Abgesehen von den heraufziehenden Problemen durch die hohen Energiepreise sehen die versammelten Leistungshalbleiterspezialisten vor allem bei ihren mittelständischen Kunden ein wachsendes Problem – Stichwort: Kapitalbindung. Man sehe bei Projektkunden, dass die auf Lager produzieren, weil ihnen entscheidende Komponenten fehlten, um die Produkte fertig zu bauen und verkaufen zu können. Damit bekämen diese Kunden Finanzierungsprobleme. Sie würden auf die Bremse treten und auch ihre georderten Bauelemente nicht mehr im ursprünglich vorgesehenen Umfang abnehmen. »Der Bedarf zu produzieren ist weiterhin da«, so die Diskussionsteilnehmer, »es scheitert aber daran, dass schon so viele Produkte produziert wurden, die aber noch nicht fertig sind und nicht verkauft werden konnten«.
Auf die Frage, was sie in diesem Jahr wirklich überrascht habe, kristallisieren sich vor allem zwei Aspekte heraus. »Was mich wirklich überrascht hat, ist die Tatsache, wie stark bei Neuprojekten inzwischen lokale Lieferketten in den Vordergrund gerückt sind«, stellt Grasshoff fest; »das gilt nicht nur für Europa, sondern auch für China und die USA«. Angesichts der Krisen der jüngsten Vergangenheit richten die Kunden inzwischen wirklich ihr Augenmerk darauf, wie sie im Krisenfall die Verfügbarkeit ihrer Waren sichern können. »Das Thema Lokalisierung ist inzwischen zu einem wichtigen Vergabekriterium auch bei Verträgen geworden«, versichert Grasshoff. Für den exportgetriebenen deutschen Mittelstand sieht er damit ein Problem erwachsen, »denn die können sich nicht leisten, sich auf drei Wirtschaftsräume aufzuteilen«.
Auch Gerkensmeyer registriert, »dass immer mehr große Industrien, aber auch Firmen unabhängiger von einzelnen Handelszonen werden wollen; gleichzeitig wollen sie in den einzelnen Handelszonen autarker werden« – eine Entwicklung, die er auf das gefühlte Risiko zukünftiger Handelskriege zurückführt. Konkret beschäftigen sich einige in der Wirtschaft offenbar schon mit den möglichen Auswirkungen einer zweiten Amtszeit von Donald Trump nach 2024. Sich darauf vorzubereiten mag zwar kurzfristig teuer sein, dürfte sich durch die Minimierung der Risiken für die Supply Chains aber langfristig auszahlen.
Der SiC-Bedarfs-Tsunami rollt
Wolfspeed hat es wieder getan – mit Milliarden-Investitionen weitet das Unternehmen bis 2030 seine SiC-Produktion massiv aus. Welche Dynamik im SiC-Bereich herrscht, lässt sich daran ablesen, dass Gregg Lowe, CEO von Wolfspeed, auf der PCIM in Nürnberg 2019 die Investition von über 1 Milliarde Dollar in den Bau einer neuen Fab verkündete und damit den Produktionsausstoß sowohl von SiC-Wafern als auch von SiC-MOSFETs in den folgenden Jahren, sehr zur Freude der gesamten Branche, deutlich steigern wollte.
Statt einer sind es nun fünf Milliarden Dollar, die das Unternehmen in den Bau neuer Produktionskapazitäten investiert. Wie Gerkensmeyer berichtet, erfolgte der erste Spatenstich für das neue Werk bereits, im ersten Schritt sollen nun 1,8 Milliarden Dollar investiert werden, erste Produkte aus dem neuen Werk sollen ab 2024 zur Verfügung stehen. In einem zweiten Schritt werden dann noch einmal 3,2 Milliarden Dollar investiert, um die neuen Fertigungskapazitäten zum Vollausbau zu bringen.
»Auch als Späteinsteiger in das SiC-Geschäft hören wir von den Kunden, dass es so viele Projekte gibt, dass der Bedarf durch die zur Verfügung stehenden Fertigungskapazitäten bei Weitem nicht gedeckt werden kann«, berichtet Baum. Und aktuell wird das SiC-Geschäft ja vor allem von den Bedarfen der Automobilindustrie getrieben. Das kann sich in Zukunft ändern, wenn der Mehrwert von SiC auch in anderen Applikationen identifiziert wurde. Gerkensmeyer verweist da auf das Schwarzer-Schwan-Phänomen.
Aus Sicht von Kasteleiner ist das Besondere an der aktuellen Situation, »dass all diese Erweiterungen und Investitionsankündigungen ja angesichts einer vor der Tür stehenden, weltweiten Rezession erfolgen und getätigt werden«. Doch aktuell gingen alle davon aus, dass dieses Marktsegment die nächsten zehn Jahre prosperieren werde. »Vielleicht sind die aktuellen Bedarfsprognosen ja 2025 schon wieder überholt, und die Produktionskapazitäten müssen noch stärker erweitert werden.«
»Wir säßen heute nicht hier und würden über SiC im Automotive- und Automobil-Einsatz sprechen, wenn Elon Musk sich nicht entschieden hätte, SiC in Elektrofahrzeugen einzusetzen«, stellt Grasshoff fest. Das Verrückte an der Situation sei, dass Technik-Milliardäre wie Musk durch persönliche Entscheidungen, »ich zahl den Bumms«, Marktverwerfungen erzeugen können, wie Gerkensmeyer betont. In der wilden Wachstumsphase dieser Technologie sei Platz für eine Vielzahl von Herstellern und Anbietern. »Es heißt, SiC sei schwer herzustellen«, meint Gerkensmeyer, »aber das hieß es auch mal von Autos«.
