Am WEKA-Stand auf der electronica 2022 traf sich das Who-is-who der Embedded-Branche zum Roundtable. Themen gab es genug: neue Computermodulstandards, Bauteilknappheit sowie steigende Inflation und Energiekosten. Nicht nur angenehme Themen, doch die Embedded-Branche nimmt die Herausforderungen an.
Der erste Teil der Diskussionsrunde stand ganz im Zeichen der Standardisierung und der Frage, ob es sinnvoller ist, auf proprietäre oder auf offene Computermodulstandards zu setzen. Christian Eder, Director Marketing bei Congatec und Chairman der PICMG Working Group für COM-HPC, setzt sich seit Langem für die Standardisierung von Computer-on-Modules (CoMs) ein. Er vergleicht die Modulstandardisierung mit der Erfindung der Schraube: Diese Innovation habe eine ganze industrielle Revolution ermöglicht, so sei es ebenfalls im Embedded-Computing-Bereich. »Der ETX-Standard wurde 1999 beschrieben, danach folgte COM Express – beide mit sehr großer Erfolg – und nun COM-HPC als der legitime Nachfolger. Innovation geht einher mit Standardisierung«, so Eder.
Allerdings könnte man argumentieren, fehle es mit der Standardisierung an der nötigen Flexibilität. Eder widerspricht: »Gerade mit den Bauteilknappheiten ist es wichtig, auf Second Sources zurückgreifen zu können«. Wer auf Standardmodule setze, habe deutlich weniger Schwierigkeiten, ein Projekt umzusetzen. Zudem entwickeln sich Standards stetig weiter, zu sehen bei Qseven, SMARC oder COM-HPC. »Mit COM-HPC Mini arbeiten wir gerade an einem kleineren Formfaktor mit weniger Funktionen, für mobile Anwendungen geeignet«.
Da viele etablierte Embedded-Unternehmen auf Standards setzen, könnte man annehmen, freuen sich Hersteller proprietärer Formate – wie TQ – über die entstehende Marktlücke. Stefanie Kölbl, Bereichsleiterin TQ-Embedded und Leiterin Obsolescence-Management und Component Engineering bei der TQ-Group, sieht ein gutes Mischkonzept als den Erfolgsfaktor Nummer 1. »Wir setzen neben unseren eigenen TQ-Formfaktoren ebenfalls auf Standards, zum Beispiel auf SMARC, engagieren uns in der SGET. Letztendlich gibt es mit der Standardisierung keine eierlegende Wollmilchsau, die alle Anforderungen erfüllt. Hier sind die proprietären Standards sehr hilfreich. Wir sehen Anforderungen, die Standards nicht abdecken.« Teilweise sei die Leistungsdichte mit dem eigenen TQ-Formfaktor deutlich höher als das mit Standardprodukten erreichbar wäre. »Wir folgen den Trends der Branche und setzen diese als Produkte um«, erklärt Kölbl.
Fraglich ist zudem, ob die Interoperabilität funktioniert, ob Standards in der Praxis wirklich angenommen werden. »Natürlich ist es ein steiniger Weg von der Theorie bis zur Umsetzung eines neuen Standards«, meint Christian Eder. So gäbe es laufend Anpassungen der Software, von Treibern oder Adaptionen für andere SoCs. »Letztendlich kann ich mit einem Standard aber leicht auf einen anderen Lieferanten wechseln.« So müssen Entwickler bei einer Bauteilunverfügbarkeit nicht komplett von vorne beginnen – das gebe Sicherheit, so Eder weiter.
Auch Dirk Finstel, Geschäftsführer bei Seco Northern Europe, unterstützt das: »Nach fast 30 Jahren der Standardisierung haben wir ein sehr hohes Level erreicht. Jeder in der Runde kann behaupten, dass man in den letzten zwei Jahren den Wettbewerber akzeptieren musste, weil man nicht liefern konnte. Es hat sich gezeigt, dass innerhalb weniger Wochen und Monate ein Austausch von Modulen erfolgen konnte. Andererseits belebt Wettbewerb das Geschäft – das tut uns allen gut.«
»Der größte Vorteil, den wir bei Standards sehen, ist die Unabhängigkeit«, sagt Florian Haidn, Geschäftsführer bei Aaronn Electronic. »Unser Geschäft basiert auf den Standards, den die Gremien erarbeiten. Sind diese verabschiedet, gibt es eine ganze Reihe an Herstellern, die die Standards in Produkte umsetzen. In den vergangenen beiden Jahren haben wir beobachtet, dass Designs, die auf Standards basieren, besser durch die schwere Zeit gekommen sind.« Zusätzlich geben Standards Designsicherheit. Als Entwickler könne man sich darauf verlassen, dass der Standard über viele Jahre verfügbar ist. »Außerdem kann ein Entwickler jederzeit auf eine neue Technologie skalieren«, so Haidn weiter. »Standards bieten eine gewisse Flexibilität«, meint Jens Plachetka, Manager Board Platforms bei Avnet Embedded. »Ich bin immer wieder überrascht, welche Nachfrage neue Standards im Markt erzeugen«, so Plachetka.
