unsere Lösung heißt Glokal. Nur so können wir unseren ökologischen Footprint verbessern. Waren und Personal ineffizient rund um den Globus zu senden ist nicht mehr zeitgemäß. Bekommen unsere Kunden ein attraktives, lokales Angebot, werden sie lokal einkaufen. Wir sind global und gleichzeitig lokal aufgestellt und können somit flexibel agieren. Natürlich müssen wir die ökonomischen Aspekte im Auge behalten. Wenn es in einer Region, in der wir Entwicklungs- oder Fertigungskapazitäten haben, zu einem Lockdown kommt, können wir auf andere Standorte ausweichen. Unser Marktfokus liegt auf der Energiewende und der einhergehenden Veränderung des Transports und der Mobilität. Diese Anwendungssegmente des Marktes können wir durch unsere Produkte mitgestalten. Einen entscheidenden Schritt in diese Richtung haben wir vor zweieinhalb Jahren mit der Übernahme von PCS in Italien gemacht. Seitdem sind wir auch im Bereich hochwertiger, hochkomplexer Stromversorgungen unterwegs. Aber uns ist es auch gelungen, gleichzeitig unsere AC/DC-Modul-Produktion in Xiamen, China, von anfangs 3,5 Millionen Modulen im Jahr auf voraussichtlich 5 Millionen Module im nächsten Jahr zu steigern. Unsere Module finden unter anderem reißenden Absatz in der Realisierung von Chargern und Wallboxen.