Wirft man einen Blick nach China, dann beschäftigen sich dort nach Angabe der Forumsteilnehmer über 50 Firmen mit dem Thema SiC. Vielleicht, so Grasshoff, führt der rasante Bedarfszuwachs ja auch dazu, dass sich Foundries im SiC-Bereich ebenso so stark engagieren wie im klassischen Silizium-Segment. Überraschend im Zusammenhang mit SiC ist für Grasshoff, »dass die Japaner zu Beginn sehr pushy in Sachen SiC waren. Wohl vor dem Hintergrund, dass das Thema Zuverlässigkeit über Jahre nicht geklärt war, haben sie dann einen Rückzieher gemacht. Nur Rohm hat nach der Übernahme von SyCristal weiter konsequent auf SiC gesetzt«.
Aus Sicht des Kunden geht es aktuell und in naher Zukunft schlicht darum: Wo kriege ich meine SiC-Produkte her? »In dieser Phase werden alle am Markt wachsen«, so Gerkensmeyer. »Es kann sein, dass es dann nach 2030 irgendwann einmal zu einer Merger&Akquisition-Phase kommt; das wird man dann sehen.«
Wirklich überrascht zeigen sich die Diskussionsteilnehmer aber auch davon, wie personalintensiv die Suche nach Alternativbauteilen bei vielen OEMs in den letzten zwei Jahren geworden ist. »Es ist mir in den Gesprächen mit Kunden noch nie so deutlich wie in jüngster Vergangenheit aufgefallen, dass das Thema Ersatzbauteilbeschaffung inzwischen bis in die Entwicklungsabteilungen hinein reicht«, so Hesener. »Es ist extrem schwierig geworden, irgendwie Termine zu bekommen, weil offenbar alle damit beschäftigt sind, Kleinsignaltransistoren auszutauschen.« Aus seiner Sicht entwickelt sich dieses Phänomen darum letztlich zunehmend zu einem Innovationshemmer für die Branche.
»Viele Kunden haben uns gesagt, sie versuchen derzeit alles, um ihre aktuellen Produkte am Laufen zu halten«, berichtet auch Kasteleiner. »Sie beschäftigen sich überwiegend nur noch mit der Suche nach Alternativbauteilen.« Durch diese Fixierung auf das Existierende kommt in seinen Augen die Suche nach Neuem, die Innovation, in gewisser Art und Weise zum Erliegen. Auch bei STMicroelectronics hat man diese Erfahrung gemacht. »Es ist deutlich schwieriger geworden, wirklich neue Projekte zu starten«, so Dr. Spitale; »die Kunden haben zwar viele Fragen an uns, aber die drehen sich mehr um mögliche Alternativbauteile als um neue Projekte«.
Langfristig jedoch, das sind sich die Diskussionsteilnehmer sich, steht die Leistungshalbleitertechnik vor einer regelrechten Blütezeit. Verantwortlich dafür sei die Tatsache, dass sich auch vor dem Hintergrund der Auswirkungen des Ukraine-Krieges das Bewusstsein für das Thema Energie massiv ändere. Der Prozentsatz an notwendiger Effizienzverbesserung sei hoch, der Umbau aller Anwendungen hin zu einem energieeffizienterem Betrieb eine globale Herausforderung, die auch vor dem Hintergrund der wachsenden Urbanisierung und der steigenden Kaufkraftentwicklung in Südostasien zu meistern sei.
GaN-Halbbrücken für den Industrieeinsatz
Infineon und ST haben es bereits getan, seit Kurzem ist nun auch Navitas mit einer GaN-Halbrücke auf dem Markt, deren Zielmarkt ganz klar die Industrieelektronik ist. Die Vorteile liegen für Hesener auf der Hand: »Durch die wesentlich geringere Verlustleistung der GaN-Bauteile kann ich zwei Schalter viel leichter in ein Gehäuse einbauen, als das früher der Fall war.« Eine GaN-Halbbrücke stellt für ihn einen schönen Kompromiss in puncto Fertigbarkeit und Kostenpunkt dar. »Zudem wird die Verlustleistung auch auf der Platine gespreitzt.« Für den Anwender eine runde Sache, die ihn in der Applikation nicht überfordere.
Applikationstechnisch sieht er den Großteil des möglichen Einsatzes im Leistungsbereich bis 600 W; »ich würde sagen, darauf dürften in Zukunft rund 80 Prozent der Anwendungen entfallen«. Dr. Spitale sieht einen großen Markt für solche Produkte im Charger-Bereich. »Neben Halbbrücken haben wir System-in-Package-Lösungen auf den Markt gebracht«, berichtet sie; »mit den System-in-Package-Lösungen gehen wir bisher Applikationen bis 500 W an«. Bei ST geht man davon aus, dass sowohl die GaN-Halbbrücken wie auch die System-in-Package-Lösungen ihren Markt finden werden.
Hesener geht derweil davon aus, dass der Marktbedarf für GaN-Halbbrücken im Industriebereich bei über 1 Milliarde Stück liegen dürfte. Es sei wie immer: »Eine neue Technologie ist zuerst teurer, verringert aber die Systemkosten.« Konkret sieht er die Technologie jetzt an dem Schnittpunkt, »wo eine GaN-basierte Systemlösung billiger ist als eine siliziumbasierte«. Die Kernvorteile lägen in der erhöhten Zuverlässigkeit und der wiederholbaren Performance. »Durch die Verringerung der Verlustleistung kann ich zudem das thermische Design kleiner ausfallen lassen – die Endprodukte werden dadurch kleiner, leichter und billiger.«