Könnte man meinen, die Embedded-Branche sei sehr auf Europa fixiert, so sitzen doch viele Kunden in Asien. Somit stellt sich die Frage, ob die Kunden dort überhaupt an Standards interessiert sind. Letztendlich stamme die Tradition des Computermoduls aus Deutschland, daran werde sich nichts ändern, meint Dirk Finstel. »Mit Modulen gelingt der Technologieapproach deutlich schneller, die Time-to-Market verkürzt sich. Wir müssen die neueste Technik innerhalb von sechs bis zwölf Monaten unseren Kunden bereitstellen. Unser Business ist getrieben von Innovation, das wird auch so bleiben. Mit der SGET sind wir in der Lage, Standards innerhalb von wenigen Monaten abzuschließen. Das zeigt die Innovationskraft des Standortes Europa«, so Finstel.
Umso größer ist die Leistung zu bewerten, die die Standardisierungsgremien leisten. Wie man es geschafft hat, die Standardisierung so zu beschleunigen, erklärt Christian Eder: »Bei der PICMG sind wir deutlich schneller geworden, das haben wir nicht zuletzt der Konkurrenz mit der SGET zu verdanken.« So habe die Umsetzung von COM-HPC lediglich drei Jahre gedauert, eine kurze Zeit, betrachtet man die Komplexität mit etwa 500 Seiten an Dokumentation, erklärt Eder.
Zudem haben die Standards in den letzten beiden Jahren dabei geholfen, die Bauteilknappheit besser zu überwinden. Jedoch ist das von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. »Vergleicht man die Verfügbarkeit von den SMARC-Produkten mit den TQ-Standards, gibt es lediglich geringe Unterschiede. Letztendlich haben wir festgestellt, dass die Kommunikation zu den Herstellern das A und O ist«, berichtet Stefanie Kölbl. »Früher hatten wir wenig Kontakt zu großen Herstellern, das hat sich inzwischen stark geändert«. »Wir haben versucht, unsere Kunden zu motivieren, sich bereits beim Design lediglich auf Bausteine zu fokussieren, die standardisiert sind. So konnten die Kunden von Hersteller A auf B oder C wechseln. Designs waren für diese Kunden leichter umzusetzen als für andere«, meint Florian Haidn.
»Nicht zu unterschätzen ist, dass es Bestrebungen gibt, Software zu standardisieren«, gibt Richard Pinnow, Business Development Manager für CoMs bei Adlink Technology, zu bedenken. »Hier gibt es bereits Bewegungen, zum Beispiel das Arm »SystemReady«-Programm. Hiermit können wir ebenfalls im Arm-Bereich in Zukunft mit Standardisierung erfolgreich sein. Unsere Kunden haben es in den letzten zwei Jahren sehr geschätzt, eine Second Source zu haben und das werden wir in den nächsten Jahren auch im Arm-Bereich sehen«, so Pinnow.
Thomas Kaminski, Director Product Sales Management bei Advantech, stimmt seinen Vorrednern zu. »Ich versuche, das Ganze von Kundenseite zu betrachten. Versorgungssicherheit und Standardisierung gehen Hand in Hand. Wir hatten viele Kunden in Europa, deren Produktion stillgestanden hätte, hätten sie nicht einfach von Modul A auf Modul B wechseln können. Solange wir unsere Märkte versorgen können, wachsen die Märkte, wachsen unsere Kunden und wir können mitwachsen. Wir werden die Standardisierung weiter pushen, um in erster Linie dem Kunden zu helfen«.
