In den aktuellen Marktpreisen spiegeln sich für Gerkensmeyer die geopolitischen Ereignisse der letzten Zeit wider. »Gleichzeitig haben einige Hersteller die Situation für Portfoliobereinigungen genutzt, was die Situation in manchen Bereichen zusätzlich verschärft und die Preise dort hochgetrieben hat.« Grasshoff und Kasteleiner verweisen darauf, dass die Investitionen in die neuen, angekündigten Produktionskapazitäten »zum Teil sicher auch über Preiserhöhungen finanziert werden«. Lippert erinnert an das Thema Logistikkosten; »wirklich günstiger ist der Transport und die Lieferung in den letzten Monaten auch nicht geworden«.
Dr. Spitale greift die genannten Investitionen noch einmal auf und verknüpft dieses Argument mit den gestiegenen Energiekosten. »Ich glaube, es war noch nie leichter als in dieser Situation, steigende Preise am Markt zu kommunizieren. Die Akzeptanz hat mich wirklich überrascht, aber ganz offensichtlich ist das Thema Verfügbarkeit wichtiger geworden als der Preis.« – »Vielleicht sind die Kunden der Diskussion aber auch einfach überdrüssig geworden«, wirft Baum ein. »Ich kann mich da noch an ganz andere Gespräche zum Beginn der Corona-Pandemie erinnern. Aber inzwischen toppt Lieferfähigkeit offenbar wirklich das Thema Preis.«
Neue Preislisten werden auf jeden Fall sehr kurzfristig kommuniziert, »der Vorlauf beträgt manchmal nur ein, zwei Wochen«, berichtet Kasteleiner. Ob es 2022 noch weitere Preissteigerungen geben wird, lässt sich noch nicht absehen, »der Markt verändert sich sehr dynamisch«, so der Glyn-Manager. »Ausschließen lässt sich da nichts!«
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Energiekrise und die Folgen für die Leistungshalbleiterbranche
Seit der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands in der Ukraine tobt, haben sich nicht nur in Deutschland seit Jahrzehnten geltende energiepolitische Gegebenheiten in einem Maße verändert, wie sich das auch die ökologischsten Vordenker nicht hätten träumen lassen. Erneuerbare Energien sollen nun mit Macht die Lücke schließen, die durch den Ausstieg aus russischem Gas und Öl langfristig gerissen wurde.
Mit der klaren Neuausrichtung auf erneuerbare Energien wurde ein Förderprogramm aufgelegt, wie es das in dieser Form noch nie gegeben hat. Die Auswirkungen dieser Entwicklung registrieren die Leistungshalbleiter-Hersteller ganz klar in ihren Auftragsbüchern. »Photovoltaik wächst weltweit im Jahr um 10 bis 15 Prozent«, so Grasshoff, »bei Windkraft sind es 1 bis 2 Prozent«. Das laufende Geschäft ziehe an, so der Semikron-Danfoss-Manager, »auch wenn man sagen muss, dass Erneuerbare in Europa ein bisschen ein deutsches Thema sind«.
Doch das dürfte sich ändern. Vor dem Hintergrund der Zero-Carbon-Ziele, welche die EU in ihren Ausschreibungen für neue Industrieprojekte fixiert hat, wird in Zukunft verstärkt darauf geachtet werden, dass nicht nur die Hauptauftragnehmer, sondern auch ihre Subunternehmer auf grüne Energie gehen. Dass auch 56 Kernkraftwerke nicht vor Engpässen schützen, wenn 32 davon wegen technischer Probleme und zu niedriger Flussstände vom Netz gehen müssen, musste in diesem Sommer auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lernen und forderte folgerichtig, La Grande Nation müsse ihr Engagement im Bereich erneuerbarer Energien ausbauen.
Dr. Spitale berichtet von einer deutlichen Projektzunahme im Bereich erneuerbarer Energien bei STMicroelectronics. »Diese Entwicklung steigert ganz eindeutig die Nachfrage nach Wide-Bandgab-Halbleitern.« Und Grasshoff erinnert: »Erklärtes Ziel ist es ja, dass wir in Deutschland einen Anteil von 50 Prozent an erneuerbaren Energien erreichen. Ich hoffe, da werden wir in den nächsten fünf bis sechs Jahren auch hinkommen.«
Wie sehr der plötzliche Wandel ganze Gerätebranchen unter Druck setzen kann, macht Lippert am Beispiel der in allen Energiediskussionen präsenten Wärmepumpen deutlich: »Das Geschäft damit brummt seit dem 1. Quartal dieses Jahres, aber das, was da an Stückzahlen gefordert wird, ist über die etablierte Lieferkette überhaupt nicht darstellbar!« Da sei von Stückzahlen die Rede, die hochgefahren werden sollen, die aktuell niemand produzieren können. »Da wird bis tief ins Jahr 2023 hinein noch Allokation herrschen.«
Hesener schließlich verweist darauf, dass sich mit Wide-Bandgap-Bauteilen nicht nur die CO2-Emissionen deutlich zurückfahren lassen. Er kann sich angesichts des aktuellen Bewusstseinswandels sogar vorstellen, »dass ich das Ende des Einsatzes fossiler Energien, abgesehen von der chemischen Industrie, noch in meiner Lebenszeit erleben werde«.
