Software-Probleme, die deutschen OEMs verlieren Marktanteile in dem für sie wichtigen chinesischen Markt, »Made in China« wird zum Exportschlager am Automobilmarkt – es läuft für die deutschen OEMs nicht gut. Wie schätzen die Spezialisten von S&P Global Mobility die Situation ein?
Software-Defined Vehicle – jeder OEM schreibt sich dieses Thema auf die Fahnen. Manche haben allerdings bei der Umsetzung enorme Probleme – Cariad ist ein berühmtes Beispiel dafür. Woran liegt das? Tawhid Khan, Director Automotive Software bei S&P Global Mobility, macht den Unterschied zwischen Theorie und Praxis dafür verantwortlich. Er erklärt, dass die Software-Probleme von VW und deren Software-Tochter Cariad deutlich zeigen, dass es zwar theoretisch eine gute Idee war, die Kontrolle über die Software in die eigene Hand zu nehmen, insbesondere um die Kosten niedrig zu halten, die Auslieferung zu beschleunigen, die Einnahmen aus Software-Dienstleistungen zu steigern und sich vor Cyber-Schwachstellen zu schützen.
Aber: »In der Praxis hat es sich jedoch als äußerst schwierig erwiesen, diesen Ansatz in die Realität umzusetzen, was dazu führt, dass die Software nach wie vor ein Problem bei der Markteinführung von Fahrzeugen darstellt und die Kunden unzufrieden sind, insbesondere bei Elektrofahrzeugen.« Dass zwischen Theorie und Praxis ein so großer Unterschied besteht, führt er auf mehrere Herausforderungen zurück, unter anderem mit der Fehleinschätzung in Hinblick auf die Komplexität der Software. In diesem Zusammenhang verweist Khan auf ein VW-Autoprojekt, das mehr als 20 Millionen Zeilen Code umfasste, die von den Technologiepartnern und Zulieferern geschrieben wurden, während gleichzeitig auch noch 15,5 Millionen Zeilen Code in das bestehende Softwaresystem integriert wurden.
Dafür wurden insgesamt 1200 Softwareentwickler für 2,5 Millionen Personenstunden eingesetzt, die wiederum knapp 77.000 Software-Anforderungen erfüllen sollten. Khan merkt an: »Dies ist eine sehr große Aufgabe für einen OEM, der traditionell auf die Integration mechanischer Teile ausgerichtet ist.« Dieses Projekt veranschaulicht für ihn auch die Herausforderungen, die bei der Integration und Validierung eines softwarelastigen Projekts in der Automobilindustrie auftreten. »Die Folge: Die Probleme wirkten sich auf die Hauptkennzahlen des Projekts aus, sprich: Zeitplan, Personalaufwand und Kosten der Entwicklung«, erklärt Khan weiter. Da die softwarelastige Entwicklung für alle Beteiligten dieses OEM ein neues Unterfangen war, benötigten die Ingenieure zusätzliche Zeit, um die Software-Anforderungen zu ermitteln und entsprechende Lösungen zu entwickeln, um die Inkompatibilität der Anforderungen mit den festgelegten Testverfahren zu lösen. »Dies führte zu zusätzlicher Komplexität und Zeit und damit zu höheren Entwicklungskosten«, erklärt Khan.
Hinzu kam noch, dass die neue Architektur der Softwareplattform für den Automobilhersteller zwar ein Schritt in Richtung Software-Autonomie darstellte, dafür aber alte Ressourcen genutzt wurden und dementsprechend auch kein robuster Rahmen für Software-Updates und -Upgrades verfügbar war, was sich wiederum auf die Hardware-Architektur und damit auf die Qualität des Produkts auswirkte.
Hardware- und Software-Lebenszyklen trennen
Khan ist überzeugt, dass der Schlüssel zum Erfolg künftiger softwaredefinierter Fahrzeuge in der Trennung des Software-Lebenszyklus vom Fahrzeug-Lebenszyklus liegt, sodass die Softwarekomplexität die Fahrzeugentwicklung nicht beeinflusst und beide unabhängig voneinander ablaufen können, »etwas, das die Mobiltelefonindustrie sehr gut beherrscht«, so Khan weiter. Darüber hinaus empfiehlt er auch eine klare Trennung zwischen Hardware und Software mit standardisierten Schnittstellen und APIs, denn damit ließe sich sicherlich die Entwicklungseffizienz verbessern.
Für Khan gibt es aber noch weitere Ansatzpunkte, mit denen die OEMs dem Ziel eines softwaredefinierten Fahrzeugs näherkommen könnten. Zwar würden viele OEMs Teslas Ansatz in der Entwicklung bewundern, bei dem das Kundenerlebnis im Mittelpunkt steht, trotzdem würden sich die traditionellen OEMs immer noch auf die alten Markenwerte und ihre DNA konzentrieren. Dementsprechend profitiert Teslas firmeneigene serviceorientierte Architektur von der vertikalen Integration bis hinunter zum Technologie-Stack, während traditionelle OEMs nach wie vor in hohem Maße von den Teilprodukten ihrer Zulieferer und teilweise von firmeneigenen Anstrengungen abhängig sind. Khan erklärt weiter: »Die Berücksichtigung bei Tesla von allen funktionalen Anwendungsfällen vor dem Hardwaredesign erleichtert die Kontrolle der Systemkosten, die Vereinfachung der Benutzerschnittstellen und die Nutzung der internen Software-Entwicklung zur Verbindung der Funktionseinheiten. Diese Maßnahmen erhöhen nachweislich die Kundentreue und -zufriedenheit und steigern die Markenwahrnehmung.«
Abschließend betont er: »Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass kurz- bis mittelfristig die OEMs nicht in der Lage sein werden, die Software vollkommen allein zu entwickeln, es sind vielmehr solide Partnerschaft notwendig, und es zeigt sich ja bereits, dass viele OEMs genau in diese Richtung gehen. Mittlerweile ist es das Ziel, sich auf der Silizium-Ebene zu differenzieren, und daher erlebt der Markt eine Flut von Presseberichten über Partnerschaften zwischen OEM und Halbleiteranbieter wie zum Beispiel die Nvidia-Partnerschaften.«
Deutsche OEMs verlieren Marktanteile in China, und nun?
Deutsche OEMs verlieren Marktanteile in China, während chinesische OEMs zunehmend in Märkte außerhalb Chinas, einschließlich Europa, vorzudringen scheinen. Colin Couchman, Executive Director Light Vehicle Sales bei S&P Global Mobility, ist überzeugt, dass NEVs (New Energy Vehicles, in China der Ausdruck für Fahrzeuge, die mit Alternativantrieben arbeiten) den chinesischen OEMs, aber auch Tesla das Spielfeld geebnet haben, »und die wichtigsten Akteure haben diese Chance mit beiden Händen ergriffen«, so Couchman weiter. Viele ausländische OEMs, aber auch JV-OEMs in China hinken bei NEVs hinterher, während sie gleichzeitig damit zu kämpfen haben, ihre meistverkauften Marken mit Verbrennungsmotor auf dem chinesischen Markt zu halten.
Couchman ist überzeugt, dass die Europäer ihr Engagement für NEVs in China verdoppeln müssen und auch das Image in Hinblick auf die wahrgenommenen Probleme in den Bereichen Software, Benutzeroberfläche, Innenausstattung, Technik, Modellfrische und Anpassung an das anspruchsvolle, oft jüngere chinesische Käuferprofil verbessern müssen. Couchman: »Auf der Shanghai Motor Show 2023 waren etwa 70 der 100 ausgestellten Fahrzeuge elektrisch, wobei die Modelle der chinesischen Marken zu den interessantesten der Messe gehörten. Einige ausländische OEMs waren sichtlich erschüttert von der Messe.« Und weiter: »Wie wir alle wissen, haben die traditionellen OEMs außerhalb Chinas erhebliche Probleme, die Nachfrage nach ICE- und EV-Fahrzeugen zu befriedigen, und die chinesischen OEMs wollen das auszunutzen.«