Gute Signale auf der Messe beobachtete Dirk Finstel und erwartet, dass sich die Lieferzeiten von mehr als 52 Wochen endlich reduzieren. Jedoch gelte das in erster Linie für neue Technologien und nicht für alle Bauteile gleichermaßen. Gerade bei Displays und alten Halbleitertechnologien sieht er nach wie vor lange Lieferzeiten. Es sei wichtig, Kunden zu ermuntern, in neue Technologie zu investieren, um Lieferzeiten zu verbessern.
Viele Komponentenhersteller finden derzeit Abnehmer mit wesentlich besseren Margen als sie die Industrie bietet. So wurden viele alte Komponenten abgekündigt. Wichtiger denn je, sich im Unternehmen mit dem Thema Obsolescence zu befassen.
»Alte Technologie durch neue zu ersetzen, ist die Stärke jedes Modulkonzeptes. Hiermit lässt sich leicht eine alte Chipgeneration durch eine neue ersetzen. Auf der anderen Seite kann ich mit einem Wechsel meinen Energiebedarf reduzieren, gerade wenn eine Applikation rund um die Uhr läuft«, erklärt Christian Eder.
Bei TQ sei das Obsolecence-Management schon immer ein Kernthema, da man Branchen wie Luftfahrt und Medizintechnik bediene, meint Stefanie Kölbl. »Ich verstehe, dass es oft effizienter ist, auf neue Produkte zu wechseln, weil sie weniger Leistung aufnehmen und effizienter arbeiten. In manchen Bereichen ist das aber nicht machbar. Manchmal ist es nachhaltiger, die Produkte zu behalten, die bereits im Einsatz und qualifiziert sind«.
»Sektoren wie Automotive fordern eine lange Verfügbarkeit – sie saugen die alten Bauteile vom Markt«, meint Thomas Kaminski. »Es läuft auf eine gute Balance zwischen Upgrading und Gewährleisten der Versorgungssicherheit hinaus«. Obsolescence sei seit jeher die DNA der Embedded-Branche gewesen, unterstreicht Dirk Finstel. Nun sei man zusätzlich gezwungen, tiefer in die Supply-Chain-Thematik einzutauchen. »Unser Geschäftsmodell ist es, zwischen der alten und neuen Generation zu schweben und Dinge möglich zu machen, die andere Firmen nicht möglich machen können – zudem Produkte über zwei Jahrzehnte aufrechtzuerhalten. Das bringt Gewinne, mit denen wir unsere neuen Technologien finanzieren«.
Ob die alten Geschäftsmodelle auch in Zukunft erfolgreich sind, ist jedoch fraglich. Der Markt verändert sich, gerade im Konsumgüterbereich ist die Nachfrage stark zurückgegangen. Dass sich die Situation auf den Industriesektor spiegeln lässt, ist nicht abzusehen. »Wir verzeichnen Rekord-Design-Wins und sehen eine sehr große Nachfrage in den nächsten fünf bis zehn Jahren«, meint Jens Plachetka. »Projekte, die Ende 2020 oder 2021 geplant waren, laufen langsam wieder an, gerade die Automation wird andere Bereiche mehr als kompensieren«, berichtet Stefanie Kölbl. »Langsam haben Entwickler wieder Zeit und Muße neue Dinge anzupacken, sich mit neuen Projekten zu beschäftigen«, weiß Florian Haidn.
Trotz der großen Nachfrage gibt es Faktoren, die die Marktentwicklung bremsen könnten. Das sind die rapide steigenden Energiekosten, die hohe Inflationsrate sowie der Fachkräftemangel. So setzt zum Beispiel Avnet Embedded im neuen Werk in Freiburg auf Autarkie, mit eigener Strom- und Wärmeerzeugung. »Wir wollen den CO2-Fußabdruck deutlich reduzieren sowie unabhängig von derzeitigen Energiepreisen sein«, erklärt Jens Plachetka. Gleiches gilt für TQ: »Wir haben auf allen Fertigungshallen PV-Anlagen installiert, die uns eine gewisse Autarkie ermöglichen«, berichtet Stefanie Kölbl.
»Der Markt wird sich in den nächsten zwei Jahren stark verändern«, meint Thomas Kaminski. »Wir stehen am Anfang einer gefährlichen Spirale. Wenn wir diese nicht gemeinsam durchbrechen, kann das einen massiven Einfluss für Europa bedeuten«. Mit dem European Chips Act ergebe sich die Chance, eine neue Unabhängigkeit zu erreichen, berichtet Dirk Finstel und unterstreicht: »Wir müssen den Technologiestandort Deutschland und Europa weiter ausbauen, auch für die junge Generation«