Auch wenn sich das Geschäft für die Leistungshalbleiter-Hersteller und Anbieter in Deutschland im Verlauf des Jahres bislang durch stetiges Wachstum ausgezeichnet hat, wie auch Dr. Spitale noch einmal für den Automotive- und Industrie-Bereich bestätigt, machen den Diskussionsteilnehmern doch vor allem das Thema Energie- und speziell die Stromkostenentwicklung Sorgen. Hesener hält die Entwicklung wirklich für gefährlich für den Standort Deutschland: »Es ist bereits zu beobachten, dass speziell die Amerikaner ganz massiv mit dem Thema des günstigeren Stroms die Abwanderung europäischer und deutscher Fertigungen in die USA betreiben. Hohe Strompreise senken die Attraktivität des Standortes Deutschland!«
»Zu hohe Energiekosten würgen irgendwann einmal dann auch eine Wirtschaft ab«, pflichtet ihm Kasteleiner bei. Auch er berichtet von aktiven Abwerbeversuchen. »Ich vermute, da gibt es viele europäische Unternehmen, die da nur allzu gerne aufspringen würden, weil sie ihre Produktion ja irgendwie weiter am Laufen halten müssen.« Grasshoff sieht vor allem das Problem, »dass, wenn diese Versuche erfolgreich sind, wir hier in Deutschland und Europa wieder bestimmte Elemente der Lieferkette verlieren werden«. So seien Aluminiumschmelzen und die Kupferherstellung eben energieintensive Prozesse. Ganz praktisch weist er auf die riesigen Probleme hin, »die aktuell bereits Galvaniseure haben«.
Lehren der Automobilbranche aus der Krise
Als Mitte September auf einer Konferenz Berthold Hellenthal, zuständig für das Strategic Semiconductor Management im VW-Konzern, forderte, dass Leistungselektronik, und damit auch SiC, so schnell wie möglich wieder zu einer Commodity werden müsse, ärgerte das Gerkensmeyer: »Diese Geisteshaltung behindert Innovation und übersieht völlig, dass Marktbegleiter Halbleitertechnik strategisch verstehen.« Der Wolfspeed-Manager geht sogar soweit, das Setzen auf Commodities mit dem Eingeständnis des Verzichts auf technische Führerschaft gleichzusetzen.
Was insofern schon etwas überraschend ist, suggerieren deutsche Automobilhersteller in ihren Slogans und ihrer Außendarstellung doch schon einen gewissen elitären Technologieanspruch. In den Augen von Grasshoff haben viele Verantwortliche in der Automobilwirtschaft noch nicht erkannt, »dass Halbleiter heute eine andere Rolle spielen, das ist inzwischen eine geostrategische Waffe!«.
Hesener weist darauf hin, dass Hellenthal auf der angesprochenen Veranstaltung ja auch noch andere Dinge gesagt habe, etwa dass er von der Halbleiterbranche Vorschläge für neue Kooperationsverbindungen erwarte: »Ob das dann heißt, ihr baut eine Fabrik und ich finanziere sie, oder ich kaufe die Maschinen, die in diese Fabrik kommen, muss sich dann zeigen.« »Auf jeden Fall hat er deutlich gemacht, dass er bereit ist, sich gezielt mit Investitionen in Fertigungskapazitäten zu engagieren, die dann nur ihm zur Verfügung stehen würden«, so Hesener.
Dass der Größte der Branche solche Ideen aufbringt, beweist für den Navitas-Manager, dass die Automobilbranche beginnt umzudenken: »Das manifestiert sich in der Anerkennung des Fakts, dass die Performance der Leistungshalbleiter entscheidend ist für die Reichweite der Elektrofahrzeuge.« Für ihn geht die Entwicklung darum eindeutig weg vom Commodity-Einkauf von »Drei-Beinern«, hin zu etwas, das deutlich mehr nach High Tech aussieht.
Baum sieht das ähnlich, »ich würde sagen, auch auf der Ebene der Tier-Ones ist inzwischen ganz klar ein Wille zur strategischen Partnerschaft zu erkennen«. Es reiche eben nicht mehr aus, mit dem Zulieferer nur über Rettung des aktuellen oder nächsten Designs zu sprechen. »Wir werden zunehmend als Partner denn als Supplier wahrgenommen, mit dem man sich abstimmt, wo die Reise in Zukunft hingeht.« Dann habe man auch die Probleme, von Fall zu Fall schnell einen Pick-and-Place-Ersatz für ein Bauteil in einem Design zu finden, nicht mehr – »bei einigen scheint mir da inzwischen der Groschen gefallen zu sein«.
»Ein Elektroauto hat eben weniger Wertschöpfungsebenen als ein Verbrenner«, stellt Grasshoff nüchtern fest. »Das ist eine Entwicklung, die der Not gehorcht, deshalb gehen die Automobilhersteller in der Wertschöpfungskette weiter nach unten. Ab einer gewissen Größenordnung macht es Sinn, dass sich ein Endkunde direkt an der Finanzierung von Fertigungskapazitäten beteiligt.« Grasshoff verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass Semikron Danfoss erst vor Kurzem langjährige, technologiefokussierte Zusammenarbeit mit BMW bekannt gemacht hat.
Heseners Fazit: »Der Mehrwert im Automobilgeschäft verlagert sich immer stärker in Richtung Software, Connectivity und User Interface – das ist eine Entwicklung, die die Automobilhersteller zum Umdenken gezwungen